Vom Goldstandard zum Kreditismus
Die vorherrschende Geldordnung hat im Laufe des 20. Jahrhunderts eine sukzessive Metamorphose durchgemacht. Aus einer goldgedeckten Währung wurde das internationale Währungssystem sukzessive zu einer mit verzinsten Schulden gedeckten Währung. Geld wird heute entweder durch die Vergabe von neuen Krediten von Geschäftsbanken geschöpft, oder von Zentralbanken durch eine Bilanzverlängerung (über Ankauf von Schuldtiteln) geschaffen und ist seit Ende des Bretton Woods Systems 1971 auch formell endgültig entmaterialisiert.
Als direkte Konsequenz daraus hat sich das System der Marktwirtschaft sukzessive in einen „Kreditismus“ verwandelt. Die Realwirtschaft ist dabei in den vergangenen Jahrzehnten von ständiger Kredit- und Geldmengausweitung (also Inflationierung) abhängig geworden. Die Konsequenzen daraus sind weitreichend: So resultiert daraus unter anderem sowohl der heutige „Wachstumswahn“ - da die Geldmenge in diesem System kontinuierlich gesteigert werden muss - als auch der „Inflationswahn“, welcher uns um jeden Preis vor den Gefahren der Preisdeflation bewahren muss.
Die EZB definiert als Preisstabilität eine jährliche Geldentwertung (gemessen am Konsumentenpreisindex) von nahe zwei Prozent. Es scheint grundsätzlich paradox einen stabilen Zustand mittels einer Exponentialfunktion zu definieren, welche sich alle 70 Jahre vervierfacht. Gemäß herrschender Lehre ist ein wirklich stabiles Preisniveau (also etwa 0% Teuerung) nachteilhaft, weil unter solchen Umständen die Wirtschaft nicht prosperieren kann. Diese Aussage erweist sich im historischen Kontext eindeutig als falsch.
Zutreffend ist viel eher, dass das monetäre Regime das Inflations-Paradigma vorgibt. Aus den Vereinigten Staaten steht zur Untermauerung dieser These aufschlussreiches, langfristiges Datenmaterial zur Verfügung. So lag die Teuerungsrate vor 1913, als ausschließlich Gold und Silber als Geldbasis dienten bei 0,15% p.a, zwischen 1914 und 1971 – als eine teilweise Golddeckung vorgeschrieben war – bei 2,51% und seit dem Ende des Bretton Woods Abkommens bei 4,07% pa.
Bis zum Ende des klassischen Goldstandards (1913) hat sich das Ausbleiben stetiger Preisinflation nicht als wachstumshemmend erwiesen. Ganz im Gegenteil: die durchschnittlichen, realen Wachstumsraten sind mit dem Übergang auf den Gold-Devisen-Standard bzw. auf das heutige Schuldgeldsystem jeweils gesunken. Daraus könnte man ableiten: je konsequenter die Golddeckung, umso geringer die Teuerung und desto höher das Wirtschaftswachstum.
Deflation aus Sicht der Österreichischen Schule
Zentralbanker, Politiker und Finanzmedien warnen mittlerweile beinahe hyperinflationär vor dem „Deflationsgespenst“, der großen „Deflationsfalle“ und auch von verheerenden „Deflationsspiralen“. Die Panikmache hinsichtlich sinkender Preisen erscheint jedoch verwunderlich, so begrüßt doch ein Großteil der Konsumenten fallende Preise. Dies ist im Technologiebereich, etwa bei Smartphones oder Fernsehern, oder auch bei Fernreisen seit Jahren evident. Aus Sicht der österreichischen Schule ist Preisdeflation lediglich ein Symptom, während fallende Geld- bzw. Kreditmengen die Ursache sind. Somit wird bei dieser oberflächlichen Argumentation, wonach das Preisniveau niemals fallen dürfe, die korrekte Kausalitätskette verschleiert!
