„Die Situation, mit der die EZB konfrontiert ist, bleibt sehr heikel. Einerseits muss die Inflationsdynamik in der Eurozone angegangen werden. Andererseits haben sich die wirtschaftlichen Aussichten, insbesondere für das verarbeitende Gewerbe, deutlich verschlechtert.
„Für die kommende Sitzung erwarten wir, dass die EZB das Ende der quantitativen Lockerung (Quantitative Easing – QE) beschließt und die erste Zinserhöhung von 0,25 Prozent für Juli ankündigt. Die EZB wird ihre vierteljährlichen Stabsprognosen vorlegen, aus denen hervorgehen dürfte, dass die Inflation 2024 mindestens 2 Prozent erreicht und damit die verbleibende unerfüllte Bedingung der Forward Guidance erfüllt, die für den Beginn einer Zinserhöhung erforderlich ist.
Wir gehen heute nicht davon aus, dass die EZB im Juli eine erste Zinserhöhung um 0,5 Prozent vornehmen wird. Erstens hat die EZB die Notwendigkeit eines schrittweisen Vorgehens zum Ausdruck gebracht. Zweitens halten wir es für unwahrscheinlich, mit 0,5 Prozent zu beginnen, und zwar aus ähnlichen Gründen wie die Fed, die sich letztlich gegen die Aussicht auf 0,75 Prozent entschieden hat. Allerdings würde ein überraschend hoher Inflationsdruck im Juni die Wahrscheinlichkeit eines 0,5 Prozent-Anstiegs deutlich erhöhen. Darüber hinaus sollten die Anleger eine Erhöhung um 0,5 Prozent zu einem späteren Zeitpunkt nicht ausschließen, insbesondere nach September, wenn die mittelfristigen Prognosen erneut aktualisiert werden.
Im weiteren Verlauf besteht das Hauptrisiko der EZB-Politik für die Anleger darin, ob und wann der EZB-Rat beschließt, dass die Politik ‚gestrafft‘ werden muss. Bisher ist der Rahmen lediglich eine ‚Normalisierung‘, was im Wesentlichen bedeutet, dass die Zinssätze auf ein ‚neutrales Niveau‘ und nicht in den restriktiven Bereich gebracht werden sollen. Die aktuellen Marktpreise spiegeln diese Mitteilung wider, wobei der EZB-Leitzins in der Nähe von 1,7 Prozent liegt, also im oberen Bereich der von einigen EZB-Ratsmitgliedern genannten ‚neutralen‘ Spanne von 1 bis 2 Prozent, aber nicht darüber.
Obwohl die Zinsmärkte in Europa bereits einen signifikanten Zinserhöhungszyklus einpreisen, halten wir es zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht, ein Long-Engagement an den europäischen Zinsmärkten aufzubauen, insbesondere vor der ersten Zinserhöhung.
Was die Spreads der Peripherieländer betrifft, so wird derzeit darüber diskutiert, ob die EZB ein ‚Stabilisierungsinstrument‘ einführen wird, um zu verhindern, dass sich Zinserhöhungen unverhältnismäßig stark auf die Finanzierungskosten der Peripherieländer auswirken. Wir erwarten, dass die EZB an dieser Front eher reaktiv als proaktiv vorgehen wird. So könnten die Märkte zunächst die Schmerzgrenze der EZB testen, indem sie die Spreads der Peripherieländer ausweiten, bis dies eine Diskussion über einen neuen politischen Mechanismus erzwingt. Daher bleiben wir auch bei den Peripherie-Spreads vorsichtig.
Gergely Majoros, Mitglied des Investmentkomitees von Carmignac