Ende Oktober feiert der Raiffeisen-Österreich-Aktien sein 30-jähriges Bestehen. In diesen Zeitraum fallen durchaus turbulente Phasen, auch was die globalen Aktienmärkte betrifft …
Günther Schmitt: Stimmt, wobei der österreichische Aktienmarkt aufgrund seiner Struktur nicht von allen Höhen und Tiefen der globalen Märkte gleichermaßen betroffen war und ist. Die Dotcom-Krise hat er beispielsweise nicht so stark zu spüren bekommen wie die Finanzwirtschaftskrise. Denn im ATX sind keine Technologiewerte zu finden – Finanztitel sind hingegen überdurchschnittlich viele vertreten. Das kann gut und gleichzeitig auch von Nachteil sein, wie die genannten Beispiele zeigen.
Im Vergleich zu anderen Märkten ist der heimische Aktienmarkt übersichtlich.
Die Marktkapitalisierung des ATX beträgt ca. 46 Milliarden Euro. Das entspricht in etwa dem Wert eines mittelgroßen Unternehmens im amerikanischen S&P-Index.
Woher kommt das Interesse internationaler Investoren?
Die internationale Erfolgsstory des österreichischen Aktienmarkts beginnt mit einer Erwähnung in der amerikanischen Finanzzeitschrift „Barron’s“ im Jahr 1985. Dort wurde die Wiener Börse vom damaligen Investmentguru Jim Rogers als Geheimtipp empfohlen. Rogers, der gemeinsam mit George Soros den Quantum-Fonds gegründet hatte, war in den 1980er-Jahren viel herumgereist und hat dabei auch in Österreich einen Zwischenstopp eingelegt.
Was hat ihm an der Wiener Börse gefallen?
Das waren in erster Linie die günstigen Kaufgelegenheiten. Ein Großteil der gelisteten Aktien notierte weit unter Buchwert, mit einstelligen Kurs-Gewinn-Verhältnissen. Hinzu kamen staatliche Förderungen junger und neuer Aktien aus Kapitalerhöhungen von Industrieunternehmen, die diese Werte sehr unterstützten. Die Empfehlung von Rogers führte dazu, dass internationale Investoren auf den Markt aufmerksam wurden. Der ATX wurde im wahrsten Sinne des Wortes beflügelt und verdreifachte sich innerhalb weniger Jahre von rund 500 Punkten im Jahr 1985 auf rund 1.600 Punkte im Jahr 1991. Danach entwickelte sich die Wiener Börse mehr als ein Jahrzehnt nahezu seitwärts …
... Bis österreichische Unternehmen nach Osteuropa expandierten und so vom enormen Entwicklungspotenzial dieser Länder profitierten.
Das waren vor allem Unternehmen aus der Bauindustrie wie die STRABAG, Porr und Wienerberger, aber auch Banken und Versicherungen und natürlich die OMV. Die Öffnung Osteuropas löste an der Wiener Börse einen regelrechten Boom aus. Viele Investoren, die nicht direkt in Osteuropa veranlagen wollten, waren über österreichische Firmen in die Märkte investiert. Der ATX schoss in die Höhe und hatte bis zur Lehman-Pleite rund 5.000 Punkte erreicht. Als Fondsmanager konnte man fast nichts falsch machen.
Dafür waren die darauffolgenden Jahre umso herausfordernder. Welche Strategie haben Sie im Raiffeisen-Österreich- Aktien verfolgt?
Nach dem Zusammenbruch von Lehman stürzten sämtliche globalen Börsen ab. Als finanzlastiger Börsenplatz wurde auch Wien schwer getroffen. Der ATX fiel wieder auf die magische Zahl von rund 1.600 Punkten zurück. In so einer Phase kristallisieren sich rasch die Möglichkeiten von aktivem Fondsmanagement heraus: Unternehmen und ihre Strategien genau zu analysieren, auch Nebenwerte im Investment zu berücksichtigen und günstige Kaufgelegenheiten zu nutzen, wenn der grundsätzliche Wert eines Betriebs, der so genannte Value, passt. Das hat sich bewährt. Im Raiffeisen-Österreich-Aktien haben wir in den vergangenen zehn Jahren sehr stark auf Nebenwerte gesetzt – dadurch haben wir über weite Strecken den ATX, der inzwischen wieder bei rund 3.000 Punkten steht, deutlich schlagen können. Bei den Nebenwerten ist die Vielfalt der investierbaren Branchen größer als im ATX, dadurch erweitert sich der Handlungsspielraum.
Hat sich das Spektrum an investierbaren Unternehmen in den vergangenen Jahren verändert?
Die Zahl der Börsengänge war in den letzten Jahren eher spärlich. Erfreulich ist allerdings, dass heuer schon drei Firmen diesen Schritt gemacht haben, darunter Marinomed, ein Unternehmen aus dem Biotechnologiebereich, und Frequentis. Das wird den Überhang an Finanzunternehmen etwas reduzieren, auch wenn das dritte Unternehmen, die Addiko Bank AG, in diese Kategorie fällt.
