Dr. Georg von Wallwitz: Fiskalische Dominanz

Die Unabhängigkeit der Zentralbanken gerät zunehmend unter Druck – in den USA durch politische Einflussnahme, in Europa durch wachsende Haushaltsrisiken. Was das für Märkte, Anleiheinvestoren und die Stabilität des Euro bedeutet, analysiert Georg von Wallwitz, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Eyb & Wallwitz. Eyb & Wallwitz | 01.10.2025 13:50 Uhr
Georg von Wallwitz, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Eyb & Wallwitz / © e-fundresearch.com / Eyb & Wallwitz
Georg von Wallwitz, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Eyb & Wallwitz / © e-fundresearch.com / Eyb & Wallwitz

Der September war kein guter Monat für die Zentralbanken. Der US-Regierung ist die Unabhängigkeit der Federal Reserve schon länger ein Dorn im Auge. Vor und hinter den Kulissen macht sie ihrem Unmut über das ihrer Meinung nach viel zu hohe Zinsniveau in den USA auf überdeutliche Weise Luft. Auf einzelne Mitglieder des Offenmarktausschusses, der die Zentralbankzinsen festlegt, wird auf hemdsärmelige Weise Druck ausgeübt, die Zinsen zu senken. Im übernächsten Jahr werden die Zinskosten im amerikanischen Staatshaushalt voraussichtlich erstmals die Marke von einer Billion Dollar übersteigen, was auch für amerikanische Verhältnisse viel Geld ist. Selbst ohne die Zinslast sähe der Haushalt nicht gut aus: Im laufenden Jahr stehen den Ausgaben von etwa 7 Billionen Dollar Einnahmen von etwa 5 Billionen gegenüber.

Auch in Europa stand der September unter keinem guten Stern für die Europäische Zentralbank (EZB). In Frankreich ist die Regierung von Ministerpräsident Bayrou kollabiert, weil sie das Parlament nicht dazu bringen konnte, einer moderaten Haushaltskonsolidierung zuzustimmen. Der französische Staat bleibt damit fiskalisch auf einer ähnlichen Route, wie sie Griechenland nach dem Beitritt zur Eurozone eingeschlagen hatte: großzügige Renten, hohe Subventionen und eine aufgeblähte Bürokratie lassen an der Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen zweifeln. Als die globale Finanzkrise zuschlug, wurde den Griechen die Rechnung präsentiert: Sie sahen sich gezwungen, demütigende Rettungspakete anzunehmen und für einige Jahre faktisch die Souveränität über den Staatshaushalt zu verlieren.

Nun ist Frankreich nicht Griechenland, und darin besteht das Problem für die EZB. Der Euro würde ohne Frankreich auseinanderbrechen. Also wird die Zentralbank, wenn Paris seine Kreditwürdigkeit verliert und kein Geld mehr an den Kapitalmärkten aufnehmen kann, kaum eine andere Wahl haben, als einzuspringen und die laufende Kreditaufnahme mit Worten, und wenn es darauf ankommt, auch mit Taten zu unterstützen. Anders als im Fall von Griechenland kann die EZB nicht glaubhaft damit drohen, den Austritt Frankreichs aus der Eurozone notfalls hinzunehmen. Und das politische Gewicht und Selbstverständnis des Élysée-Palasts sprechen gegen die Wirkung von politischen Sparvorgaben der EU. 

Schon 2014 kommentierte der Economist: „Die großen Länder haben die zwei Jahre, die durch Mario Draghis ‚whatever it takes‘-Versprechen gewonnen wurden, vergeudet… Die Eurokrise ist nicht verschwunden, sie lauert nur hinter dem Horizont.“ Der Horizont rückt nun näher. Ähnlich wie in den USA schrumpft auch in Europa der Handlungsspielraum der Zentralbank. Unter dem Druck der Politik sind es nicht mehr nur die wirtschaftlichen Umstände, die den Zentralbankzins diktieren, sondern zunehmend auch die Erfordernisse der Staatshaushalte. Diesen Zustand nennen Ökonomen „Fiskalische Dominanz“.

Die Märkte reagieren bislang insgesamt gelassen auf den drohenden Kontrollverlust der Zentralbanken. Eine aus dem Finanzministerium gesteuerte Zentralbank muss nicht zu Inflation und Weimarer Verhältnissen führen. Es kommt dann auf den wirtschaftlichen Sachverstand der Regierenden an, der groß sein kann (wie in China) oder zweifelhaft (wie in der Türkei). Und weder die USA noch Frankreich sind mit Griechenland wirtschaftlich und politisch vergleichbar. Es handelt sich um reiche Länder mit großer ökonomischer Substanz und politischem Gewicht und – gezwungenermaßen – unbedingter Unterstützung der Zentralbanken.

