Landwirtschaft ist mehr als Nahrungsproduktion

Auf die März-Ausgabe der "GOING GREEN"-Exklusiv-Kolumne von e-fundresearch.com Gastautor Reinhard Friesenbichler zum Thema metallische Rohstoffe folgt nun der Fokus auf die ökologischen und sozialen Eigenschaften von Agrarrohstoffen. Und auch für Kaffee, Weizen, Schwein & Co gilt: ein differenzierter Blick lohnt sich. Research | 08.04.2021 19:00 Uhr
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Von der bäuerlichen zur industriellen Landwirtschaft

Erst mit der landwirtschaftlichen Revolution im Europa des 18. Jahrhunderts wurde jene Produktivität in der Nahrungserzeugung erreicht, die die Voraussetzung für das Freiwerden von Arbeitskräften und die Schaffung einer stabilen Ernährungsbasis für die darauffolgende industrielle Revolution war. Fruchtfolge statt Dreifelderwirtschaft, Mechanisierung, Zuchtverbesserung in der Feld- und Viehwirtschaft sowie Bodenverbesserung durch Düngung waren die Innovationsbausteine. Und dieser bis in die Gegenwart fortgesetzte Optimierungsprozess im Rahmen einer industriellen Landwirtschaft zeigt, neben seinen segensreichen Wirkungen für einen großen Teil der Menschheit auch seine schädlichen Effekte auf Mensch und Natur.

Die börsliche Manifestation dieser industriell produzierten Lebensmittel sind die standardisierten und an den Rohstoffbörsen über Derivate gehandelten Agrarrohstoffe. Diese auch als „soft Commodities“ bezeichneten Produkte umfassen sowohl Fleisch wie auch Getreide und sonstige Nutzpflanzen.

rfu Nachhaltigkeitsrating von Agrarprodukten

Um die ökologischen und gesellschaftlichen Effekte von Rohstoffen einschließlich Agrarprodukten systematisch und objektiv beurteilen zu können, hat die rfu als erste Nachhaltigkeits-Researchagentur eine spezifische Ratingmethodik entwickelt. Hierbei wird der gesamte Lebenszyklus betrachtet: vom Anbau, über die Ernte und Verarbeitung bis hin zur finalen Nutzung, die nicht immer jene als menschliche Nahrung ist. Endergebnis ist ein Score auf der Skala von -10 bis +10, der in ein Rating auf der neunstufigen Skala von A+ bis C- transformiert wird.

Die wichtigste Nahrungspflanze, gemessen an der globalen Produktionsmenge von über 1.000 Millionen Tonnen, ist Mais. Weizen wird in einer Jahresmenge von rund 800 Millionen Tonnen angebaut, und die globale Sojaproduktion beläuft sich auf 300 bis 400 Millionen Tonnen. Sichtet man wichtige Rohstoffindizes wie z.B. den S&P GSCI oder den Bloomberg Commodity Index auf Agrarprodukte, so finden sich darin neben Mais, Weizen und Soja z.B. auch Zucker, Baumwolle, Kaffee, Lebendrind und mageres Schwein. All diese Produkte werden im rfu Rohstoffrating abgedeckt.

Arbeitsbedingungen und Marktmacht in der Landwirtschaft

Agrararbeitsplätze haben einen schlechten Ruf, und dies nicht nur in Ländern mit typischerweise eingeschränkten Arbeitsstandards wie China, Indien oder Brasilien. Der klassische Erntehelfer muss selbst in den USA und Europa häufig unter prekären Bedingungen z.B. hinsichtlich Arbeitszeiten, Entlohnung, Sicherheit, etc. tätig sein. Hinzu kommen Gesundheitsrisiken, die auf Düngung, Pestizideinsatz oder Staubentwicklung zurückzuführen sind. Im rfu Rohstoffrating sind all diese Faktoren abgebildet, ebenso wie die in manchen Bereichen der Wertschöpfungskette hohe Machtkonzentration bei wenigen transnationalen Agrarhandelskonzernen. Dies sind die sogenannten „ABCD-Companies“ – abgeleitet aus den Anfangsbuchstaben von ADM (Archer Daniels Midland, US), Bunge (US), Cargill (US) und Louis Dreyfus (NL). Auch die Wechselwirkungen zwischen der Agrarproduktion und den lokalen Gesellschaften werden analysiert. Insgesamt reichen die Sub-Ratings für die soziale Dimension von einem knappen B für Kansas-Weizen (in der Mitte der neunstufigen Skala) bis C (Stufe acht) für Kakao, Zucker und Baumwolle.

