Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt, DekaBank (24.02.2012): "Die Euro-Schuldenkrise beendet einen Wachstumszyklus, der für die südeuropäischen Länder von 1999 bis 2007 gedauert hat und eine bedeutende Erhöhung des Wohlstandes ermöglichte: So stieg das Pro-Kopf-BIP in Portugal um 37,9 Prozent, in Griechenland um 64,5 Prozent und in Spanien um 62,1 Prozent. Die nun notwendigen Anpassungsmechanismen in der Währungsunion sind mühsam und träge. Europa wird in den kommenden Jahren eine gespaltene Konjunktur bekommen, die die Verhältnisse von vor der Krise umkehrt . Würden die Länder einzig über eine wirtschaftliche Schrumpfung versuchen, ihre Leistungsbilanzen auszugleichen, so müsste das griechische BIP von 2011 aus um weitere 33 Prozent schrumpfen, die portugiesische Wirtschaft um weitere 26 Prozent, Spanien um 16 Prozent und Italien um 12 Prozent. Dies ist keine realistische Option. Daher werden die Länder parallel versuchen, durch eine Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ihre Exporte zu erhöhen oder durch eine ansiedlungsfreundliche Wirtschaftspolitik Direktinvestitionen ins Land zu holen. Diese Anpassungsphase kann nach unserer Einschätzung bis zu zehn Jahren dauern, bevor im Süden ein neuer Wachstumszyklus in Gang kommen kann."
Raj Shant, manager of the BNY Mellon Continental European Equity fund (27.02.2012): "Any currency union requires a payments system, the European Monetary Union has a system called TARGET organized by the ECB. Normally payments should flow from deficit countries to surplus countries through this system, financed by the private sector but using the central banks and the payment system as a conduit, thus there should be no big imbalances over time. However, currently, there are some big imbalances with the Bundesbank acting as a major net creditor to the system and several southern European countries are major net debtors. This has arisen because the private sector is no longer willing to finance these flows.
Will the trade deficits suddenly start to balance or even reverse? It is possible. The southern Europeans could become more competitive and start to export more. Germany, as Europe’s largest market, could start to consume and import more. Both of these would be positive but both seem implausible in the short term. The other way is for the Southern European countries to stop consuming and importing, which appears to be happening already and may accelerate as austerity starts to bite. This is a negative economic dynamic for all parties, but seems the most likely mechanism for correcting the imbalances."
Anton Brender, Chief Economist, Dexia Asset Management (29.02.2012): "The sovereign debt crisis has already triggered a significant narrowing of current account imbalances within the Eurozone and a classic balance of payment crisis has been avoided thanks to the ECB refinancing operations and the target mechanisms. But the process is far from over. In many countries governments are still struggling to reduce their budget deficits while the private sector is not yet ready to start borrowing more. This is particularly true in Spain and Italy. As a mechanical consequence, the current account deficits of those countries will keep on diminishing. This implies that their imports have to grow more slowly than their exports. The adjustment could be greatly facilitated by faster growth of domestic demand in euro countries with high current account surpluses, in Germany in particular. By allowing the export markets of deficit countries to grow faster, policies that stimulate domestic demand in surplus countries would significantly help the needed fiscal adjustment to be made without too high a cost for growth. So, by the way, would a weaker euro…"
Dieter Guffens, Senior Economist KBC Asset Management Brüssel (29.02.2012): "Seit dem Start der EWU in 1999 sind die Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen der Mitgliedsstaaten stark gestiegen. Eine wichtige Ursache hierfür war die Einführung der EWU selbst. Durch den Wegfall des Währungsrisikos strömten große Kapitalbeträge von Staaten mit relativ niedrigen Zinsen in Staaten mit relativ höheren Zinsen. Schnell kam eine nahezu vollständige Zinskonvergenz auf niedrigem Niveau zustande. Diese relative billige Finanzierung begünstigte einen starken Schuldenaufbau, sowohl im Privatsektor als bei den Staatsfinanzen.
Nach dem Ausbrechen der europäischen Schuldenkrise waren die Finanzmärkte nicht mehr bereit, die Schulden der südlichen EWU-Staaten zu einem erschwinglichen Zinssatz zu finanzieren. Um eine Implosion des Finanzsystems zu vermeiden, begann die EZB in immer größerem Umfang damit, den EWU-Banken Liquiditäten zur Verfügung zu stellen, mit dem Ziel, die Kreditvergabe vor allem in den südlichen EWU-Staaten aufrecht zu erhalten. So übernahm die EZB durch ihr internes Verrechnungssystem “Target 2“ die Finanzierung der bestehenden Leistungsbilanzdefizite.
