Die jüngsten Entwicklungen in Bezug auf Covid-19, die vom Markt momentan weitgehend ignoriert werden, geben durchaus Anlass zur Sorge und veranlassen uns, hinsichtlich unserer Aktien-Positionierung mit noch etwas größerer Vorsicht zu agieren. Hinzu kommt, dass in den nächsten Wochen im Zuge der Berichtssaison für die Ergebnisse des abgelaufenen zweiten Quartals mit einer Welle an negativen Unternehmensmeldungen zu rechnen ist, wobei die signifikanten Rückgänge bei der Gewinnentwicklung nicht weiter überraschen. Nach der starken Erholung der Aktienkurse der letzten Wochen und Monate ist der Markt korrekturanfällig geworden und die Quartalsberichte könnten Auslöser für einen Rückschlag sein.
Der positive Grundtenor am Markt war in den letzten Monaten sehr stark von den geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen gestützt. Was die Finanzmärkte betrifft, war es vor allem die Geldpolitik, die zur Erholung geführt hat. Mit Aktienmärkten und riskanten Segmenten des Anleihemarktes, die ihre Verluste größtenteils egalisiert haben, gilt für die Notenbanken jetzt einmal „Mission accomplished“ und die Motivation für weitere Maßnahmen dürfte bis auf Weiteres gering sein. Somit tritt dieser, zuletzt wesentliche, Unterstützungsfaktor in den Hintergrund, zumal Finanzmärkte ja bekanntlich weniger auf den Status quo achten, als vielmehr von der Veränderung beeinflusst werden. Erst wenn die Märkte neuerlich unter Druck kommen sollten, etwa weil der Süden der USA die steigenden Fallzahlen nicht in den Griff bekommt, würden die Notenbanken wohl wieder einschreiten.
Risikoprämien am Staatsanleihemarkt könnten weiter sinken
Innerhalb des europäischen Staatsanleiheuniversums bevorzugen wir europäische Peripherieanleihen gegenüber europäischen Kernländern (v.a. Deutschland und Frankreich). In Summe gehen wir davon aus, dass die Risikoprämien am Staatsanleihemarkt – entgegen der fundamentalen Verfassung der meisten Staaten – vorerst weiter sinken werden.
Unternehmensanleihen: überdurchschnittlich viele Emissionen
Die Spreads von Unternehmensanleihen sind relativ zum Vormonat gesunken. Entgegen der schwachen wirtschaftlichen Lage, die steigende Ausfallsraten erwarten lässt, waren Unternehmensanleihen stark gesucht. So wie Staaten, emittieren derzeit auch Unternehmen überdurchschnittlich viele Anleihen. Die Netto-Emissionserlöse fließen zum Großteil in die Liquiditätsreserven, was aus Gläubigersicht kurzfristig positiv zu werten ist.
Emerging-Markets-Anleihen: Hartwährungsanleihen trotz gesunkener Risikoprämien attraktiv
Trotz recht deutlich gesunkener Risikoprämien und einer guten Ertragsentwicklung, erachten wir – relativ betrachtet – Schwellenländer-Hartwährungsanleihen unverändert als eine der attraktiveren Assetklassen in diesem Umfeld. Zudem sehen wir einen Großteil der durch Covid-19 ausgelösten fundamentalen Probleme hier bereits eingepreist.
Entwickelte Aktienmärkte: (Zu) Viel Zuversicht eingepreist
Die internationalen Aktienmärkte setzten ihre Erholung in den letzten Wochen unbeirrt fort. Umfangreiche Fiskalpakete und geldpolitische Maßnahmen in Kombination mit der Aussicht auf eine voranschreitende Normalisierung des Wirtschaftslebens lassen die Investoren aktuell sämtliche Risikofaktoren ausblenden. Wir sehen kurzfristig zu viel Zuversicht eingepreist (vs. der erwarteten Verbesserung der Fundamentalfaktoren) und sind daher etwas vorsichtiger positioniert als zuletzt.
Aktienmärkte Schwellenländer: große regionale Unterschiede
Durch die Emerging Markets geht ein regionaler Riss, der sich am besten anhand der Gewinnentwicklung veranschaulichen lässt: In Asien werden nur leichte Rückgänge bei den Unternehmensgewinnen registriert, während in Lateinamerika und in den europäischen Schwellenländern dramatische Einbrüche zu verzeichnen sind. Auch hinsichtlich Covid-19 sind regional klar unterschiedliche Entwicklungen zu erkennen. Wobei die ruhige Entwicklung in Asien hervorzuheben ist, was dort die wirtschaftliche Erholung vorantreibt und zu positiven Auswirkungen auf asiatische Schwellenländer-Aktien führt.
Rohstoffmärkte: Zyklische Industriemetalle und Energiestoffe konnten zulegen
In einem freundlichen Kapitalmarktumfeld konnten sich auch die Rohstoffpreise von ihren Tiefstständen erholen. Zuletzt konnten besonders die zyklischeren Industriemetalle und
Energierohstoffe zulegen. Aber auch der "defensivere" Edelmetallbereich profitiert unvermindert von starken Zuflüssen in Goldprodukten. Wir erwarten mittelfristig weitere Angebotsrücknahmen und damit eine Unterstützung für die Preisentwicklung.
Ingrid Szeiler, Chief Investment Officer, Raiffeisen KAG