- US-Präsident Trump bleibt dominierender Faktor am Kapitalmarkt
- Wachstum verlangsamt sich in den USA, in Europa nimmt Dynamik zu
- Fed sind durch höhere US-Inflation Hände gebunden, EZB kann Zinsen weiter senken
- Aktien können von Modernisierung der Infrastruktur profitieren
- Europäische Aktien bieten aktuell attraktiveres Chance-Risiko-Profil
- Trotz schwierigen Umfelds bieten sich Chancen am Kapitalmarkt
„Der Großmachtwettbewerb zwischen den USA und China, der über den Zollkonflikt auch Europa voll erfasst hat, wird die Kapitalmärkte im zweiten Halbjahr weiter in Atem halten“, sagt Dr. Frank Engels. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene führt er zu einer klaren Verschlechterung im Wachstums-Inflations-Mix und damit zu keinem Rückenwind für risikoreichere Anlageklassen wie Aktien. Nachdem das erste Halbjahr vom teils erratischen Vorgehen der US-Regierung geprägt war, besteht nun Hoffnung, dass das Marktumfeld wieder etwas berechenbarer wird.
„Auch wenn es noch weit hin ist: US-Präsident Donald Trump wird seine Entscheidungen zunehmend mit Blick auf die Zwischenwahlen im nächsten Jahr treffen“, analysiert Engels. „Damit schließt sich das Fenster für die Umsetzung extremer Maßnahmen, die wirtschaftlichen Schaden beim US-Konsumenten verursachen und damit auch bei der eigenen Wählerbasis schlecht ankommen könnten.“ Allerdings werde Trump am strategischen Ziel einer US-Entkopplung von der chinesischen Wirtschaft und – in etwas abgemilderter Form auch von der EU – festhalten.
US-Präsident Trump bleibt dominierender Faktor am Kapitalmarkt
Dies birgt aus Anlegerperspektive für die zweite Hälfte des laufenden Jahres einige Risiken, aber auch Chancen. „US-Präsident Trump hat mutwillig mit alten handels- und sicherheitspolitischen Ordnungen gebrochen. Das Umfeld wird unsicher bleiben, aber wir rechnen mit einem gewissen Gewöhnungseffekt. Gerade US-Unternehmen sind sehr anpassungsfähig und lernen immer besser, die anfänglich belastenden Effekte aus der Zollpolitik in den Griff zu bekommen.“ Daher ist nach einer temporären Verschlechterung des Umfelds weniger Chaos in den Handelsbeziehungen zu erwarten. Die Experten von Union Investment gehen davon aus, dass das Zollniveau für Einfuhren in die USA künftig insgesamt deutlich höher liegen wird als heute. „Ein Anstieg von derzeit durchschnittlich etwa zwölf Prozent auf rund 18 Prozent ist realistisch. Das ist signifikant höher als das Niveau von drei Prozent beim Amtsantritt von Trump Anfang des Jahres.“
Dabei ist die Unfallgefahr nicht zu unterschätzen. „Eine Verhärtung der Positionen im Zollkonflikt mit China oder Europa kann das Wirtschaftswachstum stärker als erwartet belasten und zudem die Inflation anheizen.“ Die Unsicherheit darüber dürfte zu einem schwankungsreichen zweiten Halbjahr an den Kapitalmärkten führen. Dazu beitragen sollte auch das anstehende Gesetzesvorhaben der Trump-Regierung mit der Verlängerung der Steuersenkungen aus dem Jahr 2017 sowie der Anhebung der Schuldenobergrenze. Die Kapitalmarktakteure werden deshalb verstärkt auf die Verschuldungslage der USA blicken. Einen Käuferstreik bei US-Staatsanleihen erwartet Engels aber nicht.
Aufgrund der Zollthematik fällt aus Sicht der Volkswirte von Union Investment das Wachstum in den USA im laufenden Jahr mit 1,5 Prozent schwächer aus als 2024 (2,8 Prozent). Trotz der Belastungen aus Importzöllen für den Konsum erwarten sie aufgrund des anhaltend robusten Arbeitsmarkts keine Rezession. „Wachstumsseitig steht eine Verlangsamung bevor“, sagt Kapitalmarktexperte Engels. „Es bleibt aber dabei, dass die USA trotz der erratischen Zoll- und Wirtschaftspolitik die besseren Konjunkturaussichten als die übrige Welt haben.“ Für 2026 ist ein Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 1,9 Prozent möglich.
Wachstum verlangsamt sich in den USA, in Europa nimmt Dynamik zu
Für die deutsche Wirtschaft erwarten die Experten von Union Investment durch die Zuspitzung im Handelskonflikt zwischen den USA und der EU für 2025 zwar eine Belastung der Wertschöpfung. Gleichwohl nimmt die wirtschaftliche Dynamik insbesondere in Deutschland zu. Im Euroraum dürfte das BIP-Wachstum 2025 und 2026 jeweils 1,0 Prozent betragen. Anders als in den USA dürfte im Euroraum aufgrund des schwachen Wachstums die Teuerung gegen Jahresende hin unter dem Notenbankziel von rund zwei Prozent liegen. „Wichtig ist, dass die in den europäischen Hauptstädten geschnürten Fiskalpakete beherzt umgesetzt werden und die Entlastung der Wirtschaft schnell vorangetrieben wird, damit unser Wohlstand nicht durch eine anhaltende Stagnation gefährdet wird“, sagt Engels. „Jeder Beitrag zu einer größeren wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Selbständigkeit der EU dürfte sich langfristig auszahlen und kann die Attraktivität europäischer Anlagen steigern.“
Fed sind durch höhere US-Inflation Hände gebunden, EZB kann Zinsen weiter senken
Hinsichtlich der Geldpolitik erwartet Engels wegen des unterschiedlichen Wachstums-Inflations-Mix im zweiten Halbjahr deutliche regionale Unterschiede. „Weil die Kerninflation durch die höheren US-Importzölle in den USA bis zum Jahresende in Richtung von vier Prozent steigen dürfte, sind der US-Notenbank die Hände für weitere Zinssenkungen gebunden“. Dagegen wird das gebremste Wachstum im Euroraum den Inflationsdruck mindern. Das gibt der Europäischen Zentralbank (EZB) Spielraum für mindestens einen weiteren Zinssenkungsschritt um 25 Basispunkte bis September. Das größere Zins- und Wachstumsdifferenzial beeinflusst auch die Attraktivität der einzelnen Anlageklassen.