Zur ökologischen Performance der industriellen Landwirtschaft

Hier schneiden die verschiedenen Feldfrüchte sehr unterschiedlich ab. Die Sub-Ratings für Ökologie reichen von einem guten B für Weizen bis zu einem C- für Soja bzw. Sojamehl. Bei Letzteren wirken sich die häufigen Rodungen zur Schaffung von Ackerflächen ebenso ungünstig aus, wie der intensive Einsatz von Agrochemie und Gentechnik.

Besondere Risiken in der Fleischproduktion

In der industriellen Viehwirtschaft kulminieren einige der dargestellten sozialen und ökologischen Risiken. Dies steht insbesondere in Zusammenhang mit dem großen Bedarf nach Weideflächen, der z.B. in Südamerika oft mit der Rodung von Primärwäldern und Konflikten mit der indigenen Bevölkerung verbunden ist. Zu diesem direkten Flächenverbrauch kommt noch der indirekte für den Anbau von Futtermitteln. So werden z.B. Soja bzw. Sojamehl zum überwiegenden Teil als Tierfutter genutzt. Der Klimaimpact von einem Kilo Rindfleisch beläuft sich auf 17 Kilogramm CO2 pro Kilogramm Fleisch, und für Schweine liegt der Wert immer noch bei knapp 6 Kilogramm, wogegen Nutzpflanzen meist mit deutlich weniger als einem Kilogramm CO2 zu Buche schlagen. Weitere Problemstellungen stehen in Zusammenhang mit der Viehwirtschaft sind nicht-artgerechte Massentierhaltung, Tier-Gesundheit, Überzüchtung und generelle Fragestellungen der Tierethik.

Nutzungsspektrum geht weit über menschliche Ernährung hinaus

Bei der Nutzung von Agrarprodukten dominiert jene für die menschliche Ernährung. Diese steht im Spannungsfeld zwischen der Deckung eines Grundbedürfnisses auf der einen Seite und dem Phänomen des Überkonsums, ungesunden industriellen Nahrungsmitteln und einer hohen Quote an Food Waste auf der anderen Seite.

Aber auch Non-Food Anwendungen sind für die ökologisch-gesellschaftliche Bestandsaufnahme differenziert zu beurteilen. Dies ist nicht nur die fast ausschließliche Nutzung von Baumwolle für Textilen, sondern zum Bespiel geht auch ein signifikanter Anteil der Zuckerproduktion in Industriealkohole und Biotreibstoffe ein. Mais wird am US-Markt überwiegend als Tierfutter und zu rund 30% zur Ethanolherstellung verwendet, und auch bei Soja überwiegt die Verwendung als Futtermittel. Bei Rindern belaufen sich die Non-Food Anwendungen auf rund 40% und umfassen z.B. Futtermittel und Leder. In einem nachhaltigen Zukunftsszenario haben Agrarrohstoffe also durchaus ihren Platz – sei es für Biotreibstoffe oder auch für stoffliche Anwendungen wie z.B. Biokunststoffe. Die besten Sub-Ratings für die Nutzungsphase erreichen Weizen und Sojaöl mit B+.

Gesamtergebnisse im Überblick und im Ausblick

Die insgesamt besten Nachhaltigkeitsratings aller Agrarrohstoffe haben Weizen und die Sorte Kansas-Weizen mit einem B und Mais mit B-. Am unteren Ende der Bandbreite rangieren Lebend- und Mastrind, bewertet mit C und damit am Niveau der in den Kategorien Metalle und fossile Energie am niedrigsten gerateten Produkte Gold und Benzin.

Zum Abschluss sei noch betont: so muss Landwirtschaft nicht sein, und so ist sie in vielen Bereichen auch nicht – nämlich dort wo Regionalität, ökologischer Landbau, nachhaltige Konsummuster und faire Preismechanismen wirken.

Gastautor: Reinhard Friesenbichler, Geschäftsführer, rfu

Über die rfu:
Die rfu, mit Sitz in Wien, ist Österreichs Spezialistin für Nachhaltiges Investment und Management und unterstützt institutionelle Kunden mit Nachhaltigkeits-Research und der Konzeption von Investmentprodukten. „Technologisches Herz" sind die rfu Nachhaltigkeitsmodelle für Unternehmen, Länder und Rohstoffe.

Weitere Leistungen sind u.a. die Erstellung von Prüfgutachten nach dem Österreichischen Umweltzeichen sowie Second Party Opinions zur Emission von Green und Social Bonds.

Weitere Informationen finden Sie auf www.rfu.at 

Über die Artikelserie "GOING GREEN":
GOING GREEN ist eine monatliche Kolumne auf e-fundresearch.com zu Entwicklungen und Hintergründen im nachhaltigen Investment, verfasst von Reinhard Friesenbichler und seinen Kolleginnen und Kollegen aus der rfu.

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