"Das Ergebnis der USA-Wahl ist noch nicht bekannt und der Kampf der Präsidentschaftskandidaten um den Einzug ins Weiße Haus noch voll im Gange. Derzeit zeichnet sich zwar ein Wahlgewinn des Demokraten Joe Biden ab, doch sicher ist das noch nicht. Denn Trump, der schon gestern den Sieg für sich reklamiert hat, wird wohl alle ihm zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung setzen, um den Sieg auf seine Seite zu ziehen (zumindest sofern er diesen nicht auf herkömmlichem Weg erzielen wird, denn noch ist alles offen). Nachdem das Stoppen der Briefwahlstimmen nicht erfolgreich war, hat Trump gestern Abend die juristische Anfechtung der Ergebnisse in einzelnen Bundesstaaten angekündigt.
Sollte Biden die Wahl für sich entscheiden, so steht er für „Green Deal“, Steuererhöhungen (allerdings aufgrund der republikanischen Mehrheit im Senat schwer durchzusetzbar), mehr Regulierung, Freihandel und Infrastrukturausgaben. Donald Trump steht hingegen – abgesehen von den Infrastrukturausgaben – für das Gegenteil davon: Er möchte Steuern senken, weniger Regulierung und Handelsbeschränkungen durchsetzen.
Gemeinsam mit der Präsidentschaftswahl wird auch ein Drittel der 100 Sitze im Senat vergeben. Diese Wahl ist fast genauso wichtig, denn die Partei, die den Präsidenten stellt, kann nur mit einer Mehrheit im Senat ihre Gesetze durchbringen. Das ist gerade für die Ausgestaltung des nächstes Fiskalpakets von großer Bedeutung. Nach aktuellem Stand behalten die Republikaner eine knappe Mehrheit im Senat.
Abseits der US-Wahl beschäftigt die Märkte vor allem Covid-19. Dass die Infektionszahlen im Herbst wieder ansteigen würden, war Konsens. Eine Eskalation, wie wir sie dieser Tage erleben, inklusive nahender Auslastung der Gesundheitssysteme, hatten wir allerdings nicht in den Karten. Insofern ist es notwendig, das Strategiedrehbuch zu überdenken. In den letzten Monaten hatten wir in der taktischen Positionierung mit Blick auf die wichtigsten Einflussfaktoren für die Finanzmärkte zunehmend Zuversicht gefasst. Eine beginnende Konjunkturerholung, über den Erwartungen liegende Unternehmensergebnisse, die niedrige Inflation und signifikante Maßnahmen seitens Geld- und Fiskalpolitik bewogen uns zu einer schrittweisen Anhebung der Aktienquote in den gemischten Fonds. Zuletzt war die Ausrichtung neutral mit dem Plan, die US-Wahl vorübergehen zu lassen und dann aktienseitig weiter zuzukaufen. Aufgrund der jüngsten Entwicklungen in Sachen Covid-19 sehen wir von diesem Plan fürs Erste ab. Weder ist die Dauer der Lockdowns noch deren Strenge, und auch nicht die Anzahl der Länder, die sich zu einem solchen Schritt gezwungen sehen, absehbar. Damit steht auch über den Auswirkungen auf die globale Konjunktur ein großes Fragezeichen. In Bezug auf die Märkte heißt das nicht unbedingt, dass große Rückschläge drohen. Sowohl Regierungen als auch Notenbanken werden ihre Maßnahmen abermals aufdoppeln, um die negativen Auswirkungen der Pandemie einzudämmen. Dass sich damit einige Segmente der globalen Finanzmärkte noch weiter von der wirtschaftlichen Realität entfernen werden, ist ein Risiko, um das wir uns wohl früher oder später kümmern müssen.
