Brief von Edouard Carmignac: Wird die Bekämpfung der Inflation zweitrangig?

Edouard Carmignac, Vorsitzender und Chief Investment Officer (CIO) des von ihm 1989 gegründeten Unternehmens Carmignac, greift zur Feder und kommentiert aktuelle wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Herausforderungen. Carmignac | 23.10.2023 08:54 Uhr
Edouard Carmignac, Vorsitzender und Chief Investment Officer (CIO) von Carmignac / © e-fundresearch.com / Carmignac
Edouard Carmignac, Vorsitzender und Chief Investment Officer (CIO) von Carmignac / © e-fundresearch.com / Carmignac
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Sehr geehrte Damen und Herren,

In meinem letzten Schreiben hatte ich dargelegt, dass die seit Jahresbeginn erwartete Godot-Rezession alles andere als gewiss ist. Jetzt, drei Monate später, lassen sich die zahlreichen Anzeichen einer weltweiten konjunkturellen Verlangsamung zwar nicht leugnen, eine Rezession ist allerdings weiterhin nicht in Sicht.

Die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft, die ungeachtet des massiven Zinsanstiegs auf beiden Seiten des Atlantiks zu beobachten ist, geht auf die beispiellosen Fiskalmaßnahmen zurück, mit denen Haushalte und Unternehmen für die durch die Coronapandemie verursachten Einkommenseinbußen entschädigt werden sollten. Da man drei Jahre nach Ausbruch des Virus noch immer nicht zu einer restriktiveren Haushaltspolitik zurückgekehrt ist, wuchsen die Haushaltsdefizite weiter an und die Wirtschaft wurde unterstützt.

Ebenso hat sich die restriktive Geldpolitik als wenig wirksam erwiesen, denn der dank steigender Löhne und niedriger Arbeitslosenquoten robuste Konsum wird durch die Spannungen – insbesondere auf dem Arbeitsmarkt – aufrechterhalten. Ganz anders sieht es allerdings mit der Fähigkeit der Staaten aus, ihre wachsenden Defizite weiterhin zu moderaten Zinssätzen zu finanzieren. Die privaten Haushalte möchten mit ihren Ersparnissen weiterhin von den Wertsteigerungschancen an den Aktienmärkten profitieren, während die großen traditionellen Kreditgeber, China und Japan, sich allmählich von amerikanischen und europäischen Anleihen abwenden.

Angesichts des starken Anstiegs der langfristigen Zinsen in diesem Quartal (bei 10-jährigen US-Staatsanleihen von 3,80% auf 4,80% und bei Bundesanleihen von 2,40% auf 2,90%) hoffen viele Anleger auf eine Stabilisierung oder gar einen Rückgang. Vielleicht etwas zu spät, nostra culpa, doch wir bezweifeln das. Der Bedarf an öffentlichen Finanzierungen lässt sich nur schwer reduzieren und die vorhandenen Ersparnisse werden nicht ausreichen, um diesen Bedarf zu decken, solange sich im Zuge der globalen Aktivität attraktive Anlagealternativen bieten.

Wie sind die Marktaussichten vor diesem Hintergrund? Wir sind davon überzeugt, dass die Notenbanken keine Experimente wagen werden und die Finanzierung der Ausgaben der öffentlichen Hand nicht noch länger gefährden wollen. Außerdem scheint uns ein weiterer Anstieg der kurzfristigen Zinsen in den USA und Europa entgegen der aktuell vorherrschenden Konsensmeinung unwahrscheinlich. Unter diesen Umständen wird die Bekämpfung der Inflation zweitrangig, sodass die Realzinsen bei kurzen Laufzeiten (unter 5 Jahren) deutlich sinken dürften. Die Entwicklung der Langfristzinsen ist weiterhin ungewiss und könnte sich bei bislang weniger restriktiven Ländern gar als problematisch erweisen. Durch die Aussicht auf moderate kurzfristige Realzinsen werden die Konjunktur und so die Kreditmärkte unterstützt. Was Aktien betrifft, so dürften sie zwar weiterhin durch das abflauende Rezessionsrisiko gestützt werden, ihre Bewertung wird jedoch durch die hohen Nominalzinsen und die Verlangsamung infolge der unausweichlichen Reduzierung der Haushaltsdefizite beeinträchtigt werden. Mehr denn je gilt es, Unternehmen mit geringer Verschuldung und hoher Transparenz den Vorzug zu geben.

Und wie bei Godot heißt es wohl auch in Bezug auf die Rezession weiterhin abwarten.

Mit freundlichen Grüßen,

Edouard Carmignac

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