e-fundresearch.com: Herr Paolini, wenn Sie auf das fortgeschrittene Jahr 2025 zurückblicken – was waren aus Ihrer Sicht die zentralen Erkenntnisse für Investoren?
Luca Paolini: 2025 war ein gutes Jahr für die Aktienmärkte, und das kam für viele Beobachter überraschend. Wir haben zahlreiche Makrorisiken gesehen – unter anderem geopolitische Spannungen, eine schwache Konjunktur in China sowie Unsicherheiten in den USA. Dennoch sind die Märkte gestiegen, die Unternehmensgewinne haben zugelegt, und die Risiken haben sich weniger stark materialisiert als befürchtet. Das zeigt: auch in einem Umfeld mit vielen Unsicherheiten kann es zu positiven Entwicklungen kommen.
Ausblick auf 2026
e-fundresearch.com: Was erwarten Sie für das kommende Jahr 2026 in Bezug auf Wachstum, Inflation und die Geldpolitik?
Luca Paolini: Die Zentralbanken werden die Zinsen weiter senken, aber deutlich weniger als in diesem Jahr. Bei der Federal Reserve rechnen wir nur mit zwei Schritten. Die EZB wirkt zufrieden mit einer Inflation von etwa 2%, sodass von dieser Seite ebenfalls keine größeren Impulse zu erwarten sind. Das bedeutet: Wir dürfen nicht mit viel zusätzlicher Unterstützung durch die Geldpolitik rechnen. Gleichzeitig sind die Bewertungen an den Aktienmärkten relativ hoch. Kurzfristig, also für die nächsten zwei bis drei Monate, sehen wir noch etwas Potenzial nach oben, aber insgesamt dürfte die Inflation zurückgehen und das Wachstum in Europa wie auch in den USA bei rund 1,5% liegen – solide, aber nicht besonders dynamisch.
e-fundresearch.com: Mit Blick auf die Asset Allocation von professionellen Investoren aus dem deutschsprachigen Raum: Welche Trends beobachten Sie aktuell und welchen Gewichtungsmix aus Aktien, Anleihen und alternative Anlagen halten Sie derzeit für angemessen?
Luca Paolini: Investoren sind nach wie vor stark in Aktien engagiert, aber wir sehen auch Chancen auf der Rentenseite. Unternehmensanleihen und Schwellenländer-Bonds bleiben interessant. Bei den Alternativen spielt Gold für uns eine besonders wichtige Rolle. Es ist nach wie vor ein zentrales Element zur Diversifikation. Insgesamt sollten Investoren ihre Portfolios stärker diversifizieren – nur auf Aktien zu setzen, ist zu riskant. Wir bevorzugen im Anleihenbereich nach wie vor die USA. Bei Aktien sehen wir attraktive Chancen in Europa und in Teilen des US-Marktes, insbesondere im Technologiesektor.
Europa, Fiskalpolitik und KI
e-fundresearch.com: Seit Jahresbeginn 2025 ist regelmäßig von einer „Renaissance Europas“ die Rede. Teilen Sie diese Einschätzung?
Luca Paolini: Wir glauben an eine Trendwende in Europa, auch wenn die vergangenen Monate eine eher schwache Performance europäischer Aktien im Vergleich zu den USA gezeigt haben. Besonders in Deutschland sehen wir Fortschritte, die uns langfristig optimistisch stimmen. Gleichzeitig bestehen kurzfristig weiterhin Risiken. Frankreich ist ein Beispiel: Dort sehen wir eine schwierige konjunkturelle Lage und politische Unsicherheit. Deshalb: langfristig positiv, kurzfristig herausfordernd.
e-fundresearch.com: Können große Fiskalpakete, wie das deutsche, für mehr Produktivitätswachstum sorgen?
