Studienleiter Professor Dr. Bert Rürup vom Handelsblatt Research Institute: „Wir zeigen, dass die Wertvorstellungen und das Lebensbild der Menschen, also das soziale Milieu, in dem sie leben, einen ganz erheblichen Einfluss auf ihr Sparverhalten haben." Dazu wurden erstmals die verschiedenen Milieus der deutschen Mittelschicht analysiert, die maßgeblich die gesamtwirtschaftliche Vermögensbildung der Bundesbürger prägen. Die Untersuchung zeichnet ein umfassendes und sehr differenziertes Bild ihrer materiellen Möglichkeiten und Wünsche bis ins Jahr 2025. „Wir müssen uns von der Vorstellung des typischen Sparers und seines tradierten Sparverhaltens lösen“, so Rürup. Im Niedrigzinsumfeld sparen viele Anleger auf Sicht. Langfristige Ziele geraten dabei in den Hintergrund. „Die Studie zeigt, dass die Menschen unverändert Wünsche haben, die sie sich nur erfüllen können, wenn sie dafür sparen“, sagt Hans Joachim Reinke, Vorstandsvorsitzender von Union Investment. „Denn einen Großteil dieser Wünsche zahlt man nicht vom Haushaltsgeld.“
Warum entwickelt sich Geldvermögen in DE unterdurchschnittlich?
Ausgangspunkt der Studie war die Fragestellung, warum sich das Geldvermögen der Deutschen im Vergleich zu dem anderer großer Volkswirtschaften wie den USA und Frankreich nur unterdurchschnittlich entwickelt, obwohl Einkommen und Sparquote im internationalen Vergleich hoch sind. Um das herauszufinden, wurden erstmals die Mikrodaten aus den jährlichen Haushalts-Befragungswellen des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) mit denen der Sinus Markt- und Sozialforschung kombiniert und ausgewertet. Die Sinus-Daten segmentieren die Bevölkerung anhand ihrer sozialen Lage und Grundorientierung in Milieus von Gleichgesinnten, also Menschen mit ähnlichen Lebensstilen und -zielen. Die Studie beschränkt sich bewusst auf die Analyse der Mittelschicht als Rückgrat der Gesellschaft. Zu ihr zählen alle privaten Haushalte in Deutschland mit einem verfügbaren Nettoeinkommen zwischen 70 und 150 Prozent des mittleren Einkommens. Das sind rund 60 Prozent aller Haushalte. Die ausgewählten fünf Milieus bilden die Mittelschicht am besten ab. Ihre Bandbreite reicht von der Sicherheit liebenden Nachkriegsgeneration der Traditionellen über die stark wertgetriebenen Sozial-Ökologischen und die klassische bürgerliche Mitte bis hin zu den leistungsbereiten Adaptiv-pragmatischen sowie den konventionsverweigernden Hedonisten.
Die Mittelschicht ist sehr heterogen
Die Studie wirft ein neues Licht auf das Sparverhalten dieser Gruppen. Über den breiten Trend hinaus, dass angesichts des Niedrigzinsumfeldes Geld lieber in kurzfristigen Anlageformen geparkt wird, weist sie bei unterschiedlichen Haushaltstypen dominante Wünsche und Bedürfnisse nach. Die Analyse stellt bisher gängige, auf Daten der amtlichen Statistik gestützte Annahmen infrage. So wird die generelle Bedeutung der Einkommenshöhe bisher stark überschätzt. Tatsächlich legen Haushalte, die unterschiedlichen Milieus angehören, bei ähnlich hohen Einkommen durchaus unterschiedliche Verhaltensweisen beim Sparen sowie bei der Wahl der Anlageformen an den Tag. Ähnliches gilt für die Bedeutung des Bildungsniveaus. Auch hier weichen Sparmotive, -verhalten und -formen von Haushalten mit ähnlichem Bildungsstand stark voneinander ab, wenn sie unterschiedlichen Milieus angehören. Bestätigt wurde hingegen der bestimmende Einfluss des Lebensalters auf das Sparverhalten. Gleichaltrige aus unterschiedlichen Milieus agieren ähnlich. Auch im Alter lassen die Sparanstrengungen der Mittelschicht kaum nach, wobei das Vererbungsmotiv an Bedeutung gewinnt.
