Kaum ein Thema stand in den vergangenen Tagen so im Fokus wie die Schulden der USA. Die immer weiter steigenden Belastungen haben die Ratingagentur Fitch veranlasst, den Vereinigten Staaten das Top-Rating AAA zu entziehen. Die neue Einstufung lautet AA+. Das hat kurzfristig für einige Turbulenzen gesorgt. Das Thema Schulden hat aber sehr viel weitreichendere Folgen, die ich an dieser Stelle ausführlich vorstellen möchte.
Also hier zunächst der Blick auf die aktuelle Lage. Fitch begründete die Herabstufung u.a. damit, dass „das aktuelle Tempo der Neuverschuldung auf längere Sicht die Fähigkeit der USA beeinträchtige und bedrohe „to pay it´s bills“. Und wenn man auf die aktuelle Lage schaut, dann sind das schon wirkliche Bedrohungen, die sich hier ergeben.
Die US-Schulden explodieren aktuell. Das liegt an gleich drei parallelen Entwicklungen. So steigen die Ausgaben rasant durch den Inflation Reduction Act. Hier werden zahlreiche „grüne“ Projekte finanziert und das mit hohen Subventionen für die beteiligten Unternehmen. Im Grunde erleben wir hier einen Subventionswettlauf zwischen der EU und den USA. Aktuell haben die USA die deutlich tieferen Taschen und bieten so hohe Anreize für Unternehmen an, dass aktuell viele Firmen tatsächlich neue Produktionsstätten in den USA aufbauen. Darunter fällt der „Production Tax Credit“ mit einem Gesamtvolumen von allein 60 Milliarden Dollar. Auf Sicht der kommenden fünf Jahre sollen damit Unternehmen gefördert werden, die saubere Energietechnik herstellen. Abgedeckt durch dieses Gesetz sind so die Produktion von Solarzellen, Windturbinen oder auch Batterien. Hinzu kommen noch weitere 260 Milliarden Dollar Kreditvolumen vom US-Energieministerium, mit dem saubere Energieprojekte ausgestattet werden können.
Der zweite große Ausgabenposten sind die gestiegenen Rüstungsausgaben im Zuge des Ukraine-Kriegs. Nur zur Einordnung: Die Vereinigten Staaten geben in diesem Jahr 858 Milliarden Dollar für Rüstung aus. Das ist rund 80 Prozent mehr als das Volumen des gesamten deutschen Staatshaushaltes und ein neuer Rekordwert. Neben den reinen Rüstungsausgaben haben die USA noch weitere 44 Milliarden Dollar an direkter Hilfe für die Ukraine bereitgestellt. Allein seit 2015 sind so die Rüstungsausgaben in den USA um rund 35 Prozent angestiegen.
Zinszahlungen belasten US-Haushalt
Hinzu kommt ein dritter Ausgabenposten, der bis vor einem Jahr noch gar keine große Rolle gespielt hat: Die Zinszahlungen. Doch die USA müssen Zinsen zahlen auf einen immer größeren Schuldenstand und dann auch noch höhere Zinsen. Immerhin hat sich die Zinslast durch die Erhöhungen der FED verfünffacht. Wie dramatisch diese Faktoren auf den US-Haushalt – also auf die Neu-Verschuldung wirken zeigen die folgenden Zahlen: Im Juli 2022 lag die Neuverschuldung in den USA bei 3,19 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im Juli 2023 ist der Wert auf enorme 8,49 Prozent angestiegen.
Nun sprengen die mehr als 32 Billionen Dollar Staatschulden der USA ganz klar die Vorstellungskraft. Bezogen auf jeden US-Bürger ergibt sich daraus eine rechnerische Pro-Kopf-Verschuldung von rund 97.500 Dollar. Das geht aus Zahlen der Peter G. Peterson Stiftung hervor. In Summe entsprechen die öffentlichen Schulden 98 Prozent der Wirtschaftsleistung – und das mit deutlich steigender Tendenz. Schon 2024 wird die 100 Prozent Marke bei der Schuldenquote erreicht sein. In 10 Jahren hält die Peter G. Peterson Foundation einen Anstieg auf 119 Prozent für möglich. Bis zu 181 Prozent könnte die Schuldenquote dann in den nächsten 30 Jahren steigen.
Dafür gibt es laut der US-Stiftung drei große Treiber – die nicht nur in den USA zu finden sind. Entscheidend ist hier der demographische Wandel. Vereinfacht gesagt kommen die Sozialsysteme an ihre Belastungsgrenze, weil immer mehr Menschen immer älter werden (was eine wirklich positive Sache ist). So soll die Gruppe der US-Bürger über 65 von rund 56 Millionen im Jahr 2020 auf knapp 86 Millionen im Jahr 2050 steigen.
Speziell in den USA belasten langfristig auch die sehr hohen Gesundheitskosten die öffentlichen Kassen. Im Vergleich zu anderen Industrieländern sind die Kosten annähernd doppelt so hoch – doch das US-Medizinsystem ist nicht besser.
Ein dritter Schwachpunkt macht die Peter G. Peterson Foundation beim US-Steuersystem aus, denn die Einnahmen aus den US-Steuern decken schon heute die Ausgaben nicht ab. 2022 gab es hier Einnahmen von 4,9 Billionen Dollar und Ausgaben von immerhin 6,3 Billionen Dollar auf der anderen Seite. Nun sind all das langfristige Entwicklungen, die die Schulden ansteigen lassen.
Wenn aber solche massiven Verschiebungen wie derzeit auftreten, stellt sich die Frage: Was hat das für Folgen für die Kapitalmärkte? Genau hier hilft der Blick zurück, denn solche Phasen stark steigender Schulden hat es in der Vergangenheit schon häufiger gegeben.
Aktien halten sich in Phasen stark steigender Schulden gut
Laut einer aktuellen Analyse des Markt-Experten Friedrich Bensmann haben sich Aktien in solchen Phasen als Anlageklasse positiv entwickelt. Das gleiche galt für Rohstoffe. Gleichzeitig erlebten Bonds und der US-Dollar eine schwache Entwicklung, so dass andere Währungen wie der Euro eine positive Entwicklung aufzuweisen hatten. Bei der unsicheren Lage auf Grund der stark steigenden Schulden hat Gold auch positiv reagiert.
Spannend ist hier besonders der Blick auf die Aktien und die in der Vergangenheit eine positive Entwicklung hatten. Hierfür liefert Bensmann in seiner Analyse eine Erklärung: „Erstaunlich ist, dass die stark steigende Staatsverschuldung sich nicht negativ auf Aktien auswirken muss. Die Erklärung dürfte darin liegen, dass die Zinsen am kurzen Ende historisch nicht so stark gestiegen sind wie am langen Ende. Der Hintergrund dafür wiederum waren die eher moderaten Inflationsraten von rund 3 Prozent in den historischen Vergleichszeiträumen. Ein solches Szenario ist nicht bedrohlich für Aktien allgemein.“
Das ist zumindest kurzfristig eine kleine Entwarnung für die Börsen – auch wenn der Schuldenberg stetig wächst und das Problem uns langfristig sicherlich noch vor große Probleme stellen wird. Und es zeigt, wie wichtig auch für Aktien eine langfristig moderate Inflationsrate ist.
Von Heiko Böhmer, Kapitalmarktstratege bei Shareholder Value Management