Solange die EWU besteht, führt diese Finanzierungsart kurzfristig nicht zu Problemen. Längerfristig jedoch ist die Finanzierung durch billiges Zentralbankgeld ungesund, weil es zu neuen Seifenblasen führen würde. Eine Rückkehr zu einer marktkonformen Finanzierung ist deshalb notwendig. Dafür müssen die Ungleichgewichte innerhalb der EWU aber erst auf ein realistisches Maß reduziert werden. Die Mittel hierfür sind Strukturreformen und eine höhere Volkswirtschaftliche Sparquote in den heutigen Defizitstaaten, aber auch eine Stimulierung der Binnennachfrage in den heutigen Überschussstaaten. Die Überschüsse des Einen sind nämlich immer auch die Defizite des Anderen."
Renten-Experten von Raiffeisen Capital Management (01.03.2012): "Um das Problem der Finanzierbarkeit der Ungleichgewichte in den Leistungs- und Zahlungsbilanzen der Eurozone-Länder zu reduzieren, stehen folgende Wege offen: (1) drastische interne Abwertung in den Defizitländern, (2) dauerhafte Fiskaltransfers von den Überschussländern in die Defizitländer, (3) Abgang von der Politik der Lohnzurückhaltung in den Überschussländern, (4) Ausstieg einzelner Defizitländer aus der Währungsunion und externe Abwertung über stark abgewertete nationale Währungen. Die drastischen Konsolidierungsprogramme in Italien, Spanien und den Programmländern Griechenland, Irland und Portugal stellen außer Frage, dass vom Großteil der Eurozone- Defizitländer derzeit der Weg der internen Abwertung bestritten wird. Wenngleich die im Zuge der Schuldenkrise geschaffenen Stabilitätsmechanismen der Eurozone bereits Züge einer Fiskalunion verleihen, liegt die Anpassungslast damit vorrangig bei den Defizitländern. Diese meistern die Herausforderung mit unterschiedlichem Erfolg, wobei Irland als Erfolgsbeispiel zu nennen ist, während die aktuelle Situation in Griechenland die Grenzen des Konzepts der internen Abwertung aufzeigt. Langfristig dürften asymmetrische Anstrengungen auf Seiten der Defizitländer nicht ausreichen, um die Ungleichgewichte innerhalb der Währungsunion zu überwinden, wenn die Überschussländer nicht gleichzeitig von ihrer Politik der Lohnzurückhaltung abgehen. Ein derartiger wirtschaftspolitischer Richtungswechsel in den Überschussländern ist derzeit nicht absehbar."
Dr. Thomas Liebi, CFA, Chief Economist, Swisscanto Asset Management Ltd. (01.03.2012): "Das natürliche Ventil für den Ausgleich von zu grossen Ungleichgewichten in den Leistungsbilanzen sind flexible Wechselkurse. Dieser Mechanismus steht innerhalb der Eurozone aber nicht zur Verfügung. Die erforderliche Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit muss deshalb über eine Anpassung der Produktions-, insbesondere der Lohnkosten erfolgen. Da die Leistungsbilanzen über die gesamte Weltwirtschaft betrachtet per Definition immer ausgeglichen sind, kann eine Reduktion der Leistungsbilanzdefizite und damit eine Reduktion der Auslandsverschuldung in den betroffenen Ländern nur erfolgen, wenn gleichzeitig die Überschussländer ihre Saldi reduzieren. Dies geschieht letztlich auch im eigenen Interesse der Überschussländer, da eine zu starke Abhängigkeit vom Export die Anfälligkeit auf eine Abschwächung des Weltwirtschaftswachstums und damit die konjunkturellen Schwankungen erhöht."
Economics Forum: Investment Strategen und Ökonomen antworten
Auf monatlicher Basis stellt e-fundresearch.com eine aktuelle Frage mit Bezug zu volkswirtschaftlichen Zusammenhängen und Entwicklungen auf den Kapitalmärkten an eine Gruppe renommierter Ökonomen und Kapitalmarktstrategen. Die Antworten werden im ECONOMICS Channel dargestellt (seit Mai 2011).