Seit Mitte April gibt es den Raiffeisen-SmartEnergy-ESG-Aktienfonds. Warum hat die Raiffeisen KAG ihr nachhaltig gemanagtes Produktangebot um einen Energiefonds erweitert?
Hannes Loacker: Das Thema Energie ist sehr stark mit dem Klimawandel verknüpft. Um die Erderwärmung bis ins Jahr 2100 unter zwei Grad zu halten, dürfen weltweit nur noch 600 Gigatonnen an Treibhausgasen emittiert werden. Aktuell verbraucht die Welt 55 Gigatonnen jährlich, das heißt, in elf Jahren wäre dieses „Restbudget“ schon erschöpft. Der Energiesektor produziert dabei zwei Drittel der Treibhausgase. Man muss also die Emissionen sehr schnell nach unten bringen und das geht nur, wenn man die Energiewende konsequent vorantreibt. Es muss sehr viel Geld in erneuerbare Energien fließen, deshalb eignet sich dieser Fonds für das nachhaltige Produktangebot perfekt. Der Fonds versucht nicht nur einen möglichst geringen CO2-Abdruck zu verursachen, sondern auch die zahlreichen Wachstumschancen zu nutzen.
Wo sehen Sie diese Wachstumschancen? Wo liegt der Fokus?
Hannes Loacker: Der Fonds unterscheidet sich von den klassischen Referenzwerten, die nur in die Versorger – also in Wind- oder Solarkraft investieren. Im Prinzip sind es drei große Sektoren, die 90 Prozent des Fonds abdecken: Mit knapp 40 Prozent ist es der Versorgersektor. Dann kommt mit rund 30 Prozent der Industriesektor. Hier setzen wir etwa auf Unternehmen, die für effizientere Gebäude sorgen. In der EU sind rund 35 Prozent der Gebäude über 50 Jahre alt und 75 Prozent der Gebäude gelten als energieineffizient. Hier kann man also noch sehr viel erreichen. Und der dritte Fokus liegt auf dem Technologiesektor, der Schlüsselkomponenten für den Bereich erneuerbare Energien liefert, aber auch für die E-Mobilität. Die E-Mobilität ist ein stark wachsender Bereich, zumal die großen Autobauer in den nächsten Jahren 300 Mrd. Dollar in E-Modelle stecken wollen. Auch das Thema Wasserstoff wird immer spannender.
Nach welchen Kriterien werden Unternehmen für den Fonds ausgewählt?
Hannes Loacker: Wir haben den Anspruch, dass die Unternehmen zumindest 25 Prozent ihres Umsatzes beim Thema Smart Energy erzielen, vielfach sind es 100 Prozent. Aber es gibt auch Unternehmen, bei denen der Bereich erst wächst. Für uns ist wichtig, dass die Unternehmen einen klaren Fokus haben, wie zum Beispiel Infineon Technologies. Der Halbleiterproduzent profitiert sehr stark vom steigenden Elektrifizierungsgrad im Automobilbereich, aber noch sind es keine 50 Prozent am Umsatz in Smart Energy.
Wie groß ist das Investment-Universum? Wie viele Unternehmen stehen Ihnen für den Fonds generell zur Verfügung?
Hannes Loacker: So wie wir das Thema Smart Energy definiert haben, ist das Universum im Prinzip noch nicht wirklich groß. Wenn wir alle Kriterien anlegen, dann sind es am Ende rund 400 Unternehmen, aus denen wir aktuell 50 Aktien herausgepickt haben. Ich bin mir sicher, dass das Universum weiter wachsen wird. Zum einen, weil neue Unternehmen entstehen, die speziell in diesem Bereich tätig sind, aber auch, weil bestehende Unternehmen ihren Fokus Richtung Nachhaltigkeit verändern. Viele der Stromkonzerne, die jetzt im Fonds enthalten sind, wären vor zehn Jahren nicht in Frage gekommen, weil sie noch nicht auf das Thema erneuerbare Energie gesetzt haben. Das ändert sich gerade.
In welchen Regionen tut sich auf dem Gebiet Smart Energy am meisten?
Hannes Loacker: Die skandinavischen Länder haben klar die Nase vorn und da tut sich auch auf technologischer Seite sehr viel. Beeindruckend ist auch, wie viel erneuerbarer Strom mittlerweile in europäischen Ländern produziert wird. Und auch in den USA sind sehr viele Unternehmen in diesem Bereich tätig. Wenn wir nach Asien blicken, ist es im Moment relativ schwierig passende – in Hinblick auf ESG – Unternehmen zu finden, aber das wird sich auch dort in den nächsten Jahren ändern. Die Luftverschmutzung zwingt viele Länder, etwas zu tun.
Wie wurden bzw. werden diese 400 Unternehmen aufgespürt?
Hannes Loacker: Über Bloomberg screenen wir zunächst, wie hoch der Umsatz im Bereich Smart Energy ist. Dann legen wir unsere ESG-Kriterien an – im Fonds befindet sich kein Unternehmen mit Kohle-, Gas- und Ölproduktion, allerdings – im Unterschied zu unseren noch strengeren Nachhaltigkeitsfonds – ist ein sehr geringer Teil in Atomstrom investiert und zwar deshalb, weil wir einen spanischen Stromproduzenten im Fonds haben, der im Bereich Wind und Solar sehr stark wächst, aber aus der Historie heraus noch ein AKW betreibt. Generell müssen die Unternehmen einen Raiffeisen-ESG-Score von mindestens 50 aufweisen. Der Fonds hat aktuell einen durchschnittlichen ESG-Score von knapp 76. Wir sind also schon auch sehr streng. Natürlich liegt das Thema auf dem „E“, aber auch das „S“ und „G“ sind uns wichtig. Wenn man den Fokus nur auf die Umwelt legt, dann wird das Rating am Ende nicht gut genug sein, um im Universum der 400 aufzuscheinen.
Was liefert die Letztentscheidung, um in ein Unternehmen zu investieren?
Hannes Loacker: Das ist dann klassische Bottom-up-Analyse. Das heißt, die Letztentscheidung fällt auf Basis diverser Finanzkennzahlen. Es ist ein Wachstumsfonds und kein Value-Fonds, aber die Bewertung spielt natürlich auch eine Rolle. Man versucht Unternehmen auszuwählen, die hoffentlich eine gute Kursentwicklung aufweisen. Die Aktien sind dabei nicht gleich gewichtet, sondern in drei Kategorien zwischen 1 und 4 Prozent. Es gibt extrem spannende Unternehmen, die teilweise aber noch zu klein sind, und die man als Fondsmanager nicht mit 4 Prozent Gewichtung im Portfolio haben möchte, weil das Risiko nicht zu verantworten wäre.
Wie klein darf ein Unternehmen sein, damit es noch in den Fonds geholt werden kann?
Hannes Loacker: Die Marktkapitalisierung sollte bei mindestens 100 Mio. Euro liegen. In der Praxis sind es eher mehr als 250 Mio. Euro.
Die größten Positionen sind Solarunternehmen. Wie stark sind deren Entwicklungen und das Thema erneuerbare Energien insgesamt noch von staatlichen Förderungen abhängig?
Hannes Loacker: Wenn Subventionen gekürzt werden, ist das natürlich nie gut. In den 2000er-Jahren gab es bei Solarunternehmen eine richtige Pleitewelle, weil Subventionen zurückgenommen wurden. Damals waren die Unternehmen noch sehr stark von staatlicher Förderung abhängig, das hat sich aber in den letzten Jahren extrem verändert. Solar- und auch Windenergie sind mittlerweile in zwei Dritteln der Welt zumindest wettbewerbsfähig mit anderen Stromerzeugungstechnologien. Die Technologie hat so große Fortschritte gemacht, dass man hier auf der Kostenseite sehr viel verbessern konnte. Wenn man zum Beispiel die Kosten für den Bau eines Kohle-, Gas- oder Atomkraftwerks miteinbezieht, dann ist die Stromproduktion aus Solar- und Windenergie mittlerweile auch ohne Subventionen vielfach schon günstiger. Die Angst, die man vor 10 oder 15 Jahren noch haben musste, ist deutlich zurückgegangen.
