Die letzte Zollrunde der US-Regierung Anfang April löste bei führenden Politikern weltweit eine Welle der Kritik aus. Einige verkündeten sogar das Ende der Globalisierung. Als Investor mit über 40 Jahren Erfahrung melde ich daran – mit allem Respekt – meine Zweifel an. Die Globalisierung ist nicht vorbei. Aber sie sie vollzieht einen großen Wandel.
Macht sie möglicherweise einen Rückschritt? Ja, ich denke das wird sie tun. Es gibt gute Gründe dafür, die Globalisierung einer politischen Auffrischung zu unterziehen. Das gilt zumindest für die Globalisierung, an die wir uns seit den frühen 1970er Jahren gewöhnt haben, als sich die Handelsausweitung deutlich beschleunigte. Tatsächlich gibt es schon seit einiger Zeit grundlegende Verschiebungen des Welthandels. Die derzeitigen Veränderungen erscheinen enorm, aber bereits seit der internationalen Finanzkrise von 2007–2009 hat sich der Anteil des Handels am Welt-BIP kaum verändert.
Gut zehn Jahre danach brachten die COVID-19-Pandemie und der Russland-Ukraine-Krieg einige Nachteile der Globalisierung ans Licht. Beide Ereignisse machten die Anfälligkeiten internationaler Lieferketten deutlich, die nicht diversifiziert genug waren.
Die Globalisierung setzt sich fort – in einem anderen Tempo
Quellen: Capital Group, OECD, Weltbank. Der Welthandel wird als Summe der Exporte und Importe von Waren und Dienstleistungen berechnet und als Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt (BIP) dargestellt. Daten bis 2023, Stand: 17. April 2025 (aktuellste verfügbare Daten).
Seitdem haben wir viel gelernt. Länder und Unternehmen haben versucht, ihre Lieferketten zu diversifizieren und die Fertigung wieder in oder näher an ihren Heimatmarkt zu verlagern, um den Zugriff auf alles, was für das Wirtschaftswachstum benötigt wird, zu gewährleisten.
Das neue Tempo der Globalisierung
Realistisch betrachtet werden die USA aus meiner Sicht nicht wieder zum wichtigsten Produktionsstandort der Welt werden. Diese Chance haben wir schon lange verpasst. Aber die USA dürften unabhängiger werden, vor allem bei extrem wichtigen Produkten wie Computer Chips sowie Medizin- und Pharmaprodukten.
Die Entscheidungen der aktuellen US-Regierung bestärken mich in dieser Annahme – und sorgen dafür, dass wir es jetzt schwerer haben, als vielen Investoren lieb ist. Aber das Ziel der USA ist klar: Sie wollen den Welthandel verändern, nicht beenden. Man könnte es „Globalisierung 2.0“ nennen – eine stabilere, diversifiziertere und vielschichtigere Form der Globalisierung.
US-Unternehmen haben erkannt, wie wichtig es ist, ihre Aktivitäten im eigenen Land auszuweiten. Bestätigt wird dieser Trend auch durch das Vorhaben von Apple, in den nächsten vier Jahren 500 Milliarden US-Dollar in Fertigungsstandorte in den USA zu investieren. Viele Hersteller weltweit verfolgen denselben Weg. Der Computerchip-Hersteller Taiwan Semiconductor ist dafür das beste Beispiel. Er baut neue Fabriken in Arizona, Deutschland und Japan. ASML, ein niederländischer Halbleiterausrüster, hat 60 Niederlassungen in Europa, den USA und Asien. Mehr als die Hälfte seiner 44.000 Mitarbeiter ist außerhalb der Niederlande beschäftigt.
Langfristige Investmentchancen
Vor diesem Hintergrund bin ich zuversichtlich, dass sich durch diese Veränderungen des Handels zahlreiche Investmentchancen bieten werden. Im Laufe meiner Zeit als Investor – 37 Jahre lang – habe ich über 20 Marktschocks erlebt. Rückblickend haben sich die meisten dieser schwierigen Phasen als attraktive Einstiegszeitpunkte für geduldige, langfristig orientierte Investoren erwiesen.
Die Globalisierung ist nicht zu Ende. Sie passt sich an neue Gegebenheiten an. Auch wenn es schwierig erscheint: Es muss Handelsgespräche geben. Es müssen Vereinbarungen getroffen werden. Und man muss die Lieferketten stärken.
Vor uns mag ein steiniger Weg liegen, und vielleicht werden die Finanzmärkte auf jede neue Schlagzeile empfindlich reagieren. Es mag ein paar Jahre dauern, bis das Ziel erreicht ist. Aber die wichtige Frage ist: Kann es besser werden?
Solange das Ziel eine Globalisierung 2.0 ist, kann es das aus meiner Sicht.
Von Steve Watson, Aktienportfoliomanager, Capital Group
Weitere beliebte Meldungen:
Das Unwetter am Kapitalmarkt birgt Chancen für Anleiheinvestoren
Wir laden Sie herzlich zu unserem Webinar ein, in dem wir Ihnen einen Ausblick zum Anleihenmarkt im derzeitigen Marktumfeld geben und erläutern, mit welchen Strategien sich Investoren jetzt positionie...28.05.2025 14:00
Peter Becker, Lars Pecoroni
Anzeige