„Die US-Präsidentschaftswahlen endeten mit einem Paukenschlag, der enorme Auswirkungen auf die Kapitalmärkte im kommenden Jahr hat“, betont Wilhelm. „Seit klar ist, dass Donald Trump ins Oval Office einzieht, preisen die Börsen anziehende Inflationsraten ein.“ Die Marktteilnehmer gehen davon aus, dass die neue Regierung durch Ausgabenprogramme die Konjunktur kurzfristig anschieben und die Teuerung in den Vereinigten Staaten befeuern wird.
Trump und US-Konjunktur: Kurzfristig positive Effekte
Wilhelm plädiert für einen genauen Blick auf die zu erwartenden Veränderungen: „Man muss kurzfristige und langfristige Auswirkungen auf das US-Wachstum unterscheiden. Für 2017 ist tatsächlich mit einem zusätzlichen Wachstumsschub von ca. 1 Prozent zu rechnen.“ Andererseits wächst das Staatsdefizit durch die hohen Ausgaben. Zudem kostet verstärkter Protektionismus mittelfristig Wachstum und schwächt die Wirtschaft. „Die Quittung kommt erst später und spielt daher an der Börse noch keine Rolle“, erläutert Wilhelm. Insgesamt dürfte der Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den USA mit 1,8 Prozent im kommenden Jahr überschaubar bleiben. „Mit Trumps Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik werden die langfristigen Probleme der US-Wirtschaft nicht gelöst“, betont der Experte. „Die schwache Produktivitätsentwicklung und die geringe private Investitionstätigkeit bleiben auch in Zeiten staatlicher Ausgabeprogramme große Hemmschuhe.“
Fed: Zinserhöhungen voraus, aber der Dollar bremst
Die Zinsprognosen für die USA haben sich mit dem überraschenden Ausgang der Präsidentschaftswahlen grundlegend geändert. Wilhelm rechnet nun mit bis zu drei Anhebungen der Leitzinsen durch die US-Notenbank Federal Reserve (Fed): „Der Zinsschritt im Dezember ist so gut wie sicher. Im kommenden Jahr dürften dann ein bis zwei weitere folgen.“ Einen steileren Zinsanhebungspfad hält er hingegen für unwahrscheinlich, zumal die Fed auch die weitere Entwicklung des US-Dollars genau verfolgen dürfte. „Wir sehen den US-Dollar in einer Phase der Stärke und halten die Parität gegenüber dem Euro für möglich“, so Wilhelm. „Ein aufwertender Dollar bremst das Wachstum, das wird die Fed nicht unberücksichtigt lassen.“
US-Renditen steigen mit abnehmender Dynamik
Wilhelm rechnet mit moderat steigenden Renditen bei US-Staatsanleihen: „Zum Jahresende erwarten wir bei den Papieren mit zehnjähriger Laufzeit ein Renditeniveau von 2,8 Prozent.“ Die USA bewegen sich somit in Richtung eines Zinsniveaus, das zuletzt Ende 2013 erreicht wurde.
Europa unter (politischer) Spannung
Beim Blick auf Europa hebt der Kapitalmarktstratege die politischen Risiken hervor, stehen doch mit Frankreich, den Niederlanden und Deutschland Wahlen in drei wichtigen Euro-Ländern an: „Die Populisten sind auch in Europa auf dem Vormarsch, und in Sachen Brexit hat noch keiner einen Plan. Politischer Dauerstress ist somit vorprogrammiert“, betont Wilhelm. Dabei wird es nach seiner Einschätzung immer schwerer, politische Ereignisse und vor allem deren Wirkung auf die Kapitalmärkte zu antizipieren. Umso wichtiger sei ein flexibler, reaktionsschneller Investmentansatz.
Trotz aller politischen Herausforderungen sieht Wilhelm an den europäischen Kapitalmärkten durchaus Chancen. Die Konjunktur beschreibt er als robust und rechnet mit einer Steigerung des BIP in der Eurozone um 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Durch höhere Exporte in die USA sollten auch europäische Unternehmen vom Trump-Effekt profitieren“, erwartet Wilhelm. Ferner wird die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) locker bleiben. „Mario Draghi wird das Anleiheankaufprogramm über das Frühjahr hinaus verlängern“, meint Wilhelm. Das derzeit viel diskutierte Tapering, also das Herunterfahren der Ankäufe, hält er aktuell noch nicht für realistisch. Bei den Teuerungsraten sei allenfalls ein leichter Anstieg zu erwarten.
