Seit einigen Wochen kommen Firmen zurück an den Primärmarkt, die sich bisher im Verlauf des Jahres stark zurückgehalten hatten. Dazu gehören unter anderem Unternehmen aus den Sektoren Non-Financials, hier insbesondere Versorger sowie Industrieunternehmen. Die neu platzierten Anleihen vor allem von Unternehmen mit soliden Geschäftsprofilen sind gefragt bei Investoren: Solche Neuemissionen sind im Durchschnitt sechs– bis achtfach überzeichnet, wie Daten aus der von Union Investment eigenentwickelten Global Credit Platform (GCP) zeigen.
Die hohe Investorennachfrage zieht sich dabei quer durch alle Sektoren. Blickt man bei kürzlich ausgegebenen Schuldverschreibungen auf die Wertentwicklung in Basispunkten, haben sich die absoluten Risikoaufschläge (Spreads) mehr oder minder stark eingeengt seit der jeweiligen Platzierung. Beobachtbar war dies beispielsweise bei Neuemissionen des Reiseportals Booking.com, bei der italienischen Bank Unicredit, beim französischen Baukonzern Bouygues oder auch bei Schneider Electric und Honeywell. Im Durchschnitt engten sich die Spreads in den ersten Wochen um 15 bis 25 Basispunkte ein.
Ein Blick auf die Rendite gibt einen Hinweis darauf, warum die Anleger offensichtlich wieder verstärkt bereit sind, in Unternehmensanleihen zu investieren: Während die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe Mitte November 2,05 Prozent erreichte – das ist bereits deutlich mehr als es Zins auf ein Festgeldkonto gibt – werfen mittlerweile Anleihen mit Investment Grade-Qualität rund 4 Prozent Rendite ab (ICE BofA Euro Corporate Index).
Die gute Entwicklung nach Auflage neuer Papiere zeigt, dass es auch in puncto Risikoneigung der Anleger zu einer gewissen Beruhigung kommt. So war es in den vergangenen Jahren angesichts des Niedrigzinsumfeldes für viele Investoren notwendig, immer mehr auf Titel mit niedrigerer Bonität zu setzen, um noch eine auskömmliche Rendite ins Portfolio zu holen. Nun ist es wieder einfacher möglich, einen attraktiven Ertrag über eine Beteiligung an Emissionen solide finanzierter Unternehmen mit zugleich überschaubarer Kapitalbindungsdauer (Duration) zu investieren – dies auch vor dem Hintergrund der nach wie vor schwierigen Wirtschaftslage.
Darüber hinaus zeigen Daten aus der GCP aber auch, dass viele Investoren Neuemissionen jetzt nutzen, um wieder in den Bereich der längeren Laufzeiten einzusteigen. Galt es bislang, die Zinssensitivität des Portfolios eher zu reduzieren, zeichnet sich nun ab, dass auch wieder mehr Investoren bei Anleihen mit längerer Laufzeit – in Bereichen zwischen neun und elf und auch bis zu zwanzig Jahren – zugreifen.
Warum Unternehmensanleihen wieder gefragter sind
Was sind die Treiber hinter diesen jüngsten Entwicklungen auf dem Unternehmensanleihe-Markt? Die Anlageentscheidungen der Marktteilnehmer basieren zum einen auf der Annahme, dass sich die Zinserhöhungsdynamik der US-Notenbank Fed und der Europäischen Zentralbank (EZB) bald abschwächen könnte. Zumindest dürfte die Geschwindigkeit der Zinsanhebungen nach dem jüngst erfolgten weiteren Zinsschritt der Fed um 75 Basispunkte künftig abnehmen. Die Zinsmärkte stützt zudem auch die immer deutlicher werdende konjunkturelle Abschwächung. Aus Sicht der Kreditmärkte günstig ist wiederum, dass die Berichtssaison zum dritten Quartal besser ausfiel, als die Anleger erwartet haben.
