Die Bundesregierung hat bereits drei große Pakete in einem Volumen von 300 Mrd. Euro (8% am BIP) aufgelegt, um Haushalte und Unternehmen von den Kosten der Energiepreisanstiege zu entlasten. Nun mehren sich die Rufe von Unternehmen nach weiteren Hilfen. So hat etwa die Warenhauskette Galeria angekündigt, erneut um Staatshilfe anzufragen und auch aus Teilen der Industrie werden die Stimmen lauter. Aus Sicht der Unternehmen ist das verständlich. Der Ökonom spricht in diesem Zusammenhang gerne von „rent seeking“.
Aus ökonomischer Sicht sollte sich die Politik aber auf die Stützung systemrelevanter Unternehmen beschränken und mehr Schumpeter wagen. Ein fairer, effizienter und effektiver Wettbewerb ist nur dann gegeben, wenn unrentable Geschäftsmodelle ausscheiden. Marktbereinigungen sind unmittelbar zwar stets mit Wohlfahrtsverlusten verbunden. Das Stellen gegen die Marktkräfte kann den Anpassungsschmerz aber nur kurzfristig lindern. Und mittelfristig führt dies zu einem noch flacheren Wachstumspfad. Eine neu aufgestellte Wirtschaft hat dagegen bessere Voraussetzungen, unmittelbare Wohlfahrtsverluste nicht nur wieder aufzuholen, sondern auch mittelfristig einen steileren Wachstumstrend auszubilden. Dies wird vor allem dann gelingen, wenn die Wirtschaftspolitik diesen Wandel strategisch unterstützt und die Weichenstellungen etwa auf nachhaltig höhere Energiekosten, veränderte geopolitische Rahmenbedingungen und längerfristige Konsumtrends ausrichtet.
Im Einzelhandel muss unter anderem der Trend zum Online-Geschäft berücksichtigt werden. Dieser Anteil hat sich zwischen 2015 und 2021 in etwa verdoppelt, auf rund 18%. In zahlreichen Produktbereichen sind weitere Steigerungen zu erwarten. Eine häufig diskutierte politische Option mit dezidierter Lenkungswirkung ist die Erhöhung der Steuern auf den Online-Handel. Im Vergleich zur Stützung einzelner Handelsunternehmen hätte dies entlastende Wirkung auf den Staatshaushalt. Im Bereich der Industrie steht dagegen die internationale preisliche Wettbewerbsfähigkeit im Fokus. Neben der Energiefrage spielt dabei auch die Resilienz von Lieferketten wichtiger Vorprodukte sowie von Absatzmärkten eine entscheidende Rolle. Hier braucht es auch ein klares Verständnis der künftigen geopolitischen Position und Strategie Europas, im sich verschärfenden Systemstreit zwischen China und den USA. Denn wenn man sich zwar einerseits in der Energiepolitik von Russland emanzipiert und andererseits bei den Lieferketten und Absatzmärkten übermäßig stark auf China setzt (etwa in der Automobilindustrie oder Chemiebranche), bleibt das „Geschäftsmodell Deutschland“ anfällig für Schocks und nicht nur temporäre Einbußen an Wachstum und damit Wohlstand.
Die Ausgangslage für notwendige strukturelle Anpassungen ist dabei so gut wie selten. Die deutsche Wirtschaft leidet nicht unter einer Nachfrageschwäche. Und die demografische Entwicklung lässt erwarten, dass freigesetzte Arbeitnehmer in anderen Bereichen der Wirtschaft rasch aufgenommen werden. Dieses Fenster sollte die Politik nutzen.
Dr. Ernst Konrad, Geschäftsführender Gesellschafter und Lead Portfoliomanager bei Eyb & Wallwitz.