Beunruhigend ist das neue Verhaltensmuster der Demonstranten, die ihre Proteste in die wichtigsten Geschäfts- und Touristenviertel der Stadt (u.a. Central) verlegt haben und mittags auf die Straße gehen. Bisher fanden die Demonstrationen am Wochenende und in der Nacht statt, in Hongkong ging das Leben im Großen und Ganzen weiter wie zuvor.
Die neuen Unruhen dagegen stören den Geschäftsbetrieb und belasten Tourismus und Einzelhandelsumsätze deutlich. Am 13. November wurde ein luxuriöses Einkaufszentrum in Central zerstört, am 14. und 15. November sollten erstmals Schulen wegen der Proteste geschlossen werden. Am 12. November war es zu Zusammenstößen an der Chinese University of Hong Kong gekommen. Die Universität setzte daraufhin das laufende Semester aus, andere Universitäten folgten.
Das Vertrauen in die hongkonger Polizei ist dramatisch gesunken, seit Demonstranten im Juni erstmals mit Tränengas beschossen wurden. Die Lage hat sich seitdem weiter verschärft: Die Demonstranten gehen zunehmend auf Konfrontation, mittlerweile kommen Gummigeschosse, Schlagstöcke und Wasserkanonen zum Einsatz, die Öffentlichkeit fordert eine Untersuchung der Polizeimethoden.
Sollten die Proteste so weitergehen wie in den letzten Tagen, könnte der Handel in Hongkong zum Stillstand kommen. Auch die globalen Finanzmärkte könnten dann in Mitleidenschaft gezogen werden.
- Hongkong ist das Finanzzentrum Asiens, durch die Märkte der Stadt fließen riesige Kapitalströme. Die Proteste könnten die Finanzmärkte belasten, insbesondere wenn sie weiterhin tagsüber stattfinden und Geschäftsabläufe stören.
- Rund 21% des MSCI Emerging Markets Index werden in Hongkong-Dollar gehandelt. Käufer von EM-Aktienfonds, die diesen Index möglichst genau abbilden sollen, werden durch die Vorfälle in Hongkong in Mitleidenschaft gezogen.
- In den vergangenen Monaten war es relativ ruhig. Jetzt aber reagieren die Märkte auf die Proteste, der Hang Seng Index hat seit dem 8. November 5,6% verloren (Stand: 15. November 2019).
- Auf seine Art spiegelt der Konflikt auch das Verhältnis zwischen China und den USA wider. Zwar geht es dabei teilweise um wirtschaftliche Fragen, doch auch Sicherheit und Wertedifferenzen spielen eine Rolle. China ist ein eher autoritäres Regime, die USA vertreten dagegen westliche, demokratische Ansichten – genau wie die Demonstranten in Hongkong.
- Je nach Allianzen und dem weiteren Verlauf der Proteste könnte sich der Konflikt zwischen Hongkong und China auch auf den Handelskrieg zwischen den USA und China auswirken.
Bisher war es Peking gelungen, die Rechte und Freiheiten der Bürger Hongkongs schrittweise einzuschränken und gleichzeitig den Status der Stadt als wichtiges Finanzzentrum mit offenen Märkten und einer frei konvertierbaren Währung zu erhalten. Die Ereignisse der letzten sechs Monate haben diesen Balanceakt endgültig aus dem Takt gebracht.
Fazit: Es ist unklar, ob und wann die Polizei von Hongkong durch die Volksbefreiungsarmee ersetzt wird oder wie lange die kommunistischen Behörden durchhalten werden. Eines jedoch wird immer deutlicher: Eine Rückkehr zum Status quo ante wird es nicht geben.
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