Herr Böhmer, 2021 hat die große Umschichtung von Tech-Aktien in Value-Aktien gebracht. In Ihren Mandaten spielen gerade Value-Aktien eine große Rolle. Auf welche Aspekte schauen Sie denn aktuell bei der Aktienauswahl?
Heiko Böhmer: Der klassische Value-Ansatz achtet ja in erster Linie auf die Bewertung einer Aktie im Vergleich zu ihrem Substanzwert. Das ist bei unserem Modern-Value-Ansatz ein bisschen anders. Wir schauen bei den möglichen Kandidaten für unsere Mandate als erstes auf die Ertragskraft. Es hat sich in den vergangenen Jahren immer stärker gezeigt, dass sich hohe stetige Gewinne der Unternehme auch in überdurchschnittlichen Kurszuwächsen niederschlagen. Für die Ertragskraft ist es wichtig, dass das Unternehmen über einen strukturellen Wettbewerbsvorteil, den Burggraben, verfügt. Er ermöglicht Preissetzungsmacht. Wenn das Unternehmen aufgrund seiner Ertragskraft eine möglichst hohe Rendite auf das eingesetzte Kapital bietet, sprechen wir von wunderbaren Unternehmen.
Bei solchen wunderbaren Unternehmen sind wir dann auch bereit, eine höhere Bewertung in Kauf zu nehmen. Wenn es dann aber durch kurzfristige Marktverschiebungen sogar noch zu fallenden Kurse kommt und unsere berechnete Sicherheits-Marge größer wird, steigen wir auch kurzfristig bei Unternehmen ein.
Welche konkreten Beispiele für neue Positionen in Ihren Mandaten haben Sie denn?
Böhmer: Unilever ist hier ein Beispiel für ein defensives Investment. Dieses Unternehme hatten wir schon lange unter Beobachtung. Doch durch die Marktschwäche in diesem Segment erreichte die Aktie im März ein sehr attraktives langfristiges Einstiegsniveau. Klar ist: Die Produktpalette von Unilever wird gerade auch in schwierigen Zeiten dauerhaft nachgefragt - denn viele Hygieneartikel oder auch Lebensmittel bekannter Marken gehören zu Unilever. Doch gerade 2020 wollten viele Investoren massives Wachstum sehen - das kann Unilever nicht bieten - aber stabile Erträge.
Das hört sich so an, als ob Sie doch eher den Fuß auf der Bremse haben derzeit? Rücken so auch Dividenden wieder in den Fokus?
Böhmer: Bei neuen Positionen schauen wir schon danach, dass es eher defensivere Unternehmen sind - die auch in einem Umfeld mit steigender Inflation noch stabile Erträge liefern können. Dividenden sind gar nicht so wichtig. Überspitzt formuliert kann man sogar sagen: «Wir wollen gar keine Dividenden.»
Das klingt aber ungewöhnlich - denn Dividenden gelten allgemein doch als solide Renditequelle bei Aktien.
Böhmer: Das ist auch grundsätzlich richtig. Doch wenn man sich die Bilanzen genauer anschaut, dann können gerade die Unternehmen langfristig hohe Wertzuwächse erzielen, die geringe oder sogar keine Dividenden ausschütten. Entscheidend ist der ROIC, die Rendite auf das investierte Kapital. Wenn die hoch genug ist, dann kann es aus Sicht eines Investors attraktiver sein, wenn das Kapital im Unternehmen reinvestiert wird, statt es als Dividenden auszuschütten. Voraussetzung dafür ist ein skalierbares Geschäftsmodell, dass ohne exponentielle Marketingaufwendungen wachsen kann.
Ein gutes Beispiel ist hier Berkshire Hathaway, die Beteiligungsgesellschaft von Warren Buffett und eine unserer größten Positionen im «Frankfurter Aktienfonds für Stiftungen». Seit 1965 zahlt Warren Buffett keine Dividende - steigert aber stetig den Wert des Unternehmens. Das ist ablesbar am einbehaltenen Gewinn. Der erreichte 2020 den Rekordwert von 444 Mrd. US-Dollar. Stellen Sie sich vor: Seit 2016 ist dieser Wert um fast 111 Prozent angestiegen und deckt jetzt fast 78 Prozent des Börsenwertes ab. So etwas erkennt dann auch die Börse an - Berkshire Hathaway hat gerade in diesem Jahr einen klaren Aufwärtstrend mit neuen Rekordkursen aufzuweisen.
Also kann man daraus ableiten, dass Investoren stärker auf die stetig steigenden Gewinne von Unternehmen schauen sollten und die Dividenden nicht so wichtig sind?
Böhmer: Dividenden können tatsächlich eine gute Basis sein - gerade bei langfristigen Investitionen. Doch wenn die Unternehmen die erzielten Gewinne im Unternehmen höher verzinsen können, wird das langfristig deutlich höhere Erträge liefern, die sich dann auch in deutlich höheren Kursen an der Börse niederschlagen. Diesen Zinseszins-Effekt bezeichnete schon Albert Einstein als das 8. Weltwunder!
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Böhmer!
Heiko Böhmer ist seit Anfang 2020 als Kapitalmarktstratege bei der Shareholder Value Management AG tätig. Der erfahrene Finanzredakteur schreibt schon seit 1999 über das nationale und
internationale Börsengeschehen. Dabei hat er in einigen tausend Artikeln immer wieder Value
Investing zum Thema gemacht. Viele der Artikel sind bei GeVestor, einem der führenden Verlage
für Finanzinformationen im deutschsprachigen Raum, erschienen. Zudem gehört Heiko Böhmer als
Experte und Redner zum Programm vieler deutscher Börsentage und Finanzmessen wie der Invest
in Stuttgart. Für die Shareholder Value Management AG präsentiert Heiko Böhmer die Markteinschätzungen von Frank Fischer und seinem Analysten-Team nach außen - durch Medienauftritte
und viele Präsentationen im deutschsprachigen Raum.