Schwaches Wachstum, rückläufige Inflationsraten, demografische Probleme und niedrige Zinsen sind schon längst nicht mehr nur ein langjähriges japanisches Phänomen, sondern mittlerweile auch Alltag in Europa. Dieses "deflationäre Gleichgewicht" kennt und fürchtet die EZB und stemmt sich vehement – wenn auch nicht unumstritten – dagegen. Die Leitzinsen im Euroraum liegen seit September 2014 bereits unter japanischem Niveau und der Einlagezinssatz ist mancherorts negativ. Das wird auch mit dem Entscheid der EZB, die Märkte 2015 mit über 1000 Milliarden Euro zu fluten, noch länger so bleiben. Dabei sei vermerkt, dass dieses japanische Konzept auch dort nicht zur nachhaltigen wirtschaftlichen Erholung gereicht hat. Droht in diesem Szenario die Gefahr, dass Vermögensaufbau bzw. -sicherung durch die Nullzinspolitik gefährdet wird? Auf den ersten Blick ja, denn "die Banken zahlen ja keine Zinsen mehr …".
Vermögensaufbau vs. Vermögenssicherung
Bei genauerer Betrachtung liegt die Sache aber vielschichtiger, denn Vermögensbildung und -erhalt hängen ja nicht nur vom Nominalzins einer Wirtschaft ab. Somit sei eine grundsätzliche Unterscheidung erlaubt:
Vermögensaufbau wird in der Regel durch laufendes (vermögensunabhängiges) Einkommen ermöglicht. In der Frühphase des Veranlagens ist der Wert des Portfolios noch vergleichsweise gering, der Anlagehorizont entsprechend lang. Daher können bei höheren Kursschwankungen vorübergehende Verluste leichter verkraftet bzw. durch Zuflüsse kompensiert werden.
Vermögenssicherung zielt hingegen darauf ab, keine wesentlichen Rückschläge zu erleiden, mit robusten Renditen die reale Kaufkraft des kumulierten Portfolios zu erhalten, um daraus aktuell oder künftig Einkommen erzielen zu können. Hier wird der Sicherheitsgedanke (stabile Cashflows) das Ziel einer Renditemaximierung wohl stark beschränken.
Aus risikofreien Erträgen wurden ertragsfreie Risiken
Aber risikofreie Erträge sind zurzeit nicht zu erzielen, nur ertragsfreies Risiko wie etwa eine aktuelle deutsche Bundesanleihe mit sieben Jahren Laufzeit und einer Rendite von null (!). Dabei besteht durchaus ein signifikantes Kursrisiko.
Doch es gibt Alternativen …
Anregungen zur Selbsteinschätzung: Vermögensbildung im aktuellen Umfeld
Erstens: Blick nach vorne richten.
Aber aus der Historie lernen und sich nicht täuschen lassen!
Die vergangenen Erträge von Anleiheportfolios werden sich heuer nicht erzielen lassen. Auch früheren Aktienerträgen (der US-Aktienmarkt stieg in den letzten sieben Jahren um etwa 100 %) kann man nicht nachlaufen. Ein gut diversifiziertes Portfolio benötigt weiterhin festverzinsliche Instrumente mit nicht zu hoher Zinssensitivität (also nicht nur lange Laufzeiten) und auch Aktien im Umfang der eigenen Risikopräferenz. Aktien profitieren aktuell von niedrigen Zinsen und werden das weiter tun. Aber es gilt zu bedenken, dass bei später steigenden Zinsen kurzfristige Verluste bei Anleihe- und Aktientiteln unvermeidlich sein werden. Und lassen Sie sich nicht von hohen (Nominal-)Zinsen täuschen. In den 70er-Jahren hatten wir hohe Sparzinsen – die Inflation (der Grund für hohe Zinsen) hat das meiste wieder weggefressen, den Rest erledigt die Kapitalertragssteuer …
Zweitens: "Don’t put all your eggs in one basket!"
Setzen Sie nicht alles auf eine Karte, denken Sie global und diversifizieren Sie. Natürlich ist es faszinierend, aktuellen, trendigen Investments nachzugehen, aber den Kern einer Vorsorgelösung sollte ein Multi-Asset-Portfolio bilden, mit Erträgen, die zumindest im mehrjährigen Durchschnitt die Inflationsrate übertreffen. Ein aktiv verwaltetes Multi-Asset-Portfolio geht dabei über starre Aktien-/Anleihequoten hinaus und investiert in Währungen, Rohstoffe, Infrastruktur etc. – aber stets in vorgegebenen Risikodimensionen. Vertrauen Sie dabei ruhig auf erfahrene Investmentspezialisten!
Drittens: Geduld und Zielstrebigkeit.
Überprüfen Sie den eigenen Anlagehorizont, dann muss nicht bei ersten Kursverlusten das Steuer herumgerissen werden. Nur als Beispiel: Steigende Zinsen führen zwingend zu Kursverlusten bei entsprechend langlaufenden Anleihen. Aber in den Folgejahren werden Sie aus den nun höheren Renditen Nutzen ziehen. Bei einem Horizont von etwa sieben bis zehn Jahren werden Sie trotz anfänglicher Verluste von steigenden Zinsen profitieren. Auch wenn Wertpapierfonds tägliche Liquidität gewährleisten, sollten Sie Ansparpläne bei fallenden Aktienmärkten nicht stoppen oder gar die Positionen verkaufen – jetzt werden die Zukäufe ja preisgünstig!
Individuelle Lösungen
Globale Diversifizierung schließt Investments in Länder, die mehr Wachstum und höhere Zinsen versprechen, mit ein. Die Kehrseite ist die größere Volatilität im Vergleich zu reinen Euro-Anleiheveranlagungen. Es gilt stets, den eigenen Risikoappetit und auf dieser Grundlage mögliches Ertragspotenzial richtig einzuschätzen.
Fokus auf frühere Erträge "wie Autofahren lediglich mit dem Rückspiegel"
Noch eine abschließende Bemerkung: Frühere Erträge der Entscheidung für eine aktuelle Veranlagung zugrunde zu legen wäre wie Autofahren lediglich mit dem Rückspiegel. Grundsätzlich möglich, aber nur bei weitgehend gerader Fahrbahn und niedriger Geschwindigkeit. Wohl nicht das Richtige im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld!