Während unser Ausblick auf die Aktienmärkte bislang durchaus positiv geprägt war, waren wir bei Anleihen auf Vorsicht ausgerichtet. Fundament dieser Einschätzung war einerseits ein konstruktives Bild für Wirtschaft und Unternehmen sowie andererseits ein erwartetes Nachlassen des Inflationsdrucks im Jahresverlauf. Die Entwicklungen der letzten Tage stellen diese Annahmen nun in Frage und müssen einer Neubewertung unterzogen werden. Kurzfristig überwiegen darüber hinaus die Unwägbarkeiten, was eine zurückhaltendere Positionierung nahelegt. Insofern treten wir den Rückzug an und stellen Aktien und Anleihen auf neutral. Der Ausblick ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen äußerst unklar, die Bandbreite möglicher Szenarien groß. Vor einer Neuorientierung müssen wir daher einerseits den weiteren Verlauf in Osteuropa beobachten und andererseits, was wesentlich wichtiger ist, die Analyse der Auswirkungen auf die Weltwirtschaft bewerten. Der starke Anstieg der Energiepreise wird dämpfende Effekte auf das Wachstum haben und gleichzeitig die Inflationsangst anheizen. Damit stehen die Notenbanken vor der schwierigen Aufgabe, zwischen Wachstum und Inflation abzuwägen. Die diesbezüglichen Entscheidungen sind wiederum richtungsweisend für die Finanzmärkte. Die nächsten Wochen werden vermutlich etwas mehr Klarheit und belastbare Informationen für gut begründete Entscheidungen bringen.
Staatsanleihen: Renditen angesichts unsicherer Situation auf relativ hohen Niveaus
Staatsanleiherenditen befinden sich – trotz des Angriffs Russlands auf die Ukraine und des damit verbundenen geopolitischen Krisenszenarios – weiterhin auf vergleichsweise hohen Niveaus. Der inflationäre Druck dürfte wegen des derzeit neu entstehenden geopolitischen Gefüges hoch bleiben. Vor allem die US-Notenbank wird daher ihren Zinsanhebungspfad vermutlich nicht verlassen.
Unternehmensanleihen: Risikoprämien steigen
Unternehmensanleihen waren zuletzt mit kräftigen Anstiegen ihrer Risikoprämien konfrontiert. Klassische Fundamentaldaten (Unternehmensdaten, Konjunkturdaten etc.) rückten hinter den fundamentalsten Faktor überhaupt: Krieg in Europa. Trotz allem: An den Zinsmärkten wird in den entwickelten Ländern keine unmittelbare Rezession gepreist und neben den geopolitischen Unwägbarkeiten werden die Notenbanken nun abermals in den Fokus der Investoren rücken.
Emerging-Markets: Russische Anleihen massiv unter Druck
Nach moderaten Anstiegen der Risikoprämien bei Emerging-Markets-Hartwährungsanleihen hatten wir diese Anleiheklasse bislang positiv bewertet. Die abrupte und unerwartete geopolitische Eskalation (Ukraine/Russland) hat starke Verluste bei russischen Anleihen mit sich gebracht. Hinzu kommen Sanktionen, die die Handelbarkeit dieser Wertpapiere massiv einschränkt. Kommt es zu keiner weiteren signifikanten Eskalation, könnten Schwellenländer-Hartwährungsanleihen auf mittlere bis längere Sicht bereits attraktiv gepreist sein.
Entwickelte Aktienmärkte: Globale Märkte reagieren vergleichsweise moderat
Die Entwicklung an den europäischen Aktienmärkten ist aktuell natürlich stark vom Krieg in der Ukraine geprägt. Gleichzeitig fällt die (negative) Reaktion an den globalen Märkten (z.B. US-Aktien oder etwa auch japanische Aktien) bis jetzt überraschend moderat aus. Einerseits sind die direkten Auswirkungen beschränkt, und anderseits scheint auch eine gewisse Hoffnung der Investoren zu bestehen, dass damit der Zinsanhebungspfad doch verzögert bzw. schwächer ausfallen wird.
Schwellenländer-Aktienmärkte: Breiter Emerging-Markets-Index erstaunlich wenig getroffen
Der Februar stand auch bei Schwellenländer-Aktien ganz im Zeichen der Eskalation in Osteuropa. Besonders brisant ist hierbei, dass russische Aktien ein Bestandteil der Assetklasse sind, wenngleich mit weitaus weniger Bedeutung als vor vielen Jahren. Dies ist auch daran ersichtlich, dass obwohl russische Aktien ins Bodenlose gefallen sind, der breite Emerging-Markets-Index erstaunlich wenig getroffen wurde. Die Sanktionen haben ein nie gesehenes Ausmaß erreicht und etablierte Indexanbieter sprechen bereits davon, Russland aus Aktienindizes auszuschließen.
Rohstoffmärkte werden Rolle als „Versicherung gegen geopolitische Krisen“ gerecht
Die Rohstoffmärkte werden aktuell ihrer Rolle als "Versicherung gegen geopolitische Krisen" mehr als gerecht. Die deutlichen Preisanstiege erklären sich mit der hohen Bedeutung Russlands bei vielen Rohstoffen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Angebotsbild bereits vor dieser dramatischen Eskalation angespannt war. Auf Branchenebene trifft dies insbesondere auf den Energiesektor zu.
Ingrid Szeiler, CIO der Raiffeisen KAG