Tatsache ist jedoch, dass in unserem heutigen, stark gehebeltenTeilreserve-Schuldgeldsystem eine ausgeprägte Kreditdeflation erschütternde realwirtschaftliche Konsequenzen hätte. Die Entzugssymptome einer Schuldenliquidierung sind umso schlimmer, je stärker die Kreditabhängigkeit ausgeprägt ist. Sollte eine ungehemmte Umkehr der Kreditausweitung stattfinden, würde sich eine ausgeprägte Geldmengendeflation auf weite Teile des Bankensystems fatal auswirken. Vereinfacht gesagt: es sind also nicht die fallenden Preise, welches als Übel angesehen werden sollte, sondern die systemisch bedingte Inflationssucht. Die permanente Geld- und Kreditmengenausweitung wird daher für das Schuldgeldsystem zum Selbstzweck.
Eine sogenannte „Reflationierung“ ist allerdings im heutigen Geldsystem keine so einfache Aufgabe. Notenbanken auf aller Welt arbeiten seit fünf Jahren mit immer neuen Methoden (Quantitative Easing, Verringerung der Mindestreservesätze etc.) daran, zwanghaft mehr Kredit in die Wirtschaft zu pumpen. Selbst der interessierte Bürger ist fast chancenlos den vermeintlich heilbringenden geldpolitischen Maßnahmen überhaupt noch zu folgen und verlässt sich mit mulmigem Gefühl im Bauch auf die Geschicke der agierenden Geldpolitiker.
Der große Österreichische Ökonom Ludwig von Mises hatte im Vorfeld der großen Inflation 1922 im Zusammenhang mit der damaligen Reflationierungspolitik der Notenbanken festgehalten:
„Doch die Vermehrung der Menge des Geldes und der Umlaufsmittel wird die Welt nicht reicher machen und das nicht wieder aufbauen, was der Destruktionismus niedergerissen hat. Ausdehnung des Zirkulationskredits führt zwar zunächst zum Aufschwung, zur Konjunktur; doch diese Konjunktur muß notwendigerweise früher oder später zusammenbrechen und in neue Depression einmünden. Durch Kunstgriffe der Bank- und Währungspolitik kann man nur vorübergehende Scheinbesserung erzielen, die dann zu umso schwererer Katastrophe führen muß.“
Die Geschichte lehrt uns: Weder die Mainstream-Ökonomie noch Notenbanker können die Spezifika der Inflationsdynamik steuern. Die kläglich scheiternden Versuche, das Teuerungsniveau wie ein Thermostat zu regulieren, zeugen von Hybris, mangelnder Urteilsfähigkeit und Naivität. Diese Anmaßung von Wissen ist gefährlich und wird schlussendlich scheitern. Teuerungswellen treten unerwartet und innerhalb relativ kurzer Zeit auf. Aus unserer Sicht steht nicht im Vorhinein fest, ob die inflationären Kräfte dieses Kräftemessen gewinnen werden. Allerdings wird aufgrund der sozioökonomischen Anreizstrukturen im Zweifel jedenfalls eine höhere Preisinflation gegenüber einer deflationären Bereinigung favorisiert.
Gerade für Sparer und Anleger kann sich eine kritische Auseinandersetzung mit einer alternativen Betrachtungsweise des Geldsystems durchaus lohnen. Auch aus gesellschaftspolitischen Standpunkt wären die Thesen der „Österreicher“ – welche aktuell weltweit eine Renaissance erleben - durchwegs zu prüfen, da die daraus abgeleiteten Implikationen zu weitreichend sind um sie a priori auszuschließen.
Biographie:
Ronald Stöferle und Mark Valek sind Partner und Fondsmanager der Incrementum AG. Zuvor waren sie bei der Erste Group bzw. bei Raiffeisen Capital Management tätig. Mit dem Wiener Wirtschaftsphilosophen Rahim Taghizadegan veröffentlichten Sie vor kurzem den Bestseller „Österreichische Schule für Anleger – Austrian Investing zwischen Inflation und Deflation“.