Die Anlageklasse der Anleihen erfreute sich aufgrund ihrer weitgehenden Stabilität für lange Zeit bei professionellen und privaten Anlegern einer großen Beliebtheit und diente in den Portfolios nicht selten zur Risikominderung und Diversifizierung. Doch angesichts der Inflation und steigenden Marktzinsen setzte in diesem Jahr ein breiter Ausverkauf am Anleihenmarkt ein, der den seit drei Jahrzehnten andauernden Bullenmarkt jäh beendete. Nun aber könnte ein guter Zeitpunkt zum Wiedereinstieg gekommen sein, der sich nicht nur in den gestiegenen Renditen der Zinspapiere offenbart. Wieso das so ist und worauf Anleger im aktuellen Marktfeld achten sollten, erklärt DJE-Fondsmanager Peter Lechner im nachfolgenden Q&A zur Situation an den Anleihenmärkten.
Hintergrund für die höheren Zinsen ist der restriktive geldpolitische Kurs der Notenbanken, der auf den stark gestiegenen Inflationsraten fußt. Deren Anstieg hängt wiederum mit den explodierenden Energiepreisen zusammen.
Dies ist in erster Linie auf den Krieg in der Ukraine zurückzuführen. Das Bild ist aber nicht einheitlich: So sorgt in Europa vor allem das knappe Angebot von Öl und Gas für die derzeit immer noch hohen Inflationsraten. In den USA hingegen haben wir es mit einer nachfragegetriebenen Inflation zu tun, die auf gestiegene Lohnkosten und eine rückläufige Sparquote zurückzuführen ist. Zwar ist die US-Notenbank Fed bei den Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank EZB deutlich voraus, aber die Europäer ziehen mittlerweile nach. Die Anlageklasse der Anleihen profitiert aktuell davon, dass nun neue Kupons mit einem höheren Zinsniveau auf den Markt kommen, was sie für Anleger deutlich interessanter werden lässt. Außerdem sehen viele verzinsliche Papiere nach den Kursverlusten in diesem Jahr wieder attraktiv aus.
Wir sehen einen deutlichen Trend hin zu Qualität: Staatsanleihen oder Corporate Bonds mit Investmentgrade-Rating in US-Dollar oder Euro stehen hier im Fokus. Vorsichtiger sollte man hingegen im Bereich High Yield angesichts höherer Wahrscheinlichkeiten für Ausfallrisiken (CDS-Entwicklung) sein. Zudem sollte man die Zinsstrukturkurven nicht völlig außer Acht lassen: Hier zeigt sich, dass z. B. in den USA die Zinsen für kurzlaufende Anleihen höher sind als für langlaufende Papiere. Auch in Europa ist das inverse Bild ähnlich. In der Vergangenheit war dies immer ein Indikator dafür, dass eine Rezession bevorsteht. Wenn sich die Wahrscheinlichkeit dafür erhöht, spricht dies für den Kauf von Anleihen mit längeren Laufzeiten, da dort bei einer Rezession die Zinsen über die gesamte Kurve zurückgehen, was wiederum Kursgewinne besonders bei den langlaufenden Papieren bedeutet.
Außerordentlich positiv haben sich jüngst Bonds aus dem Öl- und Gassektor entwickelt, da sie von den Preissteigerungen im Rohstoffsektor profitieren konnten. Aber auch Anleihen aus dem Pharmasektor haben angesichts der demografischen Entwicklung in den Industrieländern gut performt. Allerdings schauen wir uns auch zyklische Automobilzulieferer nach eingehender Analyse durch unser hauseigenes Research an. Das gleiche gilt ebenfalls für den Airline-Bereich.
Wir schätzen die Ausfallrisiken aktuell als nicht unerheblich ein. Mit Blick auf die Erzeugerpreise zeigt sich, dass manche Produzenten deutlich mehr für ihre Vorerzeugnisse bezahlen müssen. Viele Branchen unterliegen auch einem tiefgreifenden Wandel, sei es aufgrund der Digitalisierung oder des Fachkräftemangels. Aufgrund dieser Entwicklungen gehen wir bei der Auswahl von High-Yield-Papieren besonders selektiv vor.
Derzeit schätzen wir das Risiko einer erneuten Eurokrise als moderat ein. Die EZB hat mit dem Transmission Protection Instrument, kurz TPI, ein neues Werkzeug geschaffen, mit dem sie die Spreads zwischen Bundesanleihen und Anleihen der europäischen Peripheriestaaten steuern kann – was auch schon mit dem Verkauf deutscher und holländischer Staatsanleihen und dem Kauf italienischer und spanischer Papiere geschehen ist.