Intelligente Energienetze sind auch ein großes Thema im Fonds. Warum und wo kann man hier investieren?
Hannes Loacker: Es geht darum, dass die größeren Mengen an Wind- und Solarstrom nicht so gleichmäßig in die Netze eingespeist werden wie Gas oder Kohlestrom. Da muss man noch sehr viel in die Netzmodernisierung investieren. Die Netze müssen auch intelligenter werden, weil der private Konsument immer mehr zum Prosumer wird, also Produzent und Konsument zugleich ist. Man hat ein Solardach auf dem Haus, verbraucht den eigenen Strom und speist dann teilweise den selbstgenerierten Solarstrom ins Netz ein. Es geht auch um Messung – Smart Metering –, hier haben wir zwei Unternehmen im Fonds, die genau messen, wann man wie viel Strom für was verbraucht hat. Das soll in Österreich auch bald kommen und zu einem effizienteren Verbrauch führen.
Wie beurteilen Sie die Zukunftshoffnung Wasserstoff?
Hannes Loacker: Wasserstoff ist schon eine spannende Technologie, aber von der Kostenseite her noch nicht ganz so attraktiv. Die Unternehmen sind auch noch eher klein. Wir haben drei Unternehmen im Fonds, die aber allesamt relativ gering gewichtet sind. Wichtig bei dem Thema: Wasserstoff ist nicht gleich Wasserstoff. Es geht darum, wie der Wasserstoff produziert wird: grau, blau oder grün. Der graue Wasserstoff wird aus Gas und Kohle produziert, hier wird also CO2 emittiert. Der blaue Wasserstoff wird zwar auch mit Gas produziert, aber das CO2 wird bei der Förderung unter der Erde gleich wieder abgeschieden und gelangt nicht in die Atmosphäre. Der grüne Wasserstoff ist der entscheidende. Der wird im Elektrolyseverfahren produziert, also Wasser wird in Sauerstoff und Wasserstoff geteilt und der dafür eingesetzte Strom kommt aus nachhaltigen Energien. Im Moment sind nur fünf Prozent des global hergestellten Wasserstoffs wirklich grün – auf diese fünf Prozent fokussieren wir uns. Der Anteil wird in den nächsten Jahren aber sicher deutlich steigen.
Der Fonds ist heuer im April gestartet – in keiner einfachen Zeit. Wie hat sich der Fonds entwickelt?
Hannes Loacker: Das Gute war, dass die Aktienmärkte trotz dieses Lockdowns größtenteils gestiegen sind, das hat natürlich geholfen und zu einer guten Wertentwicklung seit Fondsstart gesorgt, wobei die Wertentwicklung der Vergangenheit keine Rückschlüsse auf künftige Entwicklungen zulässt. Das Thema erneuerbare Energien ist durch den Lockdown auch nur vorübergehend in den Hintergrund geraten. Kurzfristig gab es die Angst, dass die Regierungen in dem Bereich ihr Engagement zurückfahren könnten, das ist nicht der Fall. Viele Regierungen halten an ihren Klimazielen fest und die Europäische Kommission treibt den Green-Deal weiter voran. Daher hat sich der Fonds entsprechend entwickelt. Die starke Performance zeigt die Möglichkeiten, allerdings müssen sich Anlegerinnen und Anleger bewusst sein, dass es trotz des langfristig hohen Wachstumspotenzials auch in die andere Richtung stärkere Bewegungen geben kann, bis hin zu möglichen Kapitalverlusten.
Wen spricht der Fonds an?
Hannes Loacker: Aus unserer Sicht eignet sich der Fonds sehr gut für den Retailbereich in Form von Ansparplänen, weil es ein säkularer Wachstumstrend ist. Klimawandel und erneuerbare Energien werden über die nächsten zwei Dekaden nicht verschwinden.