Aktuell leidet die Weltwirtschaft noch stark unter dem Coronavirus. „Ein Impfstoff wird erst ab Mitte 2021 zur Wende der Pandemiebekämpfung führen können“, erwartet Wilhelm. Die Mittel müssten zuvor noch zugelassen, produziert und verteilt werden. Erst mit der Verabreichung an breite Bevölkerungsschichten sieht er die Möglichkeit für eine Rückkehr zur Normalität. „Bis zum Sommer müssen Gesellschaft, Wirtschaft und Kapitalmärkte weiter mit dem Virus leben“, fasst er zusammen. Allerdings sieht er auch deutliche Fortschritte bei der Corona-Bekämpfung im Vergleich zum vergangenen Frühjahr. „Wir haben viel gelernt – medizinisch, aber auch ökonomisch. Daher werden die Folgen des zweiten Lockdowns weniger drastisch ausfallen“, meint Wilhelm.
Konjunkturelle Dynamik ab Frühjahr 2021
Das Winterhalbjahr 2020/2021 bleibt konjunkturell noch von der Pandemie belastet. „Nach schwachem Start rechnen wir im Verlauf des Jahres dann mit einer deutlichen Belebung der wirtschaftlichen Dynamik“, sagt er mit Blick auf pandemiebedingt angestaute Nachfrage und zurückgestellte Investitionen. Konkret erwartet der Kapitalmarktstratege für 2021 einen Zuwachs von 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Vereinigten Staaten, die bereits zum Jahresende wieder das Vorkrisenniveau bei der Wirtschaftsleistung erreichen dürften. Mehr Zeit benötigt der Euroraum, der erst 2022 die Krisenverluste aufgeholt haben sollte. Für 2021 sieht Wilhelm das Wachstum aber immerhin auf 4,2 Prozent klettern. Stark von der Pandemie getroffene Länder wie Italien (5,7 Prozent) und Frankreich (5,4 Prozent) dürften besonders hohe Raten aufweisen. Für Deutschland geht Wilhelm von einem Anstieg des BIP von 3,3 Prozent aus. Dabei profitiert der deutsche Exportmotor vom kräftigen Aufschwung in Asien. „China ist die einzige große Volkswirtschaft, die zur Zeit eine V-förmige Erholung erlebt“, kommentiert er.
Ende der Austerität: Fiskalpolitik wirkt expansiv
Unterstützung erwartet Wilhelm von einer aktiveren Fiskalpolitik. In den USA rechnet er im Januar 2021 mit einem neuen, umfassenden Konjunkturpaket. „Sobald der Wechsel im Weißen Haus dann endlich vollzogen ist, wird sich der Kongress schnell auf neue Hilfen einigen“, ist er überzeugt. Auch in anderen Volkswirtschaften erwartet er höhere Ausgaben: „Fiskalischer Aktivismus ersetzt fiskalische Austerität – auch in Deutschland.“ Für die Kapitalmärkte hält Wilhelm diese Neujustierung für die bisher wichtigste neue Weichenstellung in der Dekade. „Bislang lag die Last der Krisenbekämpfung hauptsächlich auf der Geldpolitik. Jetzt bekommen wir mit der Fiskalpolitik einen zweiten Stützpfeiler dazu. Corona bedeutet das Ende der Austerität“, analysiert er.
Geldpolitik: Höhere Inflationstoleranz erlaubt stärkere Wachstumsförderung
Gleichzeitig erwartet Wilhelm weiter eine lockere Geldpolitik. „Derzeit wird das geldpolitische Koordinatensystem neu kalibriert“, sagt er und verweist auf das Beispiel der US-Notenbank. „Die Fed hat den Anfang gemacht, andere werden folgen. Man versieht die Inflationsziele mit einem Gedächtnis und wird so auch ein vorübergehendes Überschießen der Inflation tolerieren“, erläutert er. Diese höhere Inflationstoleranz erlaubt einen stärkeren Fokus auf Wachstum. „Die Geldpolitik bleibt noch länger äußerst locker“, resümiert er. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihre neue Strategie zwar noch nicht bekannt gegeben, aber auch in Frankfurt denkt man wohl in diese Richtung. „Die EZB wird noch im Dezember geldpolitisch nachlegen, sowohl durch erweiterte Ankäufe als auch durch neue Tender.“
Negative Realrenditen werden zur Norm
Im Ergebnis dürften die nominalen Zinsen lange niedrig bleiben. Selbst bei einer nur geringfügig ansteigenden Inflation werden die realen Renditen, also die Erträge nach Abzug der Teuerung, für sichere Anlagen in der Breite negativ bleiben. „Negative Realrenditen sind die Norm. Ohne höherrentierliche Anlagen ist keine sinnvolle Kapitalanlage denkbar“, erklärt Wilhelm.
Aktien präferierte Anlageklasse
Wilhelm hält dabei vor allem Aktien für aussichtsreich. „Die Gewinne werden 2021 zu Kurstreibern. Wir rechnen mit einem Anstieg der weltweiten Firmengewinne um bis zu 30 Prozent im Jahresvergleich“, sagt er. Gleichzeitig halten die niedrigen bzw. negativen Realrenditen die Bewertungen auf einem erhöhten Niveau. „Für Aktien ist das fast die beste aller Welten“, meint der Kapitalmarktstratege. Für das Gesamtjahr traut er der Anlageklasse damit einen Ertrag von bis zu 10 Prozent zu. Den DAX erwartet er bei 14.000 Punkten zum Jahresende 2021. Insgesamt rechnet er mit einem Wechsel bei den favorisierten Regionen und Stilen. „Die konjunkturelle Erholung wird Zyklikern, aber auch Value-Werten im Jahresverlauf helfen“, folgert er. Gleichzeitig betont Wilhelm die Chancen der erfolgreichen Titelselektion: „Corona ist ein Trendverstärker und führt zu einer vermehrten Ausdifferenzierung bei Gewinnern und Verlierern.“
Bei Immobilien sieht er zwar durchaus einige von der Pandemie ausgelöste Herausforderungen. Insgesamt hält Wilhelm die sachwertbasierte und cashflowstarke Anlageklasse aber im aktuellen Umfeld weiter für attraktiv. „Die Immobilie bleibt ein wichtiger Bestandteil in einem balancierten Portfolio, gerade in Zeiten negativer Realzinsen“, ist er überzeugt.
Auf der Rentenseite bleibt Wilhelm vorsichtig bei sicheren Staatsanleihen wie US-Treasuries oder deutschen Bundesanleihen. „Die Kombination aus niedriger Verzinsung und leicht steigenden Renditen spricht gegen die sicheren Häfen“, prognostiziert er. Dabei erwartet der Kapitalmarktstratege eine leichte Versteilerung der Zinsstrukturkurve über Anstiege am langen Ende sowie ein Auseinanderlaufen der Renditen auf deutsche bzw. US-amerikanische Staatsanleihen: „Der Transatlantik-Spread wird sich ausweiten“, meint Wilhelm. Die Chancen bleiben ansonsten überschaubar. Gerade in diesem Umfeld hält er Papiere mit Zinsaufschlag weiter für attraktiv. „Unternehmensanleihen, Peripheriepapiere und Bonds aus den Schwellenländern bieten nach wie vor Chancen“, konkretisiert er. Anlegern rät Wilhelm, auch diese Formen der risikobehafteten, aber Ertrag versprechenden Investitionen nicht außer Acht zu lassen. Denn: „Für 2021 gilt: auf die Wiederöffnung setzen!“