Börsenbarometer | All-Time-Highs, eine Schonzeit und ein Comeback mit Sorgenfalten

Pünktlich zum Start in das Wochenende kommentiert e-fundresearch.com Gastkolumnist & Kapitalmarktexperte Dr. Josef Obergantschnig wöchentlich das Börsengeschehen aus erfrischend neuen Blickwinkeln. Markets | 16.05.2025 16:00 Uhr
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH / © e-fundresearch.com / Obergantschnig Management GmbH (Foto: Vicky Posch)
Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH / © e-fundresearch.com / Obergantschnig Management GmbH (Foto: Vicky Posch)

Wöchentlicher Börsenbarometer von Dr. Josef Obergantschnig | All-Time-Highs, eine Schonzeit und ein Comeback mit Sorgenfalten

Die letzten Wochen waren sehr herausfordernd und von Unsicherheiten geprägt. Wen wundert es da, dass dieser Tage mein Espresso-Konsum ein neues All-Time-High erreicht hat. Was für mich persönlich nicht unendlich fortgeschrieben werden kann, ist an den Aktienmärkten Alltag. Der amerikanische S&P 500, der im April ordentlich unter die Räder gekommen ist, hat bereits diese Woche wieder ein neues Allzeithoch erreicht – das erste Mal seit Februar 2025. Ist das ein Grund zu verkaufen? Wenn man es historisch betrachtet, wohl eher nein. Als Aktieninvestor muss man mit Unsicherheiten leben lernen. Seit 1980 musste der klassische S&P-500-Anleger während eines Kalenderjahres durchschnittlich mit einem Kursrückgang von 14 Prozent rechnen. Trotz dieses Drawdowns konnten aber 34 von 45 Jahren mit einem positiven Jahresergebnis abgeschlossen werden. Ein All-Time-High ist übrigens auch nichts Außergewöhnliches: Seit 1950 haben wir das an rund 7 Prozent aller Handelstage erlebt – das heißt durchschnittlich 18 Mal pro Kalenderjahr oder jede dritte Woche. Wer sich also schon beim ersten Hoch verabschiedet hätte, hätte viel Performance liegengelassen.

Die Kapitalmärkte atmen also auf. Nach geopolitischen Turbulenzen sorgt eine unerwartet deutliche Annäherung zwischen den USA und China für Entlastung. Beide Staaten reduzierten im Rahmen von Gesprächen in Genf ihre Zölle drastisch: Washington von 145 auf 30 Prozent, Peking von 125 auf 10 Prozent. Die Einigung gilt zunächst für 90 Tage – eine Art Waffenstillstand auf Zeit. Doch selbst dieses befristete Fenster reicht aus, um eine kräftige Erleichterungsrally zu entfachen. Der Nasdaq legte direkt nach der Vollzugsmeldung um vier Prozent zu, der S&P 500 kletterte auf den höchsten Stand seit Februar, und auch der Hang Seng Index in Hongkong schloss deutlich im Plus. Die Hoffnung vieler Marktteilnehmer auf Deeskalation ist zurück. Meine Skepsis hat sich im Gegensatz dazu noch nicht verabschiedet. Denn der liebe Donald bleibt der liebe Donald – und damit unberechenbar.

Auch für Elon Musk gibt es zumindest kurzfristig Grund zur Freude. Nach dem Einbruch der letzten Monate hat sich Tesla wieder über die magische Grenze von einer Billion US-Dollar Marktkapitalisierung geschoben. Ein Comeback mit Signalwirkung – zumindest optisch. Denn das operative Kerngeschäft zeigt Schwächen und das Wachstumspotenzial ist deutlich zurückgegangen. Analysten warnen bereits, dass die aktuelle Börsenbewertung mehr vom Image als von den Fundamentaldaten lebt. Elons Comeback hat damit viele Fragezeichen.

Für viele andere Unternehmen schafft die temporäre Zoll-Einigung zumindest kurzfristige Planungssicherheit – und das ist auch dringend nötig und sorgt vermutlich für ein kollektives Durchatmen in den Vorstandsetagen. Denn die aktuelle Berichtssaison zeigt klar: Die konjunkturelle Unsicherheit schlägt sich zunehmend in den Zahlen nieder. Immer mehr Unternehmen verzichten angesichts der Lage auf eine klare Jahresprognose – aus Vorsicht oder weil die eigenen Modelle und Planrechnungen aktuell schlicht viel zu viele Unbekannte enthalten. Analysten revidieren ihre Gewinnerwartungen für 2025 bereits spürbar nach unten – derzeit im Schnitt um vier Prozent. Das erste Halbjahr dürfte schwach verlaufen, eine Erholung wird bestenfalls für den Herbst erwartet.

Die Gründe liegen auf der Hand: gestiegene Finanzierungskosten, eingeschränkte Planbarkeit, Zollaufschläge auf importierte Vorprodukte – all das drückt auf die Margen. Ob diese Zusatzkosten in vollem Umfang an die Verbraucher weitergegeben werden können, ist mehr als fraglich. Denn auch der Konsum gerät zunehmend unter Druck, in Europa ebenso wie in den USA. Die Inflation bleibt ein Thema, auch wenn nicht mehr ein so dominantes. Gleichzeitig halten sich Unternehmen mit Investitionen zurück – eine Kombination, die auch den Konjunkturmotor der Weltwirtschaft ins Stottern geraten lässt.

Die Lage bleibt unsicher und volatil. Viele stellen sich die Frage, ob wir nun weiter von einem All-Time-High zum nächsten klettern oder ob uns noch eine ausgewaschene Korrektur bevorsteht. Diese Frage, liebe Leserinnen und liebe Leser, ist am Börsenparkett immer präsent – gerade in Zeiten, in denen Tweets, Zölle und Zinsfantasien im Stundentakt wechseln. Eine Antwort darauf gibt es (noch) nicht. Aber eines ist klar: Die 90 Tage laufen – und die Uhr tickt.

Dr. Josef Obergantschnig, Gründer, Obergantschnig Management GmbH & e-fundresearch.com Gastkolumnist

Dr. Josef Obergantschnig ist anerkannter Kapitalmarktexperte, Unternehmer, Autor und ehemaliger Chief Investment Officer eines Asset-Managers. In der Führungsebene der NIXDORF Kapital Unternehmensgruppe bringt er seine Expertise in den Bereichen Strategie, Finanzen und Nachhaltigkeit ein, um das Thema Impact-Investing weiter voranzutreiben. Darüber hinaus ist es ihm ein besonderes Anliegen, seinen jahrzehntelangen Erfahrungsschatz nicht nur an Finanzexperten und Privatpersonen, sondern vor allem auch an junge Menschen auf unterhaltsame Weise weiterzugeben.

Infos zum aktuellen Buch: https://www.vonnullaufreich.com

Keynote Speaker: www.josefobergantschnig.at

Weitere Informationen unter: www.ecobono.com / www.obergantschnig.at

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