Dennoch dürfte der Markt nach wie vor schwankungsanfällig bleiben: In den vergangenen Monaten hat die Anlageklasse Unternehmensanleihen bereits des Öfteren einen Anlauf zu einer Beruhigung genommen, stieß dann aber auf Widerstand. Ob es dieses Mal gelingen wird, die hohe Zinsvolatilität aus dem Markt zu bekommen und zugleich die Kreditspreads begrenzt zu halten, liegt auch wesentlich an der Entwicklung der Inflation. Sie wird darüber entscheiden, auf welchem Zinsniveau die Notenbanken den Zinserhöhungszyklus beenden oder zumindest pausieren werden. Aktuell impliziert das Pricing in Optionen auf US-Staatsanleihen-Futures, dass der Markt tendenziell eine baldige deutliche Abnahme des Zinsanhebungstempos in den USA erwartet.
Auch die Experten von Union Investment erwarten, dass sich der Inflationsdruck im kommenden Jahr abschwächen wird; nicht nur aufgrund der (von den Notenbanken gewollten) Dämpfung des Wirtschaftswachstums, sondern auch aufgrund von Basiseffekten: Die Monate mit starken Preissteigerungen etwa im Energie- und Rohstoffbereich fallen nach und nach wieder aus der Inflationsstatistik heraus. Zudem dürften verzögert wirkende Effekte steigender Zinsen sowie die zu beobachtende Entspannung bei Lieferketten die Teuerung dämpfen.
Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass der Rentenmarkt die Entwicklungen bei Wachstum, Inflation und Geldpolitik weitgehend verarbeitet haben dürfte. Somit dürfte auch der Aufwärtsdruck bei den Renditen sicherer Anleihen nachlassen. Doch nach wie vor bleibt die Unsicherheit bei den Schlüsselfaktoren groß: Risiken wie der Krieg in der Ukraine bestehen weiter und sorgen für Volatilität.
Umso wichtiger ist eine selektive Vorgehensweise. Auch wenn der Markt jüngst wieder den Einstieg in Papiere mit längeren Laufzeiten sucht, sollten vorerst vor allem Investment Grade-Anleihen mit kürzeren und mittleren Laufzeiten präferiert bleiben, da die guten Renditen in Verbindung mit einem begrenzten Zinsrisiko einen gewissen Puffer gegen mögliche weitere Zinsanhebungen und somit Kursverluste bieten können. Zugleich dürften die Fundamentalrisiken bei qualitativ hochwertigen Schuldnern auch im Umfeld einer sich abschwächenden Wirtschaft begrenzt sein. Große Emittenten können Effekte höherer Kosten besser abfedern. Eine höhere Inflation wirkt sich dort günstig aus, da durch ein höheres Nominalwachstum der Erlöse in der Regel zu einem stabilen oder gar leicht sinkenden Verschuldungsgrad bei Unternehmen mit funktionierendem Geschäftsmodell führen dürfte.
Welche Branchen von Interesse sind
Mit Blick auf die einzelnen Branchen profitiert nach wie vor der Finanzsektor von steigenden Zinsen und damit künftig höheren Nettozinserträgen. Auch bei der Immobilienbranche, die aufgrund der stark gestiegenen Zinsen in den vergangenen Monaten von Anlegern gemieden wurde, könnte nun der Boden erreicht sein – vorausgesetzt, es kommt zu keiner tiefen Rezession. Der Fokus liegt hier eher auf Wohn- als auf Einzelhandelsimmobilien.
Vorsicht ist angesichts der Konjunkturrisiken hingegen bei konjunktursensiblen Sektoren geboten wie dem zyklischen Konsumgüterbereich (Bekleidung, Unterhaltung, Automobil). Branchen, die besonders stark von der Energiekrise betroffen sind, sollten ebenfalls gemieden werden. Dies umfasst in der Regel insbesondere den Chemie- und Industriesektor.