In den USA zeigte sich, dass die Fed bei ihrer letzten Sitzung Tempo aus den Zinserhöhungen nahm. Es wurde eine Zinsanhebung um 50 Basispunkte beschlossen. Weitere Zinserhöhungen sind denkbar, denn die Fed sieht sich im Kampf gegen die Inflation noch nicht am Ziel. Folglich könnte sich die Fed-Fundrate im kommenden Jahr auf 5% hinbewegen. Zwar stellt die US-Notenbank bei ihren Maßnahmen derzeit die Inflationsbekämpfung klar in den Vordergrund, Ziel dürfte hier aber auch ein soft landing der Wirtschaft sein. Im kommenden Jahr können wir uns vorstellen, dass die Inflation in den USA auf einen Korridor von drei bis vier Prozent zurückgeht.
Da die Teuerungsrate in der Eurozone noch höher ist als in den USA, ist erkennbar, dass die EZB beim Kampf gegen die Preissteigerungen weiterhin hinter der Kurve ist. Eine Inflationsrate von vier bis fünf Prozent in der Eurozone schätzen wir für 2023 als realistisch ein. Trotzdem können wir uns vorstellen, dass der Leitzins in Europa zum Ende des ersten Quartals bzw. im zweiten Quartal 2023 jenseits von drei Prozent liegen könnte.
Die Entwicklung der Spreads bzw. der Risikoaufschläge hochwertiger Unternehmensanleihen im Vergleich zu Staatspapieren sollte bei einer nur milden Rezession relativ stabil bleiben, während sie sich im High Yield-Bereich ausweiten könnten. Die Konjunkturentwicklung spielt hierfür eine entscheidende Rolle.
Eine besondere Situation könnte sich in Japan zeigen. So steht bei der Bank of Japan im kommenden Jahr nicht nur ein Führungswechsel bevor, sondern möglicherweise auch eine teilweise Abkehr von ihrer jahrzehntelangen Niedrigzinspolitik, zumindest aber von der bestehenden Praxis der Yield-Curve-Control. Hier ist aber mit einer sehr vorsichtigen Umsteuerung seitens der Bank of Japan zu rechnen. Der Yen könnte folglich langsam wieder an Stärke gewinnen.
Geopolitische Krisen wirken sich tendenziell negativ auf die Aktienmärkte aus und könnten Investoren dazu bewegen, Kapital aus dem Aktienmarkt abzuziehen und in den sicheren Hafen der (Staats-)Anleihen umzuschichten. Ein solches Szenario könnte einen deutlichen Verfall der Renditen bei Staatsanleihen nach sich ziehen. Weiterhin ist offen, wie weit die Zentralbanken angesichts des Rezessionsszenarios mit den Zinserhöhungen gehen werden. Die sich abzeichnende Öffnungsstrategie der Null-Covid-Politik in China dürfte sich nachfragesteigernd auf den Ölmarkt auswirken, was allerdings die Inflation in den USA und in Europa wiederum erhöhen würde.
Die Basis eines robusten Anleihen-Portfolios bildet eine detaillierte Titelauswahl, wobei wir gleichermaßen auf eine strategische und eine taktische Komponente setzen. Die strategische Komponente wäre ein breit gefächertes Basis-Portfolio aus Staats- und Unternehmensanleihen mit guter Bonität (Investment Grade). Mit Blick auf die taktische Selektion schaut man nach Sondersituationen am Markt, auf die es zu reagieren gilt. Ein Beispiel hierfür ist die Zeichnung von vielversprechenden Neuemissionen.
Eine weitere taktische Stellschraube ist die markphasenabhängige Steuerung des Währungs-Exposure sowie der Duration mittels Overlay-Management. Buy and hold ist aus unserer Sicht keine geeignete Strategie, sondern wir zielen darauf ab, als aktiver Manager mittels Overlay-Management eine zusätzliche Performance zu generieren. Das bedeutet auch, sich im Rahmen einer aktiven Risikosteuerung zügig von Positionen zu trennen, die der Portfoliobeimischung nicht mehr angemessen sind.
Mit Blick auf das Jahr 2022 muss man aufgrund des ungewöhnlich starken und schnellen Zinsanstieges von einem „Renten-Crash“ sprechen. Das bevorstehende Jahr 2023 könnte man hingegen mit „ja, aber“ umschreiben. Anleger sollten Anleihen nicht außer Acht lassen. Der Fokus sollte vor allem auf Emittenten mit solider Bonität gesetzt werden, die eine gute Marktstellung und gute Chancen vorweisen können, auch eine Rezession zu überstehen. Allerdings müssen sich Anleger bewusst sein, dass angesichts der Inflation die derzeitigen Zinserhöhungszyklen noch nicht vorbei sind. Wenn die Inflation aber zurückgeht, ist eine Rallye am Rentenmarkt nicht ausgeschlossen.