Carmignac-Fondsmanagerin: „Auf lange Sicht führt am chinesischen Markt weiterhin kein Weg vorbei“

Bei Anlagen in China ist ein selektiver und langfristiger Ansatz entscheidend. Zudem unterstreichen die jüngsten Sorgen ausländischer Anleger im Hinblick auf das Land, wie wichtig ein gutes Verständnis der durchgeführten Reformen ist, so Carmignac-Fondsmanagerin Haiyan Li-Labbé. Carmignac | 31.01.2022 14:24 Uhr
Haiyan Li-Labbé, Fondsmanagerin bei Carmignac / © Carmignac
Haiyan Li-Labbé, Fondsmanagerin bei Carmignac / © Carmignac
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Was halten Sie von dem Beschluss, den das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas im vergangenen Monat gefasst hat, um Xi Jinping in seiner Rolle als Staatschef zu stärken? 

Haiyan Li-Labbé: Dieser Beschluss, der auf der letzten Vollversammlung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas am 11. November gefasst wurde, ebnet den Weg für eine dritte Amtszeit von Präsident Xi Jinping in etwas mehr als einem Jahr. Aufmerksame Beobachter des Landes wird dieser Schritt kaum überrascht haben. Xi Jinping ist in der Bevölkerung und vor allem in den ländlichen Regionen Chinas überaus beliebt. Darüber hinaus steht der Beschluss im Einklang mit dem Wunsch nach Stabilität und Kontinuität der chinesischen Behörden, und er gewährleistet die Fortführung der mehrjährigen Reformbemühungen. 

Die Entscheidung folgte auf neue Bedenken gegenüber China von Seiten ausländischer Anleger. Können Sie Näheres dazu sagen? 

H. L.: Vergangenen Sommer machte sich an den chinesischen Handelsplätzen tatsächlich Sorge breit. Ausgelöst wurde dies durch strengere Bestimmungen für bestimmte Sektoren, die zahlreiche Auswüchse (marktbeherrschende Positionen, Ungleichheiten, Prekarität usw.) dauerhaft korrigieren sollen. Die finanziellen Probleme des chinesischen Immobilienriesen Evergrande, die kurz darauf für Schlagzeilen sorgten, waren alles andere als hilfreich, um ausländische Anleger zu beruhigen. 

Kürzlich mehrten sich ebenfalls die Sorgen hinsichtlich der Notierung von chinesischen Unternehmen an der Wall Street. Was hat es damit auf sich? 

H. L.: Die US-Behörden haben beschlossen, ihre Transparenzanforderungen an chinesische Unternehmen zu erhöhen. Sie müssen nun umfangreichere Informationen, insbesondere in Buchhaltungsfragen, sowie ihre Verbindungen zu Peking offenlegen. Erfüllen Sie diese Auflagen nicht, ist eine weitere Notierung an US-Börsen ausgeschlossen. In Anlegerkreisen sorgte dies für Unruhe, und einige Investoren fragten sich gar, ob Ausländer künftig überhaupt noch Aktien von chinesischen Unternehmen halten könnten. Diese Befürchtungen sind jedoch unbegründet, denn ausländische Anleger können über die chinesischen Finanzmärkte oder die Hongkonger Börse auch künftig in chinesischen Unternehmen anlegen.

Wie erklären Sie sich die verschiedenen Bedenken ausländischer Anleger? 

H. L.: Evergrande ist in erster Linie ein isolierter Einzelfall. Die angekündigten aufsichtsrechtlichen Verschärfungen haben die Anleger aufgeschreckt, weil diese deutlich umfangreicher waren als andere Beschlüsse in den Jahren 2015 und 2018. Dabei zielen sie vor allem darauf ab, die Auswüchse der sehr schnellen Entwicklung in bestimmten Branchen zu korrigieren, die Armut und die soziale Ungleichheit weiter zu verringern sowie das Wirtschaftswachstum nachhaltiger und ökologischer zu gestalten. Meines Erachtens verdeutlichen die Sorgen dieser Anleger vor allem, wie wichtig ein Verständnis der Reformen – und zwar insbesondere der sozialen Reformen – in China ist, um den Wandel des Landes besser nachvollziehen zu können.

Wird China von ausländischen Investoren falsch eingeschätzt? 

H. L.: Mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP), das dieses Jahr laut Erwartungen auf mehr als 16 Billionen US-Dollar steigen wird,1 ist China die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Auch hinsichtlich der Marktkapitalisierung (rund 20 Bio. USD) nimmt das Land den zweiten Platz hinter den USA (fast 43 Bio. USD), aber vor Japan (7 Bio. USD), dem Vereinigten Königreich und Frankreich (jeweils etwa 3 Bio. USD) ein.2 Trotzdem ist China in den internationalen Börsenindizes nach wie vor unterrepräsentiert. 

Liegt dies nicht auch an einer schlechten Kommunikation mit ausländischen Anlegern? 