Staatsanleihen: Italienische Staatsanleihen verlieren an Attraktivität
Staatsanleihen der europäischen Peripherie (insbesondere Italien und Spanien) waren im Rahmen unserer Anleihen-Asset-Allocation bislang die Zugpferde. Wir reduzieren nun vorläufig die starke Positionierung von italienischen Staatsanleihen, nachdem deren Risikoprämien wieder Niveaus von Februar 2020 und damit Vor-Covid-19-Niveaus erreicht haben. Bei kerneuropäischen Staatsanleihen (insbesondere Deutschland und Frankreich) bleiben wir nach wie vor sehr zurückhaltend.
Euro-Unternehmensanleihen dürfte von Aufstockung des EZB-Anleiheprogramms profitieren
Trotz zugenommener Volatilität an den Aktienmärkten im Monat Oktober konnten sich die Spreads von Euro-Investmentgrade Unternehmensanleihen gut halten und haben die gestiegene Risikoaversion an den Aktienmärkten praktisch nicht reflektiert. Daher bleiben wir für diese Assetklasse weiterhin positiv, da wir auch deren Refinanzierungsmöglichkeiten am Primärmarkt (auch im Falle eines weiteren Lockdowns) nicht als gefährdet sehen. Zudem dürfte diese Assetklasse von einer erwarteten abermaligen Aufstockung des EZB-Anleiheprogramms im Dezember profitieren.
Emerging-Markets-Anleihen: Risiken steigen aufgrund von Covid-19-Lockdowns
Innerhalb der Anleiheklassen verfolgen wir bei Schwellenländer-Hartwährungsanleihen eine vorsichtige Strategie und sehen das als eine der besten Möglichkeiten, um in Hinblick auf einen abermaligen Covid-19-Lockdown und eine rückläufige globale Handelsaktivität positioniert zu sein. Aus diesem Grund haben wir diese Anleiheklasse bereits im
Vormonat zurückgefahren, nachdem wir hier einen Großteil des Jahres 2020 sehr stark auf sie gesetzt haben. Wir bevorzugen vorerst globale Staatsanleihen und Euro- Staatsanleihen gegenüber Emerging-Markets-Hartwährungsanleihen.
Entwickelte Aktienmärkte: Fiskalpakete und geldpolitische Maßnahmen unterstützen
Die stark steigenden Infektionszahlen (und damit einhergehend erneute
Einschränkungen) haben nun auch die internationalen Aktienmärkte erfasst. Den unmittelbar negativen wirtschaftlichen Auswirkungen stehen weiterhin umfangreiche Fiskalpakete und die Aussicht auf nochmalig aggressivere geldpolitische Maßnahmen gegenüber. Positiv zu sehen ist, dass zuletzt sogar positive Gewinnrevisionen überwogen haben. Wir bleiben vorerst bei unserer neutralen Haltung, würden aber erneute stärkere Kursrückgänge in der Folge zu Zukäufen nutzen.
Schwellenländer-Aktien: asiatische Unternehmen mit stabiler Gewinnentwicklung
Während eine zweite heftige Welle des Virus über Europa fegt, ist der asiatische Raum weiterhin die Insel der Seligen – keine Neuinfektionen und stabile ökonomische Entwicklung. Insbesondere China lässt kaum mehr Einschränkungen der wirtschaftlichen Leistungen durch Corona erkennen. Das lässt sich auch an der Gewinnentwicklung der asiatischen Unternehmen ablesen, die sich sehr fest entwickelt. In der Peripherie der Emerging Markets (Lateinamerika und Osteuropa) sind die Spuren dafür überdeutlich.
Rohstoffe: Preise entwickeln sich zuletzt seitwärts
Nach einer Erholung in den letzten Monaten entwickelten sich die Rohstoffpreise zuletzt seitwärts. Bei den zyklischeren Sektoren (Energie- und Industriemetalle) sehen wir das kurzfristige Aufwärtspotential limitiert. Die unverändert sehr expansiven, globalen Notenbanken in Kombination mit deutlich negativen Renditen bei sicheren Staatsanleihen unterstützen diesen Sektor."
Ingrid Szeiler, CIO, Raiffeisen KAG