Nach dem starken Jahresabschluss 2023 der Märkte zeigt sich Paul Jackson, Global Head of Asset Allocation Research im Global Market Strategy Office von Invesco, in seiner Zusammenstellung von zehn konträren Anlageideen für das bevorstehende Kapitalmarktjahr vorsichtiger als vor einem Jahr.
In Anlehnung an den griechischen Philosophen, der feststellte, dass es den Menschen im Allgemeinen leichter fällt, an interessante unmögliche Ereignisse zu glauben als an unwahrscheinliche mögliche Ereignisse, stellt Jackson in seiner jährlichen „Aristotle List“ zehn Ideen vor, die von der allgemeinen Meinung abweichen und mit einer Wahrscheinlichkeit von mindestens 30% in den nächsten zwölf Monaten eintreten werden – und so Anlagechancen für Anleger eröffnen könnten, die bereit sind, gegen den Konsens zu investieren.
„Meiner Ansicht nach lassen sich mit einer erfolgreichen Positionierung gegen den Konsens die höchsten Renditen erzielen – oder die größten Verluste vermeiden“, schreibt der Invesco-Experte in einem Artikel zu seinen zehn Überraschungen des Jahres 2024 in der aktuellen Ausgabe der Invesco-Publikation „Uncommon Truths“.
Auf seiner letztjährigen Liste überwogen die positiven Überraschungen, da die Märkte nach einem schwierigen Anlagejahr 2022 verhalten ins Jahr 2023 gestartet waren. Nachdem die Börsen das Jahr 2023 mit deutlichen Gewinnen abgeschlossen haben, fällt Jacksons Liste möglicher Überraschungen für 2024 eher negativ aus.
Zum einen rechnet der Invesco-Experte in den USA mit einer kurzen Rezession – einem Szenario, das US-Aktien und -Hochzinsanleihen angesichts ihrer zuletzt starken Performance noch nicht eingepreist zu haben scheinen. Jackson zufolge könnte die verzögerte Wirkung der Fed-Zinserhöhungen dazu führen, dass das US-BIP im Jahr 2024 zwei Quartale in Folge schrumpft. Die nach dem Wachstumsabschwung im ersten Halbjahr 2023 überraschend hohe Wachstumsdynamik im dritten Quartal führt Jackson auf die hohen öffentlichen Ausgaben, die Vorräte und die durch einen starken Abbau der Ersparnisse angekurbelten Verbraucherausgaben zurück - drei Faktoren, die seiner Meinung nach nicht von Dauer sein werden.
Nach dem Anstieg der Anleiherenditen erwartet der Invesco-Experte, dass die lange Phase der extremen Underperformance von Staatsanleihen vorbei ist und globale Staatsanleihen im Jahr 2024 erstmals seit 2018 wieder besser abschneiden werden als globale Aktien. Wie Jackson anmerkt, laufen Staatsanleihen in der Regel besser als Aktien, wenn die Zinskurven steiler werden, womit er 2024 rechnet, wenn die Zentralbanken die Leitzinsen senken. Dabei würde eine Rezession die Staatsanleihemärkte zusätzlich stützen.
Obwohl der S&P 500 mit einem Plus von 24% im Jahr 2023 nur auf den Stand von Ende 2021 zurückgekehrt ist, betrachtet Jackson diesen Anstieg als Übertreibung und erwartet, dass der Index am Jahresende 2024 tiefer notieren wird. Schätzungen von Invesco zufolge liegt das Shiller PE des S&P 500 – eine vom US-Ökonomen Robert Shiller entwickelte Kennzahl für das zyklusbereinigte Kurs-Gewinn-Verhältnis – bei über 31. Jackson zufolge spricht das für einen immer noch teuren Markt. „Ausgehend von einem derartigen Bewertungsniveau sind die langfristigen Renditen in der Vergangenheit eher dürftig ausgefallen, und ich vermute, dass sich der Optimismus der Märkte zerschlagen wird – vor allem, falls es zu einer Rezession kommt oder die Inflation wieder anzieht“, so der Invesco-Experte.
