Wie der Chefökonom von Invesco wiederholt betont hat, gilt es, drei Krisen auf einmal zu adressieren: erstens die Gesundheitskrise, zweitens die negativen wirtschaftlichen Folgen der Lockdown-Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 und drittens den Kollaps der Finanzmärkte durch die Flucht in Barmittel und eine phasenweise bedenkliche Illiquidität.
Auf dieser Grundlage hat Greenwood drei plausible Szenarien für das mittelfristige Wachstum der USA herausgearbeitet, wobei er sich auf die US-Wirtschaft konzentriert hat, weil die Konjunkturdaten in den USA zeitnäher als in anderen entwickelten Volkswirtschaften bereitstehen, aber auch Rückschlüsse auf die Entwicklung in anderen Regionen zulassen. Dreh- und Angelpunkt seiner Szenarien ist die Frage, ob bzw. wie schnell es gelingt, diese Pandemie einzudämmen und ausreichend große Mengen eines wirksamen Impfstoffes bereitzustellen. „Die geld- und fiskalpolitischen Reaktionen sind wichtig, noch wichtiger aber ist die Lösung der Gesundheitskrise“, so der Chefökonom von Invesco.
Wie Greenwood betont, ist der mittelfristige Ausblick aufgrund der Besonderheiten von Covid-19 und der Möglichkeit einer zweiten oder dritten Infektionswelle äußerst unsicher, was zu einer entsprechend hohen Prognoseunsicherheit führe. „Das einzige, was wir mit ziemlicher Sicherheit sagen können, ist, dass die realwirtschaftlichen Indikatoren kurzfristig extrem negativ sein werden“, so der Wirtschaftsexperte.
Sein Basisszenario beruht auf der Annahme, dass Regierungen und Notenbanken die Weltwirtschaft weiter mit geld- und fiskalpolitischen Hilfsprogrammen unterstützen werden. Ein Covid-19-Impfstoff würde in diesem Szenario nach rund zwölf bis 18 Monaten zur Verfügung stehen – was der Konsenserwartung der Experten entspräche und bedeuten würde, dass bis dahin auch mit gewissen Einschränkungen des sozialen Lebens zu rechnen wäre. Nach einem Einbruch des realen BIP im ersten Halbjahr 2020 mit einem negativen Wachstum, das mit rund -35% im zweiten Quartal (im Vergleich zum Vorquartal, saisonbereinigt und annualisiert) seinen Tiefpunkt erreicht, würde das reale BIP-Wachstum in diesem Szenario weiter sehr schwach bleiben, bis die Gesundheitskrise überwunden ist. Sobald das Coronavirus unter Kontrolle gebracht ist, wäre mit einer relativ kräftigen Erholung und einer Rückkehr zu früheren Wachstumsraten zu rechnen, gestützt durch ein lockeres monetäres Umfeld und diverse staatliche Hilfsprogramme.
Im optimistischen Szenario wäre die Covid-19-Pandemie schneller wieder vorbei und die Rezession entsprechend milder. In einem sehr optimistischen Szenario bliebe die aktuelle (erste) Ausbruchswelle die einzige und die Einschränkungen des sozialen Lebens würden irgendwann im zweiten Quartal 2020 gelockert. Dadurch würde auf ein negatives Wachstum (annualisiert, im Vergleich zum Vorquartal) von vielleicht -35% in Q2 2020 eine relativ robuste Erholung folgen, so dass die Wirtschaftsaktivität im zweiten Quartal 2021 wieder das Vorkrisenniveau erreichen würde.
Im pessimistischen Szenario – das Greenwood zufolge am schwersten zu prognostizieren ist – würde die Covid-19-Pandemie deutlich länger als ein Jahr andauern. Wenn die Gesundheitskrise endlich überwunden ist und die Einschränkungen wieder aufgehoben worden sind, würde die Rückkehr zum Trendwachstum in diesem Szenario auch nur langsam und holprig erfolgen. In diesem Szenario könnte das reale BIP auf Quartalsbasis (saisonbereinigt und annualisiert) um über 50% schrumpfen und mehrere Quartale in Folge ein negatives Wachstum verzeichnen, wenn die Realwirtschaft durch Lockdown-Maßnahmen lahmgelegt bliebe.
„Worauf es ankommt, sind allerdings nicht die geschätzten Wachstumszahlen für die einzelnen Quartale, sondern die Form der Erholungskurve“, betont Greenwood. Durch die Natur der Covid-19-Pandemie sei völlig unklar, wie viel Unsicherheit mittelfristig noch herrschen wird.
Wenn die Gesundheitskrise aber erst einmal überwunden ist, rechnet Greenwood infolge der gigantischen, koordinierten Interventionen der Notenbanken und Regierungen – und vor allem der Behörden in den USA – mit einer relativ raschen Rückkehr zum Trendwachstum. „Die Notenbanken haben die Liquiditätsversorgung sichergestellt und das Wachstum der breiten Geldmenge angekurbelt, während die Regierungen geholfen haben, die negativen realwirtschaftlichen Folgen zu mindern. Das hat zu einem dramatischen Anstieg der Geldmenge geführt“, so der Chefökonom von Invesco. „In Verbindung mit einer Lockerung der Mobilitätsbeschränkungen sollte diese Stärkung der potenziellen Kaufkraft gute Voraussetzungen für einen dynamischen Aufschwung schaffen – wenn Covid-19 besiegt wird.“
Was die Inflationsaussichten angeht, rechnet Greenwood zunächst – für den größten Teil des Jahres 2020 – mit einer disinflationären Phase, gefolgt von einem weniger disinflationären oder sogar inflationären Umfeld. Dabei hänge der konkrete Inflationsausblick vor allem davon ab, wie die weltweit hohen Haushaltsdefizite finanziert werden – durch den Verkauf von Staatsanleihen in die Realwirtschaft (private Haushalte oder Institutionen) oder in das Bankensystem –, da die jeweiligen Auswirkungen auf das Geldmengenwachstum sehr unterschiedlich sind.
„In der Vergangenheit hat sich die Inflation immer erst dann deutlich beschleunigt, wenn das Geld- und Kreditwachstum über längere Zeit schneller gestiegen ist“, erläutert Greenwood. Auf kurze Sicht rechnet er durch den dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit, den Preisverfall bei Rohstoffen wie Öl und Gas und die sehr unsicheren Zukunftsaussichten eher mit einem deflationären Umfeld. Seiner Einschätzung nach werden wir uns frühestens dann Sorgen um die Inflation machen müssen, wenn sich Wirtschaft und Arbeitsmarkt erholt haben und bereits einen mindestens einjährigen Aufschwung hinter sich haben.
Wenn sich das Geld- und Kreditwachstum bis dahin wieder normalisiert haben sollte, könnten auch die Auswirkungen auf die Inflation relativ moderat sein. „Alles, was wir derzeit mit Bestimmtheit sagen können, ist, dass die Inflationsaussichten stark von Ausmaß und Dauer des Geldmengenwachstums in den nächsten Jahren abhängen werden. Und das wiederum wird wesentlich davon abhängen, wie die unvermeidlichen, hohen Haushaltsdefizite finanziert werden“, so der Chefökonom von Invesco.