Luca Paolini: Europa steht vor der Herausforderung, dass Konsumenten bislang zu wenig ausgeben. Die Sparquote ist hoch, und obwohl Kapital vorhanden ist, kommt es nicht ausreichend in Umlauf. Fiskalpolitische Maßnahmen sollen genau hier ansetzen: sie sollen das Vertrauen stärken und dafür sorgen, dass die Konsumenten mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf bringen. Das ist entscheidend, denn ohne steigende Konsumnachfrage bleibt die Wirkung der Pakete begrenzt.
e-fundresearch.com: Wie bewerten Sie den Boom im Bereich Künstliche Intelligenz?
Luca Paolini: Wir sind grundsätzlich optimistisch. In den USA, aber auch in China – etwa bei Unternehmen wie Alibaba – sehen wir große Fortschritte. In Europa dagegen läuft die Entwicklung langsamer. Die Unternehmen, die massiv in KI investieren, sind finanziell stark, sie haben das Kapital und setzen es ein. Das ist ein wichtiger Unterschied: Sie investieren weiter, und sie verdienen gleichzeitig gutes Geld. Wir gehen davon aus, dass der Investitionsboom anhält. Das Wachstum wird möglicherweise nicht mehr so hoch ausfallen wie zuletzt, aber insgesamt bleibt der Trend nachhaltig positiv.
Gold, Verteidigung und Risiken
e-fundresearch.com: Verteidigungsaktien sind zuletzt stark gefragt gewesen. Halten Sie das für eine nachhaltige Story oder für einen Hype?
Luca Paolini: Ich denke, es ist beides. Auf der einen Seite müssen in Europa die Verteidigungsausgaben klar steigen – das spricht für eine strukturell höhere Nachfrage. Auf der anderen Seite sind die Bewertungen vieler Unternehmen sehr hoch. Teilweise sehen wir Kurs-Gewinn-Verhältnisse von 50 oder mehr, was eine gewisse Übertreibung erkennen lässt. Wir bleiben daher vorsichtig und richten unseren Fokus eher auf Konsumaktien – also Unternehmen aus dem Konsumsektor, wo die Bewertungen aus unserer Sicht attraktiver sind.
e-fundresearch.com: Der Goldpreis ist 2025 stark gestiegen. Was waren die Treiber, und wie ist Ihr Ausblick?
Luca Paolini: Gold bleibt ein zentrales Diversifikationsinstrument. Der starke Preisanstieg war eng mit der Schwäche des US-Dollars verknüpft. Parallel sind auch andere Edelmetalle wie Silber und Platin gestiegen. Wichtig war zudem, dass die Zentralbanken ihre Käufe ausgeweitet haben. Zusammen mit einem begrenzten Angebot hat das den Markt gestützt. Ob das aktuelle Niveau zu hoch ist, ist schwer zu sagen. Klar ist: Ein weiteres Jahr mit plus 40% ist kaum realistisch, dennoch bleiben wir kurzfristig positiv eingestellt.
e-fundresearch.com: Zum Abschluss: Welche Risiken oder Überraschungen könnten 2026 die Märkte unter Druck setzen?
Luca Paolini: Das größte Risiko ist die Inflation. Wenn die Fed die Zinsen zu stark senkt und die Inflation wieder anzieht, wird das extrem schwierig. Steigende Inflation würde erneut Zinserhöhungen erfordern, und das wäre sehr belastend für die Konjunktur. Ein zweites Risiko betrifft Europa: Dort könnte es zu einer Art Fiskalklippe kommen, vor allem in Frankreich. Und schließlich gibt es Anzeichen, dass der US-Arbeitsmarkt schwächer wird. Sollten die Konsumenten weniger Geld ausgeben, würde das das Wachstum deutlich dämpfen. Alles in allem bleibt die Inflation – vor allem in den USA – das zentrale Risiko.
e-fundresearch.com: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Paolini!
Über Luca Paolini
Luca Paolini ist seit 2012 Chief Strategist bei Pictet Asset Management und leitet die strategische Einheit für Asset Allocation. Zuvor war er Equity Strategist bei Credit Suisse und Investment Strategist bei Union Investment. Er hat einen Master in International Economics & Management der SDA Bocconi sowie einen Abschluss in Politikwissenschaften der Universität Bologna.
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