Unternehmen werden mehr und mehr auch hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit bzw. der Maßnahmen, die sie in diese Richtung setzen, unter die Lupe genommen. Welche Rolle spielt dieser Aspekt bei Ihren Investmententscheidungen?
Raiffeisen Capital Management ist Unterzeichner der UN PRI (Prinzipien für verantwortliches Investieren der Vereinten Nationen). Das bedeutet, dass wir grundsätzlich die dort festgelegten Vor-gaben für nachhaltiges Investieren berücksichtigen. Darüber hinaus betreiben wir aktives Impact-Investing. Wir versuchen also, über unsere Fragen an die Unternehmen Verbesserungen in Bezug auf deren Nachhaltigkeit zu bewirken. Wir haben an der österreichischen Börse einige Vorzeigebetriebe, was nachhaltiges Wirtschaften betrifft – dazu zählen die Lenzing AG und auch die Verbund AG. Sie reüssieren auch deshalb, weil sie aufgrund ihrer nachhaltigen Strategien geringere Unternehmensrisiken aufweisen. Auch die voestalpine unternimmt viel, um ihre Nachhaltigkeitswerte zu verbessern.
Der österreichische Aktienmarkt hat heuer schon sehr solide performt. Was spricht weiterhin für ein Investment in heimische Unternehmen?
Der Markt ist, verglichen mit anderen Märkten Westeuropas und teilweise Osteuropas, nach wie vor sehr günstig bewertet und auch die Osteuropa-Story ist noch immer intakt. Das heißt, viele österreichische Unternehmen, die in Zentral- und Osteuropa aktiv sind, profitieren von höheren Wachstumsraten, die sich auch auf ihre Gewinne positiv auswirken. Die Kursperformance des ATX hat, auch absolut betrachtet, Aufholpotenzial. Der Wert des Index steht derzeit bei rund 3.000 Punkten (Stand: 25. September 2019) und ist noch weit von seinem Höchststand von über 5.000 Punkten entfernt (Juli 2007: 5.010,93 Punkte).
Welche Risiken gibt es?
Der globale wirtschaftliche Abschwung ist derzeit das realste Risiko. Sollte sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China weiter verschärfen, könnten die Aktienmärkte unter Druck geraten. Die Be-deutung Chinas für die Weltwirtschaft – u. a. als Rohstofflieferant – ist mittlerweile zu groß und auch der politische Einfluss zu bedeutend, um ohne Auswirkungen auf die anderen international ausgerichteten Märkte zu bleiben. Europa befindet sich zwischen diesen Fronten. Und europäische Unternehmen, die sowohl mit China als auch mit den USA in Handelsbeziehungen stehen – und das sind sehr viele – müssen Auswirkungen von beiden Seiten befürchten.
Auf welche Branchen bzw. Unternehmen setzen Sie aktuell im Raiffeisen-Österreich-Aktien?
Branchenseitig erachten wir Energiewerte und heimische Immobilienaktien als attraktive Investments. Letztere waren historisch immer schon günstig und auch aktuell notieren österreichische Titel – obwohl sie sehr nachgefragt sind – größtenteils noch stets unter ihrem Buchwert. Das heißt, sie haben im Vergleich zu den Immobilienaktien anderer Länder Aufholpotenzial. Die CA-Immo ist in Deutschland im Developmentbereich äußerst aktiv und die Immo AG könnte von einem anderen Unternehmen übernommen werden und damit an Wert zulegen. Auch die UBM Development, die Grundstücke kauft und bebaut, ist ein wichtiger Player und aus unserer Sicht derzeit ein vielversprechendes Investment. Abseits der genannten Immobilienaktien gefällt uns im Energiesektor die OMV sehr gut. Das Unternehmen befindet sich in einem Transformationsprozess, weg von Öl und hin zu Gas sowie Petrochemie. Auch der Spezialfaseranbieter Lenzing AG ist in Hinblick auf finanzielle Erträge, aber auch im Sinne der Nachhaltigkeit für uns ein interessantes Unternehmen.
Das sind in erster Linie Titel aus dem ATX. Was ist mit den erwähnten Nebenwerten?
Aufgrund der neuen MiFID-II-Bestimmungen können viele Investoren diese Unternehmen nicht mehr covern. Das führt zu einer größeren Illiquidität, was natürlich schlecht für die Titel ist und sie für Anleger unattraktiver macht. Das ist insgesamt problematisch.
Der Raiffeisen-Österreich-Aktien befindet sich unter den weltweit 16 Fonds, die ausschließlich in österreichische Aktien investieren. Er ist konstant unter den Besten und wird regelmäßig ausgezeichnet. Gibt es hier so etwas wie einen Heimvorteil?
Sicherlich. Wir kennen die Unternehmen sehr gut, in die wir investieren, und sind nicht zwingend auf Analysten angewiesen, um an Unternehmensdaten zu kommen. Auch sind persönliche Meetings mit dem Management aufgrund der geografischen Nähe öfter möglich. Das kann bei der finalen Bewertung von Vorteil sein.
Vielen Dank für das Gespräch!