Grundsätzlich ist natürlich jede Berichtssaison spannend und für den weiteren Marktverlauf mitentscheidend. Doch der ab Mitte Juli beginnenden Berichtssaison über das zweite Quartal 2022 könnte besondere Aufmerksamkeit zukommen, denn bis dato scheint die Unternehmensebene von den bereits länger eingetrübten Makro-Frühindikatoren nahezu unbeeindruckt zu sein. In der letzten Gewinnberichtssaison wurden zwar negative Inflationseffekte seitens der Unternehmen schon deutlich verstärkt thematisiert und erstmals leicht rückläufige Gewinnmargen berichtet, allerdings überwogen immer noch die positiven Überraschungen in Relation zu den Analystenschätzungen. Erwartungsgemäß wird das zweite Quartal die geringste Gewinnwachstumsrate seit über einem Jahr hervorbringen, aber es werden eben immer noch Zuwächse – sowohl bei Umsätzen als auch bei Gewinnen – erwartet. Und zwar nicht nur für das abgelaufene Quartal, sondern auch für die Folgequartale. Und dies in einer Zeit, wo die Diskussion über eine absehbare Rezession infolge der bekannten Herausforderungen und Unwägbarkeiten an Intensität deutlich zugenommen hat. Dementsprechend ist der Fokus der Marktteilnehmer in den nächsten Wochen wohl noch stärker als gewöhnlich darauf gerichtet, ob die Unternehmen trotz erschwerter Rahmenbedingungen diesen immer noch optimistischen Erwartungen gerecht werden können. Im Vorfeld gab es zwar vereinzelte Gewinnwarnungen von Firmenchefs, insgesamt sind jedoch noch keine Anzeichen für eine Gewinnrezession auf breiter Front zu erkennen. Daher könnte die Berichtssaison ein weiteres Mal dem Aktienmarkt eine zumindest temporäre Unterstützung bieten. Sollten jedoch die Berichte und/oder die Ausblicke enttäuschen, wird sich der Bärenmarkt wohl ungebremst fortsetzen. Wir bleiben bei Aktien somit weiter vorsichtig positioniert.
Italienische Staatsanleihen im Fokus
Bei den Staatsanleihen sehen wir vor allem bei italienischen Papieren attraktive Möglichkeiten, nachdem die Spreads hier deutlich angestiegen sind und die EZB Mitte Juni ankündigte "eine Fragmentierung des EUR Staatsanleihemarktes vermeiden" zu wollen. Mit diesem Wording hat die Notenbank dem Markt de facto ein Spreadlimit für italienische Anleihen von etwa 200 Basispunkten kommuniziert. Zudem bevorzugen wir kurze Staatsanleihen (Deutschland, USA) und rechnen mittelfristig mit einer steileren Zinskurve.
Unternehmensanleihen: Steigende Ausfallsraten bei EUR High-Yield-Anleihen zu erwarten
Am Corporate-Bond-Markt präferieren wir aktuell Bankanleihen gegenüber Non-Financials-Anleihen (Industrieanleihen), aber auch EUR Investmentgrade-Titel gegenüber EUR High-Yield- Unternehmensanleihen. Die Risikoprämien von EUR High-Yield-Anleihen signalisieren zwar deutlich angestiegene Ausfallsrisiken, diskontieren unserer Meinung nach aber noch nicht ausreichend die zu erwartende konjunkturelle Abkühlung.
Emerging-Markets-Anleihen: Kaum prognostizierbare Auswirkungen der restriktiven Covid-Politik
Die Risikoprämien von Emerging-Markets-Hartwährungsanleihen sind zwar durchaus attraktiv, doch v.a. die in Asien/China zunehmend schwachen Konjunkturindikatoren und die kaum zu prognostizierenden Auswirkungen der restriktiven Covid-Politik (Lockdowns), veranlassen uns dazu, bei dieser Anleiheklasse vorerst nicht zuzugreifen.
Entwickelte Aktienmärkte: restriktiver werdendes Liquiditätsumfeld als Belastung
Die internationalen Aktienmärkte präsentierten sich zuletzt unverändert schwach. Die Sorge vor steigenden Renditen scheint zunehmend von Ängsten bezüglich einer deutlichen Gewinneintrübung abgelöst zu werden. Wir sehen das restriktiver werdende Liquiditätsumfeld aber unverändert als einen der größten Belastungsfaktoren für die nächsten Monate. Im Gegensatz zu den Anleihemärkten betrachten wir dieses Thema auf der Aktienseite noch nicht ausreichend in den Kursen reflektiert. Wir bleiben bei Aktien daher sehr zurückhaltend.
Schwellenländer-Aktienmärkte: Teilweise große Rohstoffreserven als Vorteil
Emerging-Markets-Aktien können sich dem allgemeinen Abwärtstrend nicht entziehen. Dennoch ist aktuell im Vergleich zu entwickelten Aktienmärkten zu erkennen, dass sich die Schwellenländer teilweise aufgrund der großen Rohstoffreserven besser halten können. Zum anderen ist speziell in Bezug auf China und Indien eine opportunistische Herangehensweise in der Rohstoffbeschaffung sehr hilfreich. Auch in Bezug auf die Inflationsentwicklung ist man hier mehr daran gewöhnt, mit solchen Situationen umzugehen (starke Zinsanhebungen wurden bereits durchgeführt).
Rohstoffmärkte zuletzt schwächer – mit Ausnahme des Energiesektors
Die Rohstoffmärkte präsentierten sich zuletzt durch die Bank schwächer. Vor allem die zyklischen Industriemetalle mussten aufgrund von zunehmenden Konjunkturwachstumsängsten Verluste hinnehmen. Eine Sonderrolle nimmt unverändert der Energiesektor ein, der stark von der Nachrichtenlage in der Ukraine bzw. von den Entwicklungen im Bereich Erdgas beeinflusst wird.
Ingrid Szeiler, CIO der Raiffeisen KAG*
* Die Raiffeisen KAG steht für Raiffeisen Kapitalanlage-Gesellschaft m.b.H.