Anleihen-Experte im Interview: "Zeitpunkt gekommen, um den sicheren Geldmarkt-Hafen zu verlassen"

Im Interview mit e-fundresearch.com analysiert Michael Weidner von Lazard Asset Management das aktuelle wirtschaftliche Umfeld dies- und jenseits des Atlantiks. Während Europa sowie insbesondere Deutschland schwächelt und die USA weiterhin robustes Wachstum verzeichnen, sieht Weidner einen geeigneten Zeitpunkt, aus risikoarmen Geldmarktanlagen auszusteigen und am globalen Anleihenmarkt offensiver zu agieren. Managers | 16.08.2024 10:00 Uhr
Michael Weidner, Portfoliomanager/Analyst und Co-Head des Global Fixed Income Teams bei Lazard Asset Management / © e-fundresearch.com / Lazard Asset Management
Michael Weidner, Portfoliomanager/Analyst und Co-Head des Global Fixed Income Teams bei Lazard Asset Management / © e-fundresearch.com / Lazard Asset Management

Herr Weidner, wenn wir diesseits und jenseits des Atlantiks schauen – wie unterscheidet sich die Situation?

Michael Weidner: Aus unserer Sicht wird auch im zweiten Halbjahr das europäische Wirtschaftswachstum kaum anziehen, während die US-Volkswirtschaft erneut spürbar stärker wachsen wird. Obwohl in beiden Wirtschaftsräumen der Inflationsdruck weiter zurückgeht, scheint das Potenzial für Zinssenkungen in Europa größer, wenngleich die Erwartung beziehungsweise Angst vor einer nachhaltig hohen Inflation vor allem in Europa sehr präsent bleibt.

Welche Rolle spielt die Politik?

Michael Weidner: Über allem schweben diffuse geopolitische Risiken, insbesondere die im November anstehende US-Präsidentschaftswahl. Die gute Nachricht für Kapitalanleger ist, dass mehrere Regionen und Märkte weltweit attraktive Perspektiven und Chancen bieten, die gleichzeitig weniger anfällig für potenzielle geopolitische Risiken sein sollten.

Lassen Sie uns diese Märkte genauer ansehen. Unter welchen Vorzeichen steht Europa?

Michael Weidner: Im zweiten Halbjahr 2024 dürfte Europa die Hoffnungen auf eine deutliche ökonomische Erholung klar enttäuschen. Deutschland bleibt dabei das schwächste Glied innerhalb der Eurozone, während andere Volkswirtschaften wie Spanien sehr solide Wachstumsaussichten aufweisen. Die europäischen Arbeitsmärkte sind eng, und trotz schwacher Wachstumsaussichten könnte die derzeit historisch geringe Arbeitslosigkeit weiter sinken. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass sich die aktuell hohen Lohnsteigerungen bis 2025 abschwächen werden, aber über dem Durchschnitt der letzten Dekade bleiben und so das Potenzial für eine langfristige Disinflation begrenzen.

Wie werden nach Ihrer Einschätzung die Europäische Zentralbank (EZB) und die anderen Notenbanken reagieren?

Michael Weidner: Wir rechnen mit einem moderaten Zinssenkungszyklus, wobei die Leitzinsen mittelfristig über zwei Prozent bleiben. Schweden und Kanada – zwei Volkswirtschaften, die durch vornehmlich variabel refinanzierte Immobilienmärkte geprägt sind – haben angesichts sehr schwacher Wachstumsaussichten ein deutlich größeres Potenzial für Zinssenkungen. Im Gegensatz hierzu sind die Aussichten auf substanziell sinkende Zinsen beispielsweise in der Schweiz und Norwegen sehr begrenzt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

Lassen Sie uns in die USA blicken. Wie ist dort Ihre Einschätzung?

Michael Weidner: In den USA bleibt das Wachstumspotenzial trotz jüngster Abschwächungstendenzen deutlich höher als in Europa. Der enge und dynamische Arbeitsmarkt sowie die robuste Binnennachfrage bilden eine stabile Basis für wieder anziehendes Wachstum und halten gleichzeitig die inflationären Kräfte hoch. Dies begrenzt das Zinssenkungspotenzial der Federal Reserve (Fed). Ein erneutes Anziehen des US-Wachstums würde umfangreiche Leitzinssenkungen durch die Fed unwahrscheinlich machen.

Sie sagten zu Beginn, dass in Europa die Angst vor der Inflation stets präsent sei. Wie stellt sich das im Vergleich zu den USA dar?

Michael Weidner: Wir sehen in der 5-Year Forward Inflation Expectation Rate, die ein Maß dafür ist, wo die US-Anleiherenditen in fünf Jahren voraussichtlich liegen werden, auseinanderlaufende Inflationserwartungen in den USA und der Eurozone. Das ist erstaunlich, denn während die Erwartungen an zukünftige Preissteigerungen in den USA mit circa 2,5 Prozent lediglich leicht über dem Schnitt der Jahre vor der Corona-Pandemie liegen, sind sie in Europa mit aktuell etwa 2,3 Prozent deutlich höher als vor der Pandemie. Fundamental erscheint uns diese Verschiebung kaum gerechtfertigt und wirft die Frage auf, ob in Europa die Inflationskräfte überschätzt oder in den USA unterschätzt werden.

Was bedeutet all dies für die Anleihenmärkte?

Michael Weidner: Die globale Anleihenwelt ist in den letzten zwei Jahren deutlich facettenreicher geworden. Nachdem Zentralbanken über viele Jahre hinweg durch niedrige bzw. negative Leitzinsen und Kaufprogramme die normalen Marktkräfte außer Kraft gesetzt hatten, gilt es nun nach ihrem Rückzug, die jeweiligen Chancen und Risiken genau abzuwägen, um dann mutig die gebotenen Chancen zu nutzen. Wirtschaftliche Faktoren sind wieder die treibenden Kräfte der Kursentwicklung, was zu Bewertungs- und Performancedifferenzen führt. Darüber hinaus unterstützen fallende Leitzinsen bei weiter sinkender Inflation eine ,Normalisierung‘ der Zinskurven. Vor diesem Hintergrund werden risikoarme Geldmarktanlagen deutlich an Attraktivität verlieren.

Wie sollten sich Fixed-Income-Anleger Ihrer Einschätzung nach im zweiten Halbjahr und darüber hinaus aufstellen?

Michael Weidner: Für Anleger ist der Zeitpunkt gekommen, an den globalen Bondmärkten offensiver zu agieren und den sicheren Geldmarkt-Hafen zu verlassen. Offensiv bedeutet hierbei nicht unbedingt, mehr Kreditrisiken einzugehen, sondern die Duration bzw. Zinsrisiken aktiv zu erhöhen. Dabei sind, wie bereits erwähnt, einige Märkte attraktiver als andere. Grundsätzlich jedoch hat sich der Wind gedreht, und Anleihen sollten durch sinkende Zentralbankzinsen Rückenwind erhalten.

Vielen Dank für das Gespräch!

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