„Die Reduktion der Erdgaslieferungen aus Russland in die europäischen Länder stellt weiterhin eine Bedrohung für die europäische und die globale Wirtschaft dar. Am akutesten ist die Situation in Deutschland, wo die Wirtschaft stärker von günstiger und zuverlässiger Energie für die Versorgung der verarbeitenden Industrie abhängig ist. Höhere Energiepreise werden sich auf die Lebensmittelpreise und die Zuversicht der Unternehmen auswirken.
Da Deutschland von russischem Pipeline-Gas abhängig ist, verfügt es derzeit über keine Flüssiggas-Terminals, die die verringerten Importe kompensieren könnten. Der IFO-Geschäftsklimaindex für Deutschland fiel im Juli auf 88,6 Punkte, nach 92,2 Punkten im Juni, und erreichte damit den niedrigsten Wert seit Juni 2020. Dies deutet darauf hin, dass die Unternehmen in den kommenden Monaten mit einer deutlich schwierigeren Geschäftslage rechnen.
Der deutsche Chemieriese BASF musste im zweiten Quartal 800 Millionen Euro mehr ausgeben, um den Betrieb seiner Anlagen aufrechtzuerhalten als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die Auswirkungen der höheren Energiepreise haben das Unternehmen nun zu der schwierigen Entscheidung gezwungen, die Produktion von Ammoniak, das in der Landwirtschaft als Düngemittel verwendet wird, zu verringern. Dies wird sich auf die Landwirtschaft und die Lebensmittelindustrie auswirken und zu einer anhaltenden Kosteninflation bei den Lebensmittelpreisen beitragen.
Die europäischen Aktienmärkte haben die negativen Auswirkungen der Unterbrechungen der Gasversorgung bereits berücksichtigt. Der S&P 500 hat im bisherigen Jahresverlauf 15 % an Wert verloren, während der deutsche Leitindex DAX40 im gleichen Zeitraum 17 % eingebüßt hat. Der S&P 500 wird jetzt mit dem 20-fachen des Kurs-Gewinn-Verhältnisses gehandelt, der DAX40 dagegen nur mit dem 12-fachen. Auch der Euro ist gegenüber dem US-Dollar auf einem 20-Jahres-Tief gelandet. Dies wird den europäischen Herstellern eine gewisse Erleichterung verschaffen. Eine abwertende Währung wird dazu beitragen, ihre Kostenbasis wettbewerbsfähig zu erhalten.
Anleger werden auf Unternehmen mit soliden Bilanzen setzen, um den Winter zu überstehen. Angesichts der Verflechtung der globalen Lieferketten ist es schwierig, festzustellen, welche Unternehmen am stärksten betroffen sein werden. Es kann zwar sein, dass ein Teil der Industrieproduktion während des Winters stillgelegt wird, da die Regierungen der Energieversorgung von Haushalten und den wichtigsten öffentlichen Diensten Vorrang einräumen. Doch dies wird wahrscheinlich nur eine Winterperiode lang andauern. Bei Investitionen in betroffene Unternehmen kommt es darauf an, dass sie über solide Bilanzen verfügen, um diese Zeit zu überstehen, in der es zu erhöhten Kosten und geringeren Einnahmen kommen könnte.
Ein Beispiel ist der europäische Flugzeughersteller Airbus, ein bedeutender Energieverbraucher, der seine Flugzeugrümpfe in Frankreich und Deutschland und seine Tragflächen in Großbritannien fertigt. Zwar könnte die Energiekrise bei Airbus zu einer Verlangsamung der Produktion führen, doch der Auftragsbestand von mehr als 6.200 Aufträgen bedeutet, dass die Anleger diese unsichere Phase wahrscheinlich überstehen werden. Airbus verfügt außerdem über eine gesunde Bilanz mit einer Netto-Cash-Position, so dass das Unternehmen über ausreichend Liquidität verfügt.
Blick auf den Frühling
Während dieser Winter für Verbraucher und Industrieunternehmen in ganz Europa wahrscheinlich hart sein wird, sollten wir nächstes Jahr um diese Zeit bereits in einer viel besseren Position sein. Energieimporte dürften dann nicht mehr so stark auf einen einzigen Erzeuger konzentriert sein. Und die Infrastruktur – Stichwort LNG-Terminals und weiteres – sollte für mehr Flexibilität sorgen können.
Die langfristigen Gewinner dieser Probleme sind die Unternehmen, die von dem REPowerEU-Plan der Europäischen Kommission profitieren können. RePowerEU wird dazu beitragen, die Energiesicherheit zu erhöhen und die Dekarbonisierungsziele der EU zu unterstützen. Obwohl die EU bereits einen Dekarbonisierungsplan hatte, werden diese Ziele aufgrund der Dringlichkeit durch den russischen Einmarsch in der Ukraine vorgezogen. Als Teil ihres Plans zur Diversifizierung ihrer Energiequellen schlägt die EU vor, ihr Ziel für saubere Energie bis 2030 von derzeit 40 % auf 45 % zu erhöhen. Es wird Kapital in Höhe von bis zu 210 Mrd. EUR bereitgestellt und ein Plan zum Abbau bürokratischer Hürden ausgearbeitet, damit Wind- und Solarprojekte viel schneller ans Netz gehen können. Dies wird Versorgungsunternehmen, die sich auf erneuerbare Energien konzentrieren, und Unternehmen, die Solarenergie und Windkraftanlagen anbieten, zugutekommen.“
Randeep Somel, Manager des M&G (Lux) Climate Solutions Fund bei M&G Investments