Seit einem Jahr ist generative Künstliche Intelligenz (KI) ein wichtiges Investmentthema.
Die erste KI-Welle war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Aber wer sie in einigen Jahren Revue passieren lässt, findet vielleicht weniger die großen Kursgewinne bemerkenswert als die äußerst geringe Marktbreite und das schier grenzenlose Vertrauen der Anleger.
Wir glauben, dass die zweite Welle anders sein wird. KI ist nicht nur Nvidia, und KI betrifft mehr als nur den Technologiesektor. Aus unserer Sicht haben die Aktienkurse einiger Technologieriesen zu Unrecht von der KI-Welle profitiert. An der zweiten Welle werden sie daher wohl nur noch eingeschränkt partizipieren.
Die gute Nachricht für Investoren ist, dass sich die zweite Welle allmählich abzeichnet – und dass sie sich diesmal nicht auf eine Handvoll Aktien aus wenigen Sektoren beschränken müssen.
Die App der Apps
Viel ist über die geringe Marktbreite des Investmentthemas KI geschrieben worden. Die Aktien der Magnificent Seven – Apple, Alphabet, Amazon, Meta, Microsoft, Nvidia und Tesla – sind 2023 um 77% gestiegen, die übrigen S&P-500-Werte aber nur um 14%.
Weniger wurde über das nahezu grenzenlose Anlegervertrauen geschrieben. Aber das ändert sich allmählich.
Microsoft ist eine wichtige Partnerschaft mit OpenAI eingegangen, dem Schöpfer von ChatGPT, dem derzeit führenden Sprachmodell. Dagegen sind Alphabet im Werbevideo für Bard einige peinliche Fehler passiert. Zuletzt machte man sich auch über Patzer des Gemini-Bildgenerators lustig, der ebenfalls von Alphabet stammt. Das Programm sei zu woke, heißt es. Apple wiederum reagierte auf die KI-getriebenen Suchmaschinen, Assistenz-Apps und Musikplattformen der Wettbewerber mit letztlich marginalen Verbesserungen der Autokorrekturfunktion des Betriebssystems. Uns scheint es, als seien die derzeitigen Versuche, zu den Wettwerbern aufzuschließen, mehr gewollt als gekonnt.
Unternehmensausgaben
Während manchen Technologieriesen das Investmentthema KI allmählich Probleme macht, beginnen andere Firmen, KI zu nutzen und in der strategischen Unternehmens- und Finanzplanung zu berücksichtigen. Wir glauben, dass viele von der zweiten Welle des Investmentthemas profitieren können.
Aber um wie viele Unternehmen geht es? Vielleicht um alle, die zurzeit E-Mail und das Internet nutzen.
Im Finanzsektor hat eine Firma wie American Express, die mehr und mehr als marktführendes Mainstream-FinTech gilt, für die Innovationssparte AmEx Digital Labs viele KI-Startups gekauft. In vielen Geschäftsbereichen nutzt Amex heute KI – vom Kreditkartenservice über Kundenbindungsprogrammen bis hin zu Reiseempfehlungen.
Auch ein Industrieunternehmen wie John Deere, dass eher für landwirtschaftliche als für lernende Maschinen bekannt ist, investiert schon lange in Künstliche Intelligenz und kauft andere Firmen, um intelligente Düngeroboter und autonom fahrende Traktoren zu entwickeln. Vor einem Jahr sorgte John Deere auf der Las Vegas Consumer Electronics Show mit der Präsentation einer völlig autonom fahrenden Version des allgegenwärtigen 8R-Trakors für Aufruhr.
Im Pharmasektor hat David Ricks, CEO von Eli Lilly, darüber gesprochen, dass KI-basierte Schreibprogramme bei der Erstellung der von Aufsichtsbehörden verlangten technischen Dokumente helfen können. Außerdem wurden spezielle KIs mit Forschungsdaten trainiert. Sie sollen die Medikamentenentwicklung verbessern, da subjektive Einschätzungen und Wissenslücken menschlicher Chemiker dadurch überwunden werden können. Eli Lilly ist letztes Jahr eine Partnerschaft mit dem Pharmatech-Unternehmen XtalPi eingegangen, um genau dieses Ziel weiter zu verfolgen.
Kannibalisierung
Allerdings können Mehrausgaben für KI, Minderausgaben in anderen Bereichen bedeuten, zumal die Kapitalkosten heute höher sind als vor drei Jahren. Beratungsfirmen wie Accenture mögen mit KI enorm verdienen. Zugleich berichtete das Unternehmen aber auch von fallenden Umsätzen mit anderen Beratungsmandaten.
Da KI-Ausgaben letztlich Technologieausgaben sind, könnten Mehrausgaben für KI geringe Ausgaben für andere Technologiebereiche zur Folge haben. Damit wären wir wieder bei den Herausforderungen für die Technologieriesen.
Die jüngste Umsatzentwicklung lässt vermuten, dass vor allem Cloud Computing unter Druck geraten könnte, zumindest kurzfristig. Alphabet muss daher dringend an den Defiziten im KI-Bereich arbeiten und etwas anbieten, das die schwächeren Umsätze mit Google Cloud ausgleicht. Und wenn Firmen wie Oracle so viel tun, um ihren Schwerpunkt von der Cloud auf KI zu verlagern, scheint das nur vernünftig.
Weil Cloud Computing in den letzten Jahren so ein wichtiger Trend war – hohe Unternehmensausgaben, hohe Gewinne im Technologiesektor, steigende Aktienkurse – könnten nach einer Trendwende bald ganz andere Titel vorn liegen.
Von den Magnificent Seven zum „Dynamischen Dutzend“
Wir erwarten von der zweite KI-Investmentwelle eine größere Marktbreite. Zugleich gehen wir davon aus, dass die Anleger genauer hinsehen werden.
Aus den Magnificent Seven könnten am Ende die „Magnificent Two or Three“ werden. Die wirklich großen Gewinner aus dem Technologiesektor werden ihre Position halten, die Mitläufer werden verlieren. Offenhalten sollte man seine Augen aber für das „Dynamische Dutzend“. Das sind Unternehmen aus dem Technologiesektor und anderen Sektoren, die Effizienzgewinne durch KI strategisch nutzen.
Wir sehen hier eine große Chance für aktive Manager. Jetzt muss man beginnen, mögliche Gewinner und Verlierer zu identifizieren.
Von Shannon Saccocia, Chief Investment Officer – NB Private Wealth, Neuberger Berman