H. L.: Zweifelsohne, und während der bereits genannten Phase im vergangenen Sommer hat die Regierung versucht, die Anleger möglichst schnell zu beruhigen. Es besteht zwar sicher Raum für Verbesserungen, doch China öffnet sich ausländischen Anlegern immer mehr und bemüht sich um eine Verbesserung der Kommunikation und Transparenz. Um den Austausch mit ausländischen Anlegern zu fördern, veröffentlichen daher mittlerweile immer mehr chinesische Unternehmen Berichte auf Englisch und stellen Manager mit Englischkenntnissen ein. 

Sie haben soziale Reformen angesprochen. Das ist nicht unbedingt der erste Aspekt, an den ausländische Anleger bei China denken. 

H. L.: Von den in China durchgeführten Reformen soll zunächst die Bevölkerung des Landes profitieren. Die Maßnahmen, die seit einigen Jahren in Bezug auf die soziale Sicherheit und die Renten ergriffen werden, gehören zu den ambitioniertesten der letzten Jahrzehnte. So konnten dank der Reformen etwa eine Milliarde Menschen der Armut entkommen. 

Gibt es weitere Beispiele für Fortschritte in sozialen Fragen? 

H. L.: Nur wenige wissen, dass heute fast die gesamte chinesische Bevölkerung (95%) über eine Krankenversicherung verfügt, im Gegensatz zu lediglich 5% im Jahr 1990.3 Vor dreißig Jahren zahlten nur 30% der in Städten beschäftigten Menschen Rentenversicherungsbeiträge. Heute sind es nahezu 70%.4 Im Hinblick auf die Gleichstellung von Mann und Frau ist darüber hinaus anzuführen, dass laut Weltbank rund 60% der Chinesinnen erwerbstätig sind, gegenüber durchschnittlich nur rund 47% der Frauen weltweit. Die Zahl der Menschen, die Zugang zu einem Pensionsfonds haben, ist in dreißig Jahren von 25 Millionen auf 900 Millionen gestiegen.5

Wie steht es mit der Umwelt, einem der aktuellen Kernanliegen der Anleger? 

H. L.: China verfolgt das ambitionierte Ziel, bis 2060 klimaneutral zu werden, und hat mehrere Maßnahmen zur Unterstützung von Investitionen zugunsten der Umwelt angekündigt. Weitere Maßnahmen zur Förderung unter anderem von erneuerbaren Energien, intelligenten Stromnetzen6 oder Stromspeichern werden erwartet. Auch im Hinblick auf die Anleger zeigen chinesische Unternehmen umfassende Bemühungen, um ihr Reporting und ihre Transparenz in ökologischen, sozialen und die Unternehmensführung betreffenden Fragen (ESG) zu verbessern. 

Wie schätzen Sie angesichts der bisherigen und künftigen Reformen die langfristigen Aussichten des Landes ein? 

H. L.: Unseren Schätzungen zufolge könnte sich das chinesische BIP bis 2035 verdoppeln und China damit die USA hinter sich lassen. Dank der Reformen treibt das Land seine technologische Unabhängigkeit voran, und aus diesem strategischen Wandel ergeben sich neue Anlagegelegenheiten. Wir haben vier wichtige langfristige Trends ermittelt: technologische Innovationen, ökologischer Wandel, Veränderung des Konsumverhaltens sowie Gesundheit und medizinische Innovationen. 

Man kann also auch weiterhin in China investieren? 

H. L.: Solange man selektiv vorgeht und einen langfristigen Ansatz verfolgt, kann die chinesische Börse in den kommenden 10 bis 15 Jahren Anlagechancen bieten. Auf lange Sicht führt am chinesischen Markt weiterhin kein Weg vorbei. Dabei ist es jedoch unerlässlich, sich eingehend mit dem Land und seinen Unternehmen zu befassen. Wichtig ist auch ein Interesse für die künftigen Wachstumstreiber der chinesischen Wirtschaft sowie der Weltwirtschaft, die sich von den aktuellen gewiss unterscheiden werden. Wir bei Carmignac versuchen, die potenziellen Weltmarktführer von morgen zu identifizieren. Dafür analysieren wir nicht nur die Entscheidungen der chinesischen Regierung, sondern versuchen auch zu verstehen, welche Ziele sie für das Land und seine Wirtschaft verfolgt. 

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1) Statista
2) Bloomberg, Carmignac
3) Quelle: Ministerium für Humanressourcen und soziale Sicherheit (MOHRSS) der Volksrepublik China, 31.12.2018  
4) Quellen: HSBC Global Asset Management Research – Taking the pulse: China’s healthcare sector, veröffentlicht im Juni 2019, Weltgesundheitsorganisation (WHO), Ministerium für Humanressourcen und soziale Sicherheit (MOHRSS) der Volksrepublik China, letzte verfügbare Daten vom 31.05.2019  
5) Quellen: CICC, Ministerium für Humanressourcen und soziale Sicherheit (MOHRSS) der Volksrepublik China, 31.12.2018
6) Intelligente Stromnetze (bzw. auf Englisch „smart grids“) sind Netze zur Stromverteilung, die den Datenaustausch zwischen den Stromversorgern und den Verbrauchern fördern, um den Stromfluss in Echtzeit zu steuern und eine effiziente, wirtschaftliche und sichere Stromversorgung zu gewährleisten.

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