Genauer Blick auf die Liquidität angesichts wachsender Risiken

Durch strenge Überwachung und gut kommuniziertes Tapering dürfte die Fed Ausfälle bei Kurzfristfinanzierungen vermeiden – trotz wachsender Risiken. AllianceBernstein | 04.03.2024 13:02 Uhr
© Foto von Edward Howell auf Unsplash
© Foto von Edward Howell auf Unsplash

Angesichts rückläufiger Cash-Reserven innerhalb des US-Finanzsystems sagen einige Marktbeobachter eine Liquiditätsverknappung an den Finanzierungsmärkten voraus. Das sehen wir anders. Um den Grund dafür zu verstehen, muss man nachvollziehen, wie sich das aktuelle Umfeld herausgebildet hat.

Der Balanceakt der Federal Reserve

Im Jahr 2020 erwarb die Federal Reserve als Reaktion auf die Corona-Krise Treasuries und hypothekenbesicherte Wertpapiere (Mortgage-Backed Securities, MBS) in umfangreichem Ausmaß, um die Liquidität innerhalb des Wirtschaftssystems sicherzustellen. Infolge dieser quantitativen Lockerung (Quantitative Easing, QE) wurde die Bilanz der Fed aufgebläht und das Finanzsystem wurde mit Liquidität geflutet, wodurch die Wirtschaft angekurbelt wurde.

Allerdings führte diese QE zu überschüssiger Liquidität an den kurzfristigen Finanzierungsmärkten – d. h. zu viele Barmittel und zu wenige Investitionsmöglichkeiten. Seit 2022 baut die Fed diese überschüssige Liquidität im Rahmen einer quantitativen Straffung (Quantitative Tightening, QT) wieder ab. Um ihre Bilanz zu verkleinern, trat die Fed von ihrer Rolle aus bedeutender Käufer von Schuldtiteln zurück, und bei den Schuldtiteln in ihrer Bilanz wurden die Erlöse nach Fälligkeit nicht wieder reinvestiert.

Dies ist die Ausgangslage für die aktuelle Entwicklung, bei der die QT allmählich in ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage in Bezug auf Cash und Wertpapiere mündet. Einige Marktbeobachter fühlen sich an September 2019 erinnert, als die damalige QT aus dem Ruder lief und die kurzfristigen Finanzierungsmärkte zum Erliegen brachte.

2019 hatte die Fed die Höhe der zur Aufrechterhaltung der Liquidität innerhalb des Systems erforderlichen Bankreserven falsch eingeschätzt und die QT zu lange aufrechterhalten, obwohl es zu einem spürbaren Anstieg von Treasury-Emissionen und erheblichen Abflüssen aus Geldmarktfonds gekommen war. Mit einfachen Worten: Es war nicht mehr genug Cash vorhanden, um das Wertpapierangebot abzudecken. Die Refinanzierungssätze stiegen auf 10%, und die Fed musste die QT abrupt beenden und Notfall-Kreditfazilitäten bereitstellen, um wieder für ausreichend Liquidität zu sorgen.

Unseres Erachtens zeigt sich aktuell jedoch ein anderes Bild. Die Fed ist derzeit sehr bemüht, ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen. Die Pläne zum Tapering der QT werden frühzeitig kommuniziert. Zudem werden die Kennzahlen für die Liquidität an den Finanzierungsmärkten durch die Notenbank genau beobachtet, um einen reibungslosen Übergang sicherzustellen. So dürfte sie eine Wiederholung von 2019 verhindern und die Anlegersorgen zerstreuen können.

Die Indikatoren deuten – bis auf Weiteres – auf anhaltende überschüssige Liquidität hin.

Ein Maßstab für die überschüssige Liquidität ist die Reverse Repo (RRP)-Fazilität der Fed, die von Geldmarktfonds und anderen Nicht-Bank-Finanzinstitutionen genutzt wird, um überschüssige Barmittel einzusetzen – d.h. sie gewähren der Fed Übernachtkredite zu einem festen Zinssatz (Repo-Geschäft). Die Reverse Repo (RRP)-Fazilität bietet als ein wirksames Instrument einen letzten Ausweg, falls kurzfristige Finanzierungsalternativen knapp werden. Vor einem Jahr erreichten die RRP-Reserven ein immenses Volumen von rund 2,5 Billionen USD.

Zuletzt wurden Reverse Repos jedoch weniger genutzt; zum einen, da die Fed ihre Bilanz verkleinert, und zum anderen, da es für Geldmarktfonds attraktivere Alternativen gibt, um ihre Barmittel anzulegen. Setzt sich diese Entwicklung fort, könnte die RRP-Fazilität laut Konsensschätzung bis zum Jahresende erschöpft sein und unter das Niveau von 100-200 Milliarden USD sinken, was das Ende der Überschussliquidität bedeuten würde. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Derzeit werden Reverse Repos in Höhe von über 500 Milliarden USD (Abbildung) in Anspruch genommen, was durch die Fed als ein umfangreiches Niveau erachtet wird. 

Während Reverse Repos die überschüssige Liquidität abbilden, handelt es sich bei der Standing Repo Facility (SRF) um ein Maß für unzureichende Liquidität. Die Standing Repo-Fazilität stellt eine dauerhafte Version der 2019 ergriffenen Notfallmaßnahmen dar. Sie bietet Händlern, die eine Finanzierung benötigen, die Möglichkeit, Kredite zu vordefinierten Zinssätzen aufzunehmen, indem sie Treasuries und andere erstklassige Wertpapiere als Sicherheiten hinterlegen. Dies dient als Absicherung für einen unerwartet starken Anstieg der Tagesgeldzinsen.

Anders ausgedrückt: Es ist keine längere Nutzung der Standing Repo-Fazilität zu erwarten, sofern der SOFR (Secured Overnight Financing Rate) nicht die Obergrenze von 5,5% erreicht oder übersteigt. Das würde dann auf eine unzureichende Liquidität des Finanzierungsmarktes bei dem jeweiligen aktuellen Leitzins hindeuten. Im Umkehrschluss lässt ein SOFR unterhalb der derzeitigen Untergrenze von 5,3% – der Mindestzinssatz, zu dem Geldmarktfonds aktuell Übernachtgeschäfte am Markt für Reverse Repos durchführen können – auf überschüssige Liquidität schließen (Abbildung).

Solange sich der SOFR innerhalb dieser Spanne bewegt – was derzeit der Fall ist – befinden sich Angebot und Nachfrage im Gleichgewicht. Bei einer rückläufigen Inanspruchnahme von Reverse Repos wird der SOFR allmählich in Richtung der Obergrenze von 5,5% steigen, was darauf hindeutet, dass die Fed die Drosselung ihrer QT beschleunigen oder die QT vollständig stoppen sollte – insbesondere, wenn die Standing Repo-Fazilität dauerhaft genutzt wird. 

Liquiditätsrisiken nehmen zu

Die Fed behält jene Faktoren, die eine Liquiditätsknappheit begünstigen könnten, genau im Auge. Zum einen verzeichneten Geldmarktfonds massive Zuflüsse, als die Fed die Zinsen erhöhte. Angesichts der bevorstehenden Zinslockerung dürften sich die Liquiditätsflüsse jetzt wieder zugunsten der Anleihenmärkte verlagern. Der damit verbundene Rückgang der Vermögenswerte der Geldmarktfonds dürfte den Abwärtstrend bei der Nutzung von Reverse Repos beschleunigen.

Das potenzielle Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wird zusätzlich dadurch gesteigert, dass das US-Treasury voraussichtlich Netto-Neuemissionen im Volumen von 2,0 bis 2,5 Billionen USD begeben wird, um seine Defizitausgaben 2024 zu finanzieren. Üblicherweise springen die Großbanken ein und füllen diese Lücke am Markt für kurzfristige Finanzierungen, indem sie als Market-Marker für das US-Treasury fungieren, was zur Wiederherstellung der Marktliquidität beitragen kann. Jedoch wurden die Banken im Rahmen der Reformen, die nach der globalen Finanzkrise in Kraft traten, dazu verpflichtet, für ihre Vermögenswerte – darunter auch US-Staatsanleihen – ein Mindestmaß an Kapital zurückzulegen. Diese Regulierung beeinträchtigt die großen Banken in ihrer Vermittlerrolle und schränkt ihre Fähigkeit ein, zusätzliche Risiken aufzunehmen.

Positiv anzumerken ist allerdings, dass die Fed diese Liquiditätsrisiken erkannt und offenbar aus den Fehlern von 2019 gelernt hat. So hat die Notenbank bereits ihre Absicht erklärt, die quantitative Straffung zu drosseln. Dabei dient die Standing Repo-Fazilität als Rücklage für etwaige erneute Herausforderungen beim Management der Liquiditätsreserven. Die Inanspruchnahme der Standing Repo-Fazilität ist ein mögliches frühes Warnzeichen dafür, dass sich Angebot und Nachfrage auseinander bewegen.

In der Zwischenzeit beobachten wir die kurzfristigen Finanzierungsmärkte und verfolgen auch die Entwicklung der Bankreserven genau. Wir schließen uns dem Marktkonsens an, dass die Reserven zwischen 2,0 und 2,5 Billionen USD liegen sollten, damit ausreichend Liquidität zur Verfügung steht, um ein reibungsloses Funktionieren des Finanzsystems zu gewährleisten. Derzeit belaufen sich die Reserven auf 3,5 Billionen USD (Abbildung), was durch Fed-Vertreter als „mehr als umfangreich“ bezeichnet wurde.

Bleiben Sie informiert und beobachten Sie die Risiken

Da die Fed die Situation sehr aufmerksam verfolgt, halten wir einen Liquiditätsengpass an den kurzfristigen Finanzierungsmärkten für unwahrscheinlich. Dennoch sollten Anleger jene Risiken, die einen Liquiditätsengpass begünstigen und Ausfälle an den Finanzierungsmärkten verursachten könnten, genau im Blick behalten. Die Anleger sollten selbst stets gut informiert bleiben und mit ebenso aufmerksamen und aktiven Managern zusammenarbeiten, um ihre Strategien an die sich verändernden Bedingungen anzupassen.

Von AJ Rivers, CFA, FRM, CAIA, Head—US Retail Fixed Income Business Development & Lucas Krupa, Senior Portfolio Manager—Fixed Income, AllianceBernstein

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