1. Dieser Technologie-Zyklus ist anders
Der bevorstehende KI-Megazyklus unterscheidet sich nach Ansicht Brauns von früheren Technologie-Zyklen ausgelöst durch Innovationen wie Großrechner, Breitbandinternet und Cloud Computing. Ein Grund dafür sei die Geschwindigkeit der KI-Entwicklung und deren Adaption durch Unternehmen: „Die KI-Technologie entwickelt sich im Gegensatz zum Cloud Computing sehr schnell“, so Braun. Gut zehn Jahre nach ihrer Einführung sei die Cloud nur für etwa 30 Prozent aller Unternehmensanwendungen genutzt worden – vor allem wegen des komplexen und zeitaufwändigen Austausches der IT-Infrastruktur.
„Bei KI ist das ganz anders. Oft ergänzt sie die vorhandene IT. Wenn ein Softwarehaus seine Produkte um KI-Funktionen erweitern will, braucht es dafür nur wenige Tage oder Wochen, keine Jahre“, erklärt Braun. Umso wichtiger sei es für die großen Technologieunternehmen, schnell auf den technischen Fortschritt zu reagieren.
2. Tempo und Qualität des KI-Einsatzes können entscheidend sein
Ein rascher KI-Einsatz könne Unternehmen Wettbewerbsvorteile bringen. „Wenn das eine Unternehmen früh und umfassend auf KI setzt, das andere hingegen nicht, kann sich deren Geschäft auf Dauer sehr unterschiedlich entwickeln“, so Braun. Wer KI klug nutze, etwa durch Umstrukturierungen in den Bereichen Forschung & Entwicklung, Produktdesign und Logistik, könne häufig die Margen steigern, Produktentwicklungen beschleunigen und die Kundenzufriedenheit steigern.
„Wichtig wird aber auch sein, wie das Management das Thema angeht“, betont Braun. „Durch die neue Technologie könnten sich die Unternehmen einer Branche stärker auseinanderentwickeln. Im Vorteil dürften Firmen sein, deren Management langfristig und vorausschauend denkt.“
3. KI kann für Unternehmen eine Chance sein – aber auch eine Bedrohung
„Für die Technologieriesen bedeutet das Aufkommen von KI Angriff und Verteidigung zugleich“, erklärt Braun. KI könne beispielsweise die Suchmaschinennutzung, mit der Google aktuell viel verdiene, drastisch verändern. Microsoft wiederum habe unter dem Namen 365 Copilot bereits Pilotversionen seiner Standardprogramme Word, Excel, PowerPoint und Teams an den Markt gebracht, die KI-Funktionen enthalten. Als eine neue Preisstrategie für Copilot bekanntgegeben wurde, sei die Microsoft-Aktie zwischenzeitlich auf ein Allzeithoch gestiegen.
Grundsätzlich hätten große, etablierte Firmen beim KI-Einsatz viele Startvorteile. „Die Technologieriesen haben eigene Datenbestände, ausreichend Kapital und zudem führende Ingenieure und Informatiker auf der Mitarbeiterliste“, sagt Braun. „Manche Firmen verfügen außerdem schon heute über die sehr teure Cloud-Computing-Infrastruktur, die man für das Training der KI-Modelle braucht.“ Unternehmen wie Microsoft, Google und Apple würden darüber hinaus von ihren zahlreichen Kunden profitieren, denen sie KI-Produkte und -Dienste anbieten könnten. „Natürlich trauen wir auch manchen Start-ups große Erfolge zu, aber die Ausgangsposition der etablierten Firmen ist einfach sehr gut“, konstatiert Braun.
4. Viele neue Möglichkeiten entlang der Wertschöpfungskette
„Der KI-Investitionszyklus hat bereits frühe Gewinner hervorgebracht und wird dies auch weiterhin tun“, sagt Braun. „Langfristig dürften sich jedoch entlang der gesamten Wertschöpfungskette Chancen ergeben.“ Damit KI funktioniere, sei beispielsweise eine Infrastruktur für das Training und den Einsatz der Modelle nötig. „Halbleiterhersteller könnten davon profitieren, dass KI eine enorme Rechenleistung erfordert“, sagt Braun. Nach optimistischen Äußerungen zum Umsatz mit Halbleitern für KI-Anwendungen sei zum Beispiel der Marktwert von NVIDIA im Mai dieses Jahres auf über eine Billion US-Dollar gestiegen. Zu den Gewinnern dürften zudem Hersteller von Mikroprozessoren, Grafikchips (GPUs) sowie Chips mit individuellen Funktionen, sogenannte ASICs (Application-Specific Integrated Circuits) gehören.
5. Immer mehr KI-basierte Apps
Die Zahl der KI-basierten Anwendungen dürfte zunehmen, so Braun. „Als 2007 das iPhone an den Markt gekommen ist, hat sich das Angebot im App Store von Apple noch in Grenzen gehalten“, erinnert sich Braun. „Heute finden sich dort Millionen von Apps. Nutzer haben Zugriff auf unterschiedlichste Tools und Dienste, die vor der Markteinführung des iPhones undenkbar erschienen.“ Allein 2022 habe der Umsatz, der mit diesen Apps generiert wurde, einschließlich der Zahlungen an Entwickler 1,1 Billionen US-Dollar betragen.
Ähnliches zeichne sich aktuell bei ChatGPT ab. Das Programm habe mittlerweile Plugins, die einem App Store vergleichbar seien. „Diese neue und ergänzende Funktionalität ermöglicht neue Formen der Nutzung“, so Braun. „Wir rechnen hier in den nächsten Monaten und Jahren mit erheblichen Innovationen. Noch stehen wir am Anfang, doch die Konsumgüterriesen dürften noch viele nützliche Tools entwickeln.“ Dank umfangreicher Datenbestände befinde sich hier beispielsweise Apple in einer aussichtsreichen Position.
Von Christophe Braun, Equity Investment Director bei Capital Group