Jedes Risiko hat seinen Preis, und aus der Vogelperspektive der Asset-Allokation sind die Risikoprämien an den Märkten oft sehr unterschiedlich.
Besonders auffällig ist zurzeit die Diskrepanz zwischen den Risikoprämien von Anleihen (vor allem Staatsanleihen) und Aktien seit dem 1. April. Anleiheninvestoren werden zunehmend vorsichtiger, selbst nach der jüngsten Rallye sind die Renditen noch immer hoch. Am Aktienmarkt scheint man hingegen wieder optimistisch, wenn nicht euphorisch zu sein. Selten waren die Risikoprämien hier niedriger (vgl. Abbildung).
Letzte Woche schien dieser Gegensatz noch größer zu werden: Immer mehr Anleiheninvestoren fürchteten wegen der schwachen US-Arbeitsmarktdaten, der hartnäckigen Inflation und der neuen Zölle eine Stagflation. Aber am Aktienmarkt waren die erstaunlich hohen Unternehmensgewinne das wichtigste Thema.
Könnten vielleicht beide Märkte richtig liegen? Im Grunde schon – aber nicht für den gleichen Zeitraum.
Äpfel und Birnen
Asset-Allokation bedeutet, dass man verschiedene Märkte miteinander vergleicht – Äpfel mit Birnen sozusagen.1
Aktien haben von Natur aus eine lange Duration. Wir vergleichen daher die auf lange Sicht erwarteten Gewinnrenditen internationaler Aktien (MSCI ACWI) mit den Nominal- oder Realrenditen langlaufender US-Anleihen. Die Anleihenrenditen ergänzen wir um einen Spread. Wir betrachten also Unternehmensanleihen, was für den Vergleich mit Aktien sinnvoller erscheint.
In der Regel gelten Aktien als risikoreicher, denn ihre Cashflows sind unsicherer als die von Anleihen. Auch wenn sich beide Assetklassen in die gleiche Richtung entwickeln können, sind die Risikoprämien von Aktien auf Dauer meist höher.
Risikoprämien von Anleihen und Aktien im Zeitablauf
Quellen: Macrobond und FactSet. Stand 6. August 2025. Nichts in dieser Abbildung ist eine Prognose oder Projektion zukünftiger Entwicklungen oder des zukünftigen Marktverhaltens. Vergangenheits¬entwicklungen stellen keine zukünftigen Ergebnisse in Aussicht, prognostizieren sie nicht und garantieren sie auch nicht. Aus einer Vielzahl von Gründen können die tatsächlichen Entwicklungen und das Marktverhalten deutlich von den zum Ausdruck gebrachten Einschätzungen oder von Ergebnissen der Vergangenheit abweichen. Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist keine Garantie für künftige Ergebnisse.
Anleihenrisikoprämien manchmal höher
In den letzten 15 Jahren waren die Risikoprämien von Aktien – ob nominal oder real (inflationsbereinigt) – meist deutlich höher als die von Anleihen. Aber es gab auch Ausnahmen. Wie die Abbildung zeigt, lagen die Risikoprämien von Anleihen immer wieder vorübergehend über denen von Aktien.
So führte die Energiekrise in den USA 2015/2016 zu einer deutlichen Spreadausweitung, da man mit sehr viel mehr Kreditausfällen rechnete. Der Aktienmarkt reagierte darauf nicht. Grund für die Diskrepanz war der extrem große Anteil amerikanischer Schieferölförderer am High-Yield-Index.
2020, auf dem Höhepunkt von Corona, stiegen die optionsbereinigten Spreads in den USA im Schnitt auf über 1.000 Basispunkte, weil Anleihen illiquide wurden. Ihre Renditen stiegen kräftig, die Gewinnrenditen von Aktien kaum.
Seit dem 1. April dieses Jahres erlebten wir zum dritten Mal eine solche Situation. Sie ist aber diesmal aus drei Gründen ungewöhnlich. Anders als früher haben sich die Credit Spreads nicht ausgeweitet. Sie sind heute eng wie selten, vor allem bei High Yield. Stattdessen sind die Risikoprämien langlaufender Staatsanleihen gestiegen, real wie nominal, weil sich Anleger immer mehr Sorgen um die Staatsfinanzen machen. Noch wichtiger könnte aber sein, dass die Aktienrisikoprämien dieses Jahr sukzessive fielen und nicht wie 2015 stiegen. Sie waren schon vorher sehr niedrig gewesen, da Anleger die künftigen Gewinne bzw. Cashflows sehr optimistisch einschätzten. Anders als sonst hatten also beide Assetklassen Anteil an der Entwicklung.
Im Einzelnen
Die Aktienrisikoprämie ergibt sich aus den Gewinnerwartungen und dem Tagesgeldzins. Sie scheint zurzeit meist niedrig.
Aggregiert liegt sie in allen wichtigen Regionen mit Ausnahme Japans zurzeit maximal im 20. Vergangenheitsperzentil. Am extremsten ist es in den USA, vor allem wegen der zehn größten Aktien (darunter alle Magnificent 7). Aber auch in Europa, Großbritannien, Asien und den Emerging Markets scheinen Aktien im Vergangenheitsvergleich teuer.
Selbst in den USA spricht das Verhältnis von Zyklikern zu defensiven Aktien (ohne Rohstoffe) im S&P 500 für deutlich mehr Wachstum als die eng mit dem BIP korrelierte Zehnjahresrendite. Dabei scheint der Optimismus am Aktienmarkt nach der aktuellen Berichtssaison vollkommen gerechtfertigt. Die Gewinne haben die Erwartungen so deutlich übertroffen wie nur selten in den letzten 25 Jahren.
So sind die Gewinne je Aktie amerikanischer Unternehmen im 2. Quartal um 9% z.Vj. gestiegen, und damit doppelt so stark wie erwartet; zu Beginn der Berichtssaison hatte man nur mit 4% gerechnet. In Europa betrug der Anstieg 4%; hier lagen die Zahlen in 8% der Fälle über den Erwartungen.
Unterdessen zeigen die Zinsstrukturkurven immer mehr Bedenken an. Betrachtet man die US-Zinsstrukturkurve als Ganzes und vergleicht – um Rosinenpicken zu vermeiden – nicht nur zwei ausgewählte Laufzeiten, sondern alle, erscheint sie zu 42% invertiert. Das ist zwar weniger als die in Rezessionen seit den 1960ern üblichen 70% bis 80%, aber deutlich mehr als die 10% zu Jahresbeginn.
Aktive assetklassenübergreifende Positionierung
Es ist unklar, wann und wie sich die Lücke zwischen den Risikoprämien von Anleihen und Aktien wieder schließt. Vermutlich werden dann die Anleihenrenditen fallen, und vielleicht werden in manchen Regionen auch die Aktienerträge zurückgehen.
In unseren aktiv gemanagten Multi-Asset-Portfolios mit sechs bis 18 Monaten Anlagehorizont wollen wir sowohl von den ordentlichen Unternehmensgewinnen als auch von attraktiven Anleihenrenditen profitieren – mit einem konsequenten Barbell-Ansatz.
Bei Aktien setzten wir auf risikoreichere Märkte wie den amerikanischen Nasdaq sowie Japan und Korea. Hier schienen uns die Prämien für zwei wichtige Faktoren – Gewinnerwartungen und Bewertungen – recht hoch. Zum Ausgleich sind wir bei amerikanischen Small Caps vorsichtig, um eine mögliche Verschlechterung des Wachstums- und Inflationsausblicks zu berücksichtigen.
Am Anleihenmarkt, wo die Risikoprämien vielleicht teilweise zu hoch sind, investieren wir in amerikanische TIPS, also inflationsindexierte Anleihen, Investmentgrade-Titel und Emerging-Market-Lokalwährungsanleihen mit mittleren Laufzeiten.
Der attraktive Carry, mögliche Zinssenkungen der Fed und eine ordentliche Kreditqualität sprechen hier für die USA – vor allem für inflationsindexierte Titel mit mittlerer Laufzeit – und die Emerging Markets, sofern man auf Qualität setzt. Weitere Positionierungen sind die Untergewichtung des US-Dollars und dazu passend die Übergewichtung von Gold.
Von Maya Bhandari, Chief Investment Officer, Multi-Asset Strategies, EMEA bei Neuberger Berman
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1 Die Analyse von Aktien und Anleihen ist insofern recht eindeutig, als die Bewertung beider Assetklassen vor allem von zwei bekannten Faktoren abhängen, nämlich den erwarteten Cashflows (den erwarteten Erträgen, gegebenenfalls zuzüglich einer Dividendenkomponente, bei Aktien und den Coupons bei Anleihen) sowie einem identischen Diskontfaktor für die erwarteten Cashflows, um den Gegenwartswert zu berechnen.