Leicht steigende Bundrenditen
Die europäischen Rentenmärkte dürften vor diesem Hintergrund mit deutlich weniger starken Renditeanstiegen konfrontiert sein als ihre US-amerikanischen Pendants. „Die Bundesanleihe bleibt der sicherste Hafen der Eurozone, das begrenzt den Renditeanstieg“, fasst Wilhelm seine Prognose von 0,7 Prozent zum Jahresende für zehnjährige Papiere zusammen. „Wir erleben auch in Europa eine kleine Zinswende, allerdings auf sehr niedrigem Niveau“, so Wilhelm. Deutlich skeptischer ist er für Anleihen aus der Euro-Peripherie, bei denen vor allem in Phasen der politischen Unsicherheit rund um die Wahlen mit Renditeaufschlägen und folglich fallenden Kursen zu rechnen ist.
Unternehmensanleihen weiter gut unterstützt
Hingegen bleibt das Umfeld für Unternehmensanleihen weiter aussichtsreich. „Überschaubare Inflation und moderates Wachstum sind keine schlechten Nachrichten für Corporate Bonds“, erläutert Wilhelm. „Die Unterstützung durch die Anleihekäufe der EZB wirkt ebenfalls positiv. Andererseits ist die Anlageklasse aufgrund der starken Kursentwicklung der vergangenen Jahre bereits ambitioniert bewertet.“
Aktien mit Kurspotenzial, Chancen bei Rohstoffen
Auch für Aktien bleibt der Kapitalmarkstratege optimistisch gestimmt: „Insbesondere US-Werte legen zur Zeit eine Trump-Rally hin.“ Angesichts der robusten Konjunktur traut er den Unternehmen Gewinnsteigerungen von fünf Prozent in den Vereinigten Staaten und sieben Prozent in der Eurozone zu. Zudem seien Aktien gerade im Vergleich zu Anleihen nach wie vor günstig bewertet. „Aktien sind auch im kommenden Jahr eine unverzichtbare Renditequelle“, ist Wilhelm überzeugt.
Nachdem bereits 2016 ein gutes Jahr für Rohstoffe war, sieht Wilhelm auch für diese Anlageklasse weiterhin Chancen. Sollte sich die OPEC auf eine Deckelung der Ölförderung einigen, befindet sich der Rohölmarkt nach Prognosen von Union Investment auf dem besten Weg ins Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage. „Preise von 55 US-Dollar je Barrel der Sorte Brent sind durchaus möglich, sobald der Produktionsüberhang abgebaut ist“, analysiert Wilhelm. „Bei Industrie- und einigen Edelmetallen wirken sich die Angebotskürzungen der letzten Jahre positiv aus.“
Emerging Markets: Selektion ist Trumpf
Die im Nachgang zur Wahl des neuen US-Präsidenten stark gewachsene Skepsis gegenüber den Schwellenländern teilt Wilhelm nur bedingt. „Ein stärkerer US-Dollar und eine mehr nach innen gerichtete amerikanische Volkswirtschaft bedeuten Gegenwind für die Emerging Markets“, erläutert der Stratege. „Auf der anderen Seite haben diese Länder in den vergangenen drei Jahren den perfekten Sturm aus festerem Dollar, China- und Rohstoffpreisschwäche überstanden.“ Das Segment sei somit wesentlich robuster geworden. „Allerdings wird bei Anlagen in den Schwellenländern die Differenzierung künftig noch wichtiger“, betont Wilhelm.
Anlagegrundsätze für 2017
2017 wird nach Einschätzung des Kapitalmarktstrategen ein Jahr, in dem sich Flexibilität auszahlt. Mit deutlichen Schwankungen in allen Marktsegmenten sei zu rechnen. „Moderne Multi-Asset-Lösungen sind in diesem anspruchsvollen Kapitalmarktumfeld das Mittel der Wahl, um flexibel zu reagieren und kurzfristig sich bietende Chancen zu nutzen“, so Wilhelm. „Dabei lohnt sich mehr denn je ein Blick über den europäischen Tellerrand.“ Und schließlich: „Nach Trump und Brexit sollten Investoren erst einmal auf Reflationierung setzen. Wir rechnen mit weiter leicht steigenden Zinsen und unter Schwankungen aufwärts gerichteten Aktienmärkten“, zieht Wilhelm ein positives Fazit.