Was die Chancen für Aktienanleger angeht, hält Jackson an einer Idee seiner letztjährigen Aristotle List fest, die im vergangenen Jahr nicht eingetreten ist: einer Outperformance chinesischer Aktien. Jackson sieht das Bewertungsargument durch die Underperformance im Jahr 2023 zusätzlich untermauert. So seien chinesische Aktien mit einem zyklusbereinigten KGV von 13,1 Ende 2023 deutlich niedriger bewertet gewesen als im historischen Durchschnitt (25,3) und als US-Aktien (35,7) und indische Aktien (42,2). Darüber hinaus habe sich die chinesische Wirtschaft besser entwickelt, als es nach außen hin scheint, und erheblich besser als die US-Wirtschaft. „Mit einer Zentralbank, die ihre Geldpolitik in den letzten Jahren gelockert hat, dürfte China seinen Wachstumsvorteil gegenüber den USA halten. Außerdem ist Chinas Politik meiner Ansicht nach berechenbarer geworden, während die US-Politik bei einem Wechsel im Weißen Haus unberechenbarer werden könnte“, so Jackson.
Eine exotischere Anlageidee, mit der sich Anleger im Jahr 2024 gegen den Konsens positionieren könnten, betrifft kolumbianische Aktien, von denen der Invesco-Experte erwartet, dass sie besser abschneiden werden als die großen Aktienindizes. Nach einem Indexrückgang von 7% im Jahr 2023 notiert der kolumbianische Leitindex MSCI COLCAP aktuell mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 6,1, bei einer Dividendenrendite von 11,2%. Auf Grundlage der Konsensprognosen für 2024 (Bloomberg, 4. Januar 2024) werden daraus 6,4 bzw. 7,7%. „Ein derartiges Bewertungsniveau spricht in der Regel entweder für eine große Anlagechance oder eine bevorstehende Schieflage“, so Jackson. „Den Konsensschätzungen zufolge wird mit einem Rückgang der Gewinne und Dividenden gerechnet, wobei die Dividendenrendite weiter das KGV übersteigt. Die geläufigen makroökonomischen Kennzahlen – Inflation und Staatshaushalt/Außenbilanz – deuten ebenfalls nicht auf eine bevorstehende Katastrophe hin, und der Peso hat im Verlauf des letzten Jahres aufgewertet.“
An den Rohstoffmärkten rechnet Jackson im Jahr 2024 mit einer durch geopolitische Faktoren angeheizten Preisrally für Brent-Rohöl und Gold. Dass die Förderkürzungen der OPEC+ und der Konflikt zwischen Israel und Hamas bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die Energiepreise hatten, erklärt Jackson mit der Schwäche der Weltwirtschaft. Angesichts der zunehmenden Probleme im Nahen Osten, des anhaltenden Konflikts zwischen Russland und der Ukraine und der potenziellen geopolitischen Destabilisierung durch die Wahlen in den USA könne Brent im Jahr 2024 die Marke von 100 USD überschreiten, was einem Anstieg von fast 30% gegenüber dem 29. Dezember 2023 entspräche (basierend auf dem Preis des nächstfälligen Terminkontraktes). Unterdessen habe sich Gold seit dem Hamas-Angriff auf Israel um mehr als 200 USD verteuert und könne über 2350 USD steigen, vor allem, falls sich der 2016 beobachtete „Trump“-Aufschlag auf den Goldpreis wiederholen sollte: Jackson zufolge verteuerte sich Gold durch die Verunsicherung aufgrund des damaligen Wahlsiegs von Donald Trump um mehr als 200 USD.
Der Invesco-Experte rechnet auch mit einer Fortsetzung der Yen-Aufwertung im Jahr 2024, da weiterhin spekuliert wird, dass die Bank of Japan bald die Zinsen anheben wird, während die US-Notenbank auf eine Lockerung ihrer Geldpolitik zusteuert. „Ich halte eine 10-prozentige Aufwertung des Yen, durch die der USDJPY im Jahr 2024 unter 125 fallen würde, für absolut denkbar. Selbst dann wäre der Yen im historischen Vergleich auf realer Basis immer noch sehr günstig“, erklärt Jackson.
Damit bleiben noch drei Überraschungen auf Jacksons Aristotle List für 2024: ein Sieg der Demokraten bei mindestens zwei der drei wichtigsten Wahlen in den USA am 5. November 2024, der Verlust der Alleinherrschaft des ANC in Südafrika bei den für Mitte Mai bis Mitte August angesetzten Parlamentswahlen 2024 und der Europameister-Titel für die französische Nationalelf.
Zu den unwahrscheinlichen Entwicklungen, die Jackson für 2023 richtig prognostizierte, gehören ein Rückgang der US-Kerninflation unter 4,0%, eine Outperformance ukrainischer Staatsanleihen und Überrenditen für pakistanische Aktien gegenüber den wichtigsten Indizes.