USA greifen ein: Neue Eskalationsstufe im Iran-Israel-Konflikt
Am vergangenen Wochenende erreichte die angespannte Lage im Nahen Osten einen neuen Höhepunkt: Die USA beteiligten sich aktiv am militärischen Geschehen und griffen laut mehreren Berichten gezielt iranische Nuklearanlagen an. Damit droht der ursprünglich als Stellvertreterkrