Ein möglicher Anstieg der Inflation und Anleiherenditen wird der Fondsgesellschaft Columbia Threadneedle Investments zufolge vom Markt unterschätzt. „Es ist überraschend, wie viele Menschen denken, dass Renditen wegen des Quantitative Easing nicht steigen können“, sagt Paul Doyle, Leiter für europäische Aktien außerhalb Großbritanniens bei Columbia Threadneedle, mit Blick auf die außergewöhnlichen geldpolitischen Maßnahmen (auf Englisch: Quantitative Easing) der Notenbanken. „Die Konsensmeinung lautet dass es keine nennenswerte Inflation geben wird und dass die Anleiherenditen nicht groß steigen können.“
Doyle verweist auf die Entwicklung der Renditen von US-Staatsanleihen in den vergangenen Monaten: Diese hätten vor einem Jahr bei 1,9 Prozent gelegen und nun bei rund einem Prozent – „trotz der umfangreichsten haushalts- und geldpolitischen Maßnahmen aller Zeiten“, wie der Experte zu bedenken gibt. „Warum sollten sie nicht auf das Niveau von Anfang 2020 zurückkehren, wenn der Markt beginnt, Covid-19 auszupreisen?“
Zumal die US-Notenbank Fed angesichts ihres neuen Ansatzes der Durchschnitts-Inflation künftig deutlich höhere Inflationsniveaus tolerieren werde, bevor sie einschreite. Dies hinterlässt dem Experten zufolge bereits Spuren: So lägen die US-Inflationserwartungen für die kommenden fünf Jahre aktuell über denen der vergangenen fünf Jahre – erstmals seit der globalen Finanzkrise von 2009. „Das zeigt, dass Investoren anfangen, eine mittelfristige Rückkehr der Inflation für möglich zu halten, auch wenn das Niveau aktuell niedrig ist.“
Als Inflationstreiber könnte sich nach Ansicht von Columbia Threadneedle die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes erweisen. Diese sei 2020 regelrecht abgesackt. „Aber wenn sie sich stabilisiert und dann anzieht, dürfte sie zu Inflationsdruck führen“, sagt Doyle. So zögen die Löhne und Immobilienpreise in den USA bereits wieder an. Etwa ab dem zweite Quartal 2021 sollten die Ersparnisse der Privathaushalte, die sich während der Pandemie aufgebaut hätten, in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen. Doyle: „Die Geldmenge ist 2020 überall gestiegen. Tendenziell läuft sie den Einkaufsmanagerindizes (Purchasing Manager Indices – PMIs) um etwa neun Monate voraus. Das ist noch nicht in die Anleiherenditen eingepreist, deren Entwicklung stark an die der PMIs gekoppelt ist.“
Insofern erwartet der Experte keine Verhältnisse wie in Japan, wo die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes jahrelang abgenommen habe, unter anderem, weil die Immobilienmärkte korrigiert hätten. „Infolgedessen wurde das Deleveraging zu einem sich selbst erfüllenden Problem, und die Lebensgeister kehrten nicht zurück.“
Die Anleiherenditen hinkten den höheren Inflationserwartungen noch hinterher. Doyle: „Zwar könnte das Quantitative Easing die US-Renditen davon abhalten, auf 2,5 oder drei Prozent zu steigen. Aber warum sie nicht wieder bei 1,5 Prozent liegen sollten, ist nicht nachvollziehbar.“ In Europa werde der Anstieg wahrscheinlich geringer ausfallen als in den USA. Denn die Europäische Zentralbank beabsichtige, mehr Anleihen zu kaufen als die US-Notenbank Fed – gemessen am geplanten Emissionsvolumen.
Allerdings ist ein möglicher Renditeanstieg am langen Ende der Zinsstrukturkurve Doyle zufolge begrenzt. Solange die Zinsen am kurzfristigen Ende bei null lägen, könne die Kurve nicht viel steiler werden als aktuell. „Andernfalls würden Anleiheinvestoren den Renditeaufschlag entlang der Kurve kaufen.“ Insofern erwartet der Experte eine Normalisierung etwa ab Mitte 2021.