Fünf Milieus – fünf Spartypen
Traditionelle: Die Haushalte des traditionellen und gleichzeitig ältesten Milieus sind wirtschaftlich recht gut versorgt. Erreichtes soll bewahrt werden. Sie bevorzugen häufiger als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung sichere und liquide Geldanlagen wie Sparbücher, -konten und -briefe sowie festverzinsliche Wertpapiere.
Bürgerliche: Die bürgerliche Mitte kennzeichnet ein sehr stetiges und regelmäßiges Sparverhalten. Fast alle Sparformen sind verbreitet. Es werden überdurchschnittlich viele Kapitallebensversicherungen fällig und Bausparverträge frei. Damit stellt sich das Problem der Wiederanlage – bevorzugt in sichere Anlagen.
Sozialökologische: Ähnliches gilt für die Haushalte des sozialökologischen Milieus, das durch besonders viele Akademiker und Beamte geprägt ist. Hier ist breit vorgesorgt und der Immobilienbesitz überdurchschnittlich hoch. Auffällig ist der relativ hohe Anteil an Fondsbesitz.
Adaptiv-pragmatische: Die Haushalte des adaptiv-pragmatischen Milieus und der Hedonisten sind die jungen Milieus der Mittelschicht. Die Adaptiv-pragmatischen wollen ihre Kapitalanlagen optimiert wissen. Flexibilität ist Trumpf. Sie sind offen für Beratung und streben den Besitz von Immobilien an, die sie als Altersvorsorge sehen. Hinzu kommt ein überdurchschnittliches Interesse an Investmentfonds.
Hedonisten: Für die mehr spaßorientierten Hedonisten steht Wohlstandssicherung noch nicht im Fokus; Bildungssparen schon eher. Das Anlageverhalten ist wenig zielorientiert. Sie haben eine risikofreudigere Anlageneigung und interessieren sich für Börsendaten. Gemeinsam mit den Adaptiv-pragmatischen sind sie die potenziellen Aktiensparer von morgen.
Brücken zu ertragreicheren Anlagen bauen
„Die Studie zeigt, dass in vielen Haushalten Anspruch und Wirklichkeit bei der Vermögensbildung auseinanderklaffen“, erläutert Rürup. „So interessieren sich gerade jüngere Haushalte stärker für Wertpapiere wie Aktien als die konservativen, in einem traditionellen Milieu verhafteten Haushalte. Aber trotzdem investieren die Jüngeren nicht mehr." Hier kommt es darauf an Brücken, zu den ertragreicheren Anlagen zu bauen. Die jüngeren Milieus der Adaptiv-pragmatischen und Hedonisten werden stärker und gewinnen an Einfluss. „Beide entwickeln sich zu Milieus mit Vorbildcharakter für heranwachsende Generationen. Hier wird das Sparverhalten der Zukunft geprägt“, sagt Reinke.
Benötigt wird eine Vielfalt von Sparprodukten, die die unterschiedlichen Lebenslagen und die zunehmend vielschichtiger werdenden Wertvorstellungen der Menschen berücksichtigen. „Wenn in einem neuen Umfeld alte Muster nicht mehr greifen, braucht es Veränderungen“, so Reinke. Denn für klassische Sparformen wird es immer schwerer, die veränderten und differenzierter werdenden Erwartungen zu erfüllen. Diese Befunde können Finanzdienstleistern helfen, Lösungen für die spezifischen Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden zu entwickeln und anzubieten. „Sparen bleibt auch in Zukunft ein wichtiger Beitrag zur Wohlstandssicherung“, betont Reinke.