Für den Euro-Dollar-Wechselkurs ergibt sich daraus ein gemischtes Bild. „Auf Basis der Kaufkraftparität ist der US-Dollar gegenüber dem Euro deutlich überbewertet“, hält Engels fest. Längerfristig dürften geringere Zuflüsse oder graduelle Abflüsse von Anlagegeldern zur Schwächung des Greenbacks führen. Kurzfristig spricht der Zinsunterschied aber für eine Kursstabilisierung.
Europäische Unternehmensanleihen als Ruhepol im Portfolio
Mit Blick auf die Anleihemärkte sind in den USA die Chancen für steigende Kurse aktuell begrenzt. „Die schwierigen Verhandlungen um den US-Haushalt und die Sorgen vor einem Reißen der Obergrenze für die US-Verschuldung dürften die Märkte noch über den Sommer hin beschäftigen“. Laut Engels ist eine weitere Erosion des Vertrauens in die Rahmenbedingungen des größten Wirtschafts- und Finanzplatz der Welt bereits absehbar. „Dies birgt einerseits Risiken für US-Anlagen, andererseits aber auch Chancen für Anlagen etwa in Europa oder in Schwellenländern“, fasst Engels zusammen.
„Gerade europäische Unternehmensanleihen guter und sehr guter Bonität können ihre Rolle als Ruhepol in einem Portfolio ausspielen, da die fundamentalen Trends weiterhin sehr solide sind.“ Der Kapitalmarktexperte ist sich sicher: „Die Aussicht auf eine noch dynamischere Zunahme der US-Verschuldung wird Anleger dazu bringen, höhere Risikoprämien für länger laufende US-Staatspapiere zu verlangen. Diesem Trend werden sich europäische und deutsche Staatsanleihen nicht völlig entziehen können, gerade angesichts der auch hierzulande steigenden Staatsverschuldung“. Sinkende EZB-Leitzinsen dürften die Kurse von Anleihen aus dem Euroraum aber in der zweiten Jahreshälfte noch etwas stützen.
Aktien können von Modernisierung der Infrastruktur profitieren
Für die Aktienmärkte ist Engels auf Sicht der kommenden Monate vorsichtig gestimmt. „Die Aktienkurse nehmen bereits positive Ergebnisse im Handelskonflikt und anhaltendes Gewinnwachstum der Unternehmen vorweg“. Die Experten von Union Investment erwarten aber, dass die Unternehmen belastende Effekte in der Regel meistern können und sich das Gewinnwachstum dies- und jenseits des Atlantiks fortsetzt. „Aufgrund der günstigeren Bewertung und dank sinkender Finanzierungskosten bieten europäische Aktien aktuell ein attraktiveres Chance-Risiko-Profil“, so Engels. Mehr Auftrieb könnten europäische Aktien erhalten, wenn Wachstumsbremsen im Euroraum gelockert werden: „Der Ausbau der Verteidigungsindustrie und die Modernisierung unserer Infrastruktur kann längerfristig Wachstumschancen für europäische Unternehmen schaffen, wie sie lange nicht vorhanden waren“.
Für Rohstoffe ist Engels verhalten zuversichtlich: „Gold wird ein sicherer Hafen bleiben, ist aber zu hoch bewertet, so dass wir von einer Neuanlage abraten.“ Chancen sieht er dagegen am Energiemarkt. Die schwache fundamentale Entwicklung der Nachfrage und die Aussicht auf die Erhöhung der Produktionskapazitäten im Ölkartell OPEC hat den Ölpreis stärker als erwartet belastet. Dies dürfte zu einer sinkenden Produktion in den USA führen, da sich insbesondere die Förderung von Schieferöl zum gegenwärtigen Kurs nicht mehr lohnt. „In Summe sehen wir den Brent-Ölpreis fair bewertet bei rund 65 bis 70 US-Dollar zum Jahresende.“
Trotz schwierigen Umfelds bieten sich Chancen am Kapitalmarkt
Insgesamt bietet das Kapitalmarktumfeld viele Herausforderungen, aber auch selektive Chancen. „Wir erwarten weniger Chaos in der Zollthematik. Damit steigt für die Unternehmen die Planungssicherheit und das Risiko der Investitionszurückhaltung nimmt ab, was sich besonders im nächsten Jahr in weiterem Gewinnwachstum niederschlagen dürften.“ In Europa kommt der Effekt steigender Investitionen in Verteidigung und Infrastruktur hinzu. In den USA sollte zudem nach dem zollbedingten US-Inflationshoch zum Jahresende 2025 hin die Teuerung wieder etwas sinken. Somit zeichnet sich gegen Ende des Jahres eine graduelle Verbesserung des Marktumfelds ab: „Auch wenn es für eine Entwarnung zu früh ist und das Umfeld schwierig bleibt, sollten Anleger die Nerven behalten. Gelassenheit dürfte sich auszahlen: Insbesondere in Europa lassen sich lukrative Anlagemöglichkeiten finden“, so Engels.
Von Dr. Frank Engels, Kapitalmarktvorstand bei Union Investment
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