Das Coronavirus und seine uneinschätzbaren Auswirkungen haben uns in Hinblick auf die Erwartung einer moderaten Belebung der Weltwirtschaft im Jahresverlauf – und somit auch auf unsere positive Einschätzung von Aktien – kurzfristig einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. In einer solchen Situation steht das Vorsichtsprinzip über Ertragsoptimierung. Dies gilt angesichts der ersten Umfrageindikatoren aus China, die sich auf den Februar beziehen, umso mehr. Denn diese deuten auf eine Einschränkung der Wirtschaftsaktivität hin, die weit stärker ist, als von den meisten Marktteilnehmern erwartet. Auch in der westlichen Welt ist eine solche Entwicklung nicht unwahrscheinlich. Immerhin greifen Behörden (z. B. Verbot von Veranstaltungen), Unternehmen (z. B. Absage von Dienstreisen und Veranstaltungen) und Private (z. B. Hamsterkäufe, Reisestornierungen) zu drastischen Maßnahmen. Diese betreffen nicht zuletzt auch den Dienstleistungsbereich, der in den letzten Jahren die stabile Stütze der Weltwirtschaft war. Diese Maßnahmen können einen selbstverstärkenden Effekt haben. Je vorsichtiger die Behörden und Unternehmen agieren, desto eher wird sich auch der Konsument zurückhalten. Immerhin will sich niemand dem Vorwurf aussetzen, nicht angemessen reagiert zu haben. Dass diese Maßnahmen in vielen Ländern auf ein relativ überschaubares Bedrohungspotenzial treffen, tut dem keinen Abbruch.
Das Virus konnte den Finanzmärkten überraschend lang nichts anhaben. Noch Ende Februar erreichten die Aktienmärkte neue Hochs, obwohl die Nachrichtenlage schon sehr negativ war. Dies deutet darauf hin, dass der Optimismus und die Sorglosigkeit unter Aktieninvestoren nach dem außergewöhnlich guten Aktienjahr 2019 schon extreme Ausmaße erreicht hatte. Die Vehemenz der Kurskorrektur, die mitunter an das Jahr 2008 erinnert, ist zu einem guten Teil auch auf diesen Faktor zurückzuführen. Inzwischen ist die Situation nicht nur abgekühlt. Die einschlägigen Indikatoren für die erwarteten Schwankungen am Aktienmarkt (z. B. VIX-Index) haben Panikniveaus erreicht. „Buy when there is blood in the street“ ist der Ratschlag, der sich auf exakt solche Paniksituationen bezieht. Ob die Zeit für Käufe schon reif ist, darf jedoch bezweifelt werden. Dies liegt zunächst daran, dass noch Verkäufe von systematischen Anlagestrategien zu erwarten sind. Trendfolgestrategien, Value-at-Risk-Modelle und andere Strategien, die von der Marktvolatilität getrieben werden und/oder auf Wertsicherung abzielen, werden seit der Finanzkrise verstärkt zum Einsatz gebracht, um große Veranlagungsverluste zu verhindern. Gemeinsam haben all diese Ansätze, dass sie prozyklisch agieren. Das bedeutet, dass in den fallenden Markt hineinverkauft wird, was die Abwärtsbewegung verstärkt. All diese Ansätze haben unterschiedliche Parameter und Reaktionszeiten. Einige haben schon reagiert, andere werden in den nächsten Tagen und Wochen noch Aktien verkaufen. Als zweites Argument gegen voreilige Käufe ist das Momentum des Newsflows anzuführen. Bis zuletzt baute sich die Flut der negativen Nachrichten weiter auf und es ist noch nicht absehbar, ob die Welle noch größer wird. Erst wenn diese wieder bricht und abschätzbar ist, wie groß der Schaden ist, werden sich die Märkte nachhaltig erholen können. Bis dahin ist eine mehrwöchige bis -monatige Phase mit weiterhin starken Schwankungen zu erwarten. Zur Erholung werden auch die Notenbanken beitragen. Eine weitere Lockerung der Geldpolitik in der Tradition der letzten Jahre – zusätzlich zu der bereits erfolgten Zinssenkung der Fed – ist sehr wahrscheinlich. Auch von anderen großen Notenbanken werden entsprechende Maßnahmen erwartet. Im Sommer, spätestens aber bis Ende des Jahres, werden die Aktienmärkte unserer Erwartung nach höher stehen, als sie es noch Ende Februar taten. Langfristig orientierte Fondsinvestoren haben nicht zuletzt deshalb keine Veranlassung, etwas an ihrer Veranlagungsstrategie zu ändern.
Staatsanleihen: weitere Zinssenkungen in den USA eingepreist
(Globale) Staatsanleihen bleiben weiterhin stark gefragt, da sich die Unsicherheit hinsichtlich der weltweiten Wirtschaftsentwicklung deutlich erhöht hat. In den USA werden bis Jahresende 2020 weitere Zinssenkungsschritte erwartet – abhängig von der Entwicklung, eher früher als später. Die US-Zinsstrukturkurve (3 Monate – 10 Jahre) ist abermals deutlich negativ, was einerseits US-Rezessionssorgen, andererseits aber auch die Erwartungshaltung weiterer lockerer geldpolitischer Maßnahmen befeuert. Erwähnenswert ist zudem, dass sich die Renditen langfristiger US-Staatsanleihen aktuell auf einem All Time Low befinden. Auch die Renditen von Emerging-Marktes-Staatsanleihen in Hartwährung sind trotz zuletzt wieder angestiegener Risikoprämien/Spreads seit Jahresbeginn rückläufig, vom Niveau allerdings noch über den historischen Tiefständen. Ebenso rückläufig waren die Renditen von Schwellenländer-Anleihen in lokaler Währung insgesamt, wenngleich die Wertentwicklung in EUR aufgrund schwächerer Währungen gelitten haben.
Unternehmensanleihen: Euro High-Yield-Markt mit bestem Jahresstart der Geschichte
Im Rahmen des negativen Newsflows kam es bei Unternehmensanleihen zu Spreadanstiegen. Investoren tendierten aber v.a. dazu, Credit-Risiken mittels Credit Default Swaps abzusichern. Der Primärmarkt blieb bis Ende Februar von der Coronavirus-Angst weitestgehend verschont. Der Euro High-Yield-Markt legte mit bislang über 20 Mrd. EUR an Emissionsvolumen seinen besten Jahresstart der Geschichte hin.
Emerging-Markets-Anleihen: Risikoprämien bleiben wohl eher „gedeckelt“
Wir gehen davon aus, dass die Risikoprämien von Schwellenländer-Staatsanleihen im Bereich der aktuellen Niveaus "gedeckelt" bleiben. Dabei sind weniger fundamentale Treiber/Risiken ausschlaggebend, als vielmehr die Erwartung des abermaligen Eingreifens der globalen Notenbanken in den Preisfindungsmechanismus.
Entwickelte Aktienmärkte im Bann der Entwicklungen aufgrund des Coronavirus
Die internationalen Aktienmärkte stehen aktuell ganz im Bann der Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus. Dass entsprechend negative wirtschaftliche Effekte (Konjunkturwachstum, Gewinnentwicklung) in den nächsten Monaten sichtbar werden, ist klar. Das Ausmaß ist derzeit aber nicht abzuschätzen. Aktuell zeigen verschiedene technische Indikatoren ein überverkauftes Bild, wodurch zumindest kurzfristige Gegenbewegungen wahrscheinlicher werden. Ob hier tatsächlich schon der Tiefpunkt erreicht ist, ist fraglich.
Aktienmärkte Schwellenländer kommen unter Druck
In der zweiten Jahreshälfte 2019 hatte sich allseits konjunktureller Optimismus breitgemacht. Auch bei der Gewinnentwicklung – insbesondere im asiatischen Raum – hat sich das zwischenzeitlich deutlich manifestiert. Mit dem Coronavirus hat sich nunmehr die Erwartung bezüglich der Unternehmensdaten verschlechtert, stand doch China als große Volkswirtschaft wochenlang still. Damit verwundert es auch nicht, dass Schwellenländer-Aktien im Vergleich zum entwickelten Aktienraum unter Druck kommen.
Rohstoffmärkte: Nachfragerückgang deutlich spürbar
Auch an den Rohstoffmärkten hinterlässt das Coronavirus seine Spuren. Die unmittelbaren Auswirkungen des Nachfragerückgangs sind in dieser Anlageklasse besonders stark spürbar. Einzig der Edelmetallbereich konnte seine Rolle als sicherer Hafen auch diesmal ausspielen. Die Energierohstoffe mussten aufgrund der direkten Wachstumseffekte die stärksten Rückgänge verbuchen. Eine Reaktion auf der Angebotsseite wird damit immer unausweichlicher.
Ingrid Szeiler, CIO, Raiffeisen KAG