Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig | IPO-Boom in Fernost und Rekorde in Europa – doch wo bleibt der Unternehmergeist?
In den letzten Jahren führte kein Weg an US-Aktien vorbei. Vor allem Technologie-Unternehmen konnten ihre Umsätze, Gewinne und in weiterer Folge ihre Aktienkurse in lichte Höhen treiben. Auf Fünfjahressicht konnte die US-Leitbörse S&P 500 um 84% zulegen, wohingegen der breite europäische Index STOXX Europe 600 mit vergleichsweise geringen 35% deutlich zurückblieb. Doch 2025 ist anders. Während der deutsche DAX, der österreichische ATX und der französische CAC-Index zweistellig im Plus liegen, bewegt sich die Performance der großen US-Indizes „nur“ im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Und das, obwohl Donald Trump gerade erst seine zweite Präsidentschaft angetreten hat und einen Wall-Street-affinen Kurs eingeschlagen hat. Gleichzeitig trübt sich in Europa das wirtschaftliche Stimmungsbild zunehmend ein. Warum also haben Leitindizes wie der ATX oder der DAX neue Allzeithochs erreicht und kennen gefühlt nur den Weg nach oben?
Die Antwort liegt unter anderem in der globalen Konjunkturdynamik. Die Börsenkurse in Europa hängen weniger von der heimischen Wirtschaftslage ab als von weltweiten Entwicklungen. Die Top-40-Unternehmen Deutschlands, dem größten Wirtschaftsraum Europas, erwirtschaften rund 80% ihrer Umsätze im Ausland. Und im Gegensatz zur europäischen Wirtschaft brummt die Weltkonjunktur. Für 2025 wird ein Wachstum von über 3% prognostiziert. Zudem werden die von den USA anvisierten Friedensgespräche rund um den Ukraine-Konflikt von den Märkten positiv aufgenommen.
Ein weiterer entscheidender Faktor: Europäische Aktien sind im Vergleich zu ihren US-Pendants fundamental günstiger bewertet. Das war zwar schon seit vielen Jahren der Fall, doch 2025 scheint dieses Argument stärker ins Bewusstsein der Investoren zu rücken. Während Aktien des STOXX Europe 600 mit einem KGV von 14 zu haben sind, müssen Investoren für ein S&P-500-Investment tiefer in die Tasche greifen und für einen Dollar Gewinn ganze 22 Dollar bezahlen. Und dann kommen auch noch die Notenbanken ins Spiel. Während die EZB weiterhin auf einem Zinssenkungskurs bleibt, erhielten die Hoffnungen auf weitere Zinssenkungen der US-Fed zuletzt einen kräftigen Dämpfer – nicht zuletzt aufgrund der spürbar gestiegenen Inflationszahlen.
Doch nicht nur die aktuellen Bewertungsunterschiede und die globale Konjunktur beeinflussen die Märkte – auch der Unternehmergeist spielt eine entscheidende Rolle. In Indien brummen sowohl die Wirtschaft als auch der Unternehmergeist. Es drängen so viele Unternehmen wie noch nie in der Geschichte an die Börse. Im abgelaufenen Jahr wurden unglaubliche 327 Börsengänge (IPOs) und damit mehr als die USA (183) und Europa (115) zusammen. In Europa und vor allem in Österreich fristet das Unternehmertum ein Schattendasein. In Österreich planen laut einer Umfrage des Global Entrepreneurship Monitor lediglich 5,4% der Befragten, in den nächsten drei Jahren ein Unternehmen zu gründen.
Gerade in einer von Unsicherheiten geprägten Zeit rückt der Sicherheitsgedanke, den ein Angestelltendasein verspricht, noch mehr in den Fokus. Und dieses Sicherheitsbewusstsein scheint hierzulande besonders ausgeprägt zu sein. Selbst im ähnlich konservativen Deutschland liegt der Anteil bei über 10% und ist damit doppelt so hoch als jener in Österreich. Von den EU-Ländern ist die Quote lediglich in Polen noch geringer. Darüber hinaus gibt es auch Unterschiede im Mindset. Während in Indien und den USA Gründungen gefeiert und Scheitern als Erfahrung angesehen wird, dominiert in Europa – und besonders in Österreich – die Angst vor dem Scheitern. Hinzu kommen hohe bürokratische Hürden und wenig Anreize für Jungunternehmer. In den aufstrebenden Märkten Asiens gilt Unternehmertum als Weg zu Wohlstand und sozialem Aufstieg. In Europa scheint hingegen der Status quo zu dominieren – eine Haltung, die langfristig zur Wachstumsbremse werden könnte.
Wenn Europa wettbewerbsfähig bleiben will, muss sich diese Mentalität ändern. Mehr Mut zum Risiko, weniger Bürokratie und ein positiveres Bild vom Unternehmertum wären ein erster Schritt – damit die großen Ideen nicht nur in den USA oder Asien entstehen, sondern auch hierzulande wieder Zukunft geschrieben wird. Das Dasein eines Unternehmers ist definitiv nicht immer leicht. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Auf der Kehrseite steht aber die Freiheit, unbeirrt den eigenen Weg zu gehen und das unglaublich gute Gefühl, etwas Eigenes aus dem Boden zu stampfen. Obwohl ich bereits 2011 mein erstes Unternehmen aus dem Boden gestampft habe, hat es trotz meiner Unternehmertätigkeit noch nicht für ein Börsenlisting gereicht. Aber wie heißt es so schön: Aufgehoben ist bekanntlich nicht aufgehoben. Insofern heißt es für mich: Espresso trinken und weiterarbeiten!
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist
Dr. Josef Obergantschnig ist anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. In der Führungsebene der NIXDORF Kapital Unternehmensgruppe bringt er seine Expertise in den Bereichen Strategie, Finanzen und Nachhaltigkeit ein, um das Thema Impact-Investing weiter voranzutreiben. Darüber hinaus ist es ihm ein besonderes Anliegen, seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz nicht nur an Finanzexperten und Privatpersonen, sondern vor allem auch an junge Menschen auf unterhaltsame Weise weiterzugeben.
Infos zum aktuellen Buch: https://www.vonnullaufreich.com
Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at
Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at
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