Aber mit dieser Ruhe kann es auch schnell vorbei sein, wenn mal wieder ein Herbst der Reformen ereignislos vorübergezogen ist. Denn Krisen der Staatsfinanzen laufen zunächst langsam und dann sehr schnell ab. Sie sind in der Regel nicht durch Zahlungsunfähigkeit, sondern durch Zahlungsunwilligkeit verursacht, wenn ein Souverän sich nicht zur Bedienung seiner Schulden zwingen lassen will. Die Kreditgeber verlieren das Vertrauen, wenn nicht einmal kleinere Ausgabenkürzungen oder Deregulierungen politisch durchsetzbar sind. Wenn es also der Regierung Trump nicht gelingt, die Haushaltslöcher mit Zolleinnahmen zu stopfen (was zweifelhaft ist) und sich das Parlament in Frankreich nicht zu der Einsicht in die Notwendigkeit von Reformen durchringt, dann werden die Zentralbanken noch stärker von Akteuren zu Schachfiguren.

Ich will hier keine Krise an die Wand malen (Prophetie ist ein undankbares Geschäft), aber die Anzeichen von Unruhe an den Märkten sind unübersehbar: Die Anleihen der französischen Versicherungsgesellschaft AXA und Griechenlands sind niedriger verzinst (und gelten damit als weniger risikoreich) als französische Staatsanleihen. Die Kurse amerikanischer Staatsanleihen tendieren heute dazu, sich im Krisenfall zu verhalten, wie man es sonst nur von Anleihen aus Schwellenländern kennt. Microsoft zahlt weniger Zinsen als der amerikanische Staat. Die Liste der “sicheren” Investitionsmöglichkeiten wird immer kürzer.

Darüber sollten sich alle bewusst sein, die ihr Geld in Sparbücher und Anleihen angelegt haben. Das Geld solcher Zentralbanken taugt dann nicht mehr als Wertaufbewahrungsmittel, vor allem nicht für ausländische Anleger. Und eine „Erdoganisierung” der Notenbanken wäre am Ende des Tages ein Verlustgeschäft, nicht nur für die Wirtschaft, sondern übrigens auch und vor allem für den jeweiligen Souverän, dem Reformen aktuell scheinbar nicht zuzumuten sind.  

Von Georg von Wallwitz, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Eyb & Wallwitz

HINWEIS Dieser Text ist zuerst in The Pioneer erschienen. 

DISCLAIMER Dieser Artikel enthält die gegenwärtigen Meinungen des Autors, aber nicht notwendigerweise die der Eyb & Wallwitz Vermögensmanagement GmbH. Diese Meinungen können sich jederzeit ändern, ohne dass dies mitgeteilt wird. Der Artikel dient der Unterhaltung und Belehrung und ist kein Anlagevorschlag bezüglich irgendeines Wertpapiers, eines Produkts oder einer Strategie. Die Informationen, die für diesen Artikel verarbeitet worden sind, kommen aus Quellen, die der Autor für verlässlich hält, für die er aber nicht garantieren kann.
Performanceergebnisse der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung eines Investmentfonds oder Wertpapiers zu. Wert und Rendite einer Anlage in Fonds oder Wertpapieren können steigen oder fallen. Anleger können gegebenenfalls nur weniger als das investierte Kapital ausgezahlt bekommen. Auch Währungsschwankungen können das Investment beeinflussen. Beachten Sie die Vorschriften für Werbung und Angebot von Anteilen im InvFG 2011 §128 ff. Die Informationen auf www.e-fundresearch.com repräsentieren keine Empfehlungen für den Kauf, Verkauf oder das Halten von Wertpapieren, Fonds oder sonstigen Vermögensgegenständen. Die Informationen des Internetauftritts der e-fundresearch.com AG wurden sorgfältig erstellt. Dennoch kann es zu unbeabsichtigt fehlerhaften Darstellungen kommen. Eine Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen kann daher nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für alle anderen Websites, auf die mittels Hyperlink verwiesen wird. Die e-fundresearch.com AG lehnt jegliche Haftung für unmittelbare, konkrete oder sonstige Schäden ab, die im Zusammenhang mit den angebotenen oder sonstigen verfügbaren Informationen entstehen. Das NewsCenter ist eine kostenpflichtige Sonderwerbeform der e-fundresearch.com AG für Asset Management Unternehmen. Copyright und ausschließliche inhaltliche Verantwortung liegt beim Asset Management Unternehmen als Nutzer der NewsCenter Sonderwerbeform. Alle NewsCenter Meldungen stellen Presseinformationen oder Marketingmitteilungen dar.

Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an

Regelmäßige Updates über die wichtigsten Markt- und Branchenentwicklungen mit starkem Fokus auf die Fondsbranche der DACH-Region.

Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und kann jederzeit abbestellt werden.