Die negativen Folgen des US-Handelskriegs für die Wirtschaft in der Eurozone führen zu einem breiten Marktkonsens darüber, dass die EZB bei ihrer Sitzung am Donnerstag den Leitzins um 25 Basispunkte auf 2,25 Prozent senken wird. Unserer Meinung nach liegt die Herausforderung für die Währungshüter in der Analyse der disruptiven Politik von US-Präsident Donald Trump in Bezug auf die Sicherheit, Wirtschaft und Inflation in Europa. Angesichts des kurzfristigen Risikos einer Rezession und einer sinkenden Inflation erwarten wir ‚dovishe‘ Kommentare seitens der EZB. Wir rechnen mit einer Abwärtskorrektur der Leitzins-Endrate auf etwa 1,5 Prozent, gefolgt von einer steiler werdenden Kurve.
In Deutschland hat der aller Voraussicht nach neue Bundeskanzler Merz einen ‚new deal‘ für das Land vorgeschlagen, der umgehend eine starke Marktreaktion hervorrief. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft werden jedoch länger auf sich warten lassen: Die fiskalpolitischen Pläne dürften zu einer Änderung der Wirtschaftsaussichten erst ab dem zweiten Halbjahr 2026 führen und ihren Höhepunkt in den Jahren 2027 bis 2028 erreichen. Ihre Wirkung wird von der effizienten Allokation der erhöhten öffentlichen Ausgaben abhängen.
Daher liegt der Fokus in diesem Jahr ausschließlich auf der US-Regierungspolitik und den weltweiten Folgen des Handelskriegs: Ein wichtiges Ereignis war der von Trump so genannte ‚Liberation Day‘, als der US-Präsident reziproke US-Zölle ankündigte. Kurz darauf gab er bekannt, sie für 90 Tage auszusetzen. Die Unsicherheit aber bleibt und führt zu einer Pause bei den Investitionsausgaben. Darüber hinaus bleiben die Mindestzölle von 10 Prozent sowie 25 Prozent auf Autos, Stahl und Aluminium bestehen. Das könnte die asiatischen Exporte von den USA nach Europa umlenken. Wir kommen daher zu dem Schluss, dass die EZB das Risiko einer Disinflation und Rezession in diesem Jahr im Auge behalten sollte.
Die Währungshüter analysieren darüber hinaus die Marktbedingungen und die Liquidität. Der massive Ausverkauf von Aktien und Unternehmensanleihen hat Ängste vor Verlusten am Kapitalmarkt und vor Liquidationsgeschäften geweckt. Diese könnten sich wiederum auf die Finanzierungsbedingungen und den Finanzsektor, die Banken und Versicherungen auswirken. Vorläufig sind hier noch keine Probleme zu beobachten. Allerdings sollten die Spannungen in den USA die Regierungen der Euroländer – nicht nur Deutschland – dazu veranlassen, die öffentlichen Ausgaben zu erhöhen, wenn sie dazu in der Lage sind. So können sie Unternehmen unterstützen, die mit den Kosten höherer Zölle durch den Handelskrieg konfrontiert sind. Eine proaktive Geldpolitik der EZB und in der Folge niedrigere Anleiherenditen dürften verhindern, dass sich die europäischen Regierungen in diesem Jahr finanziell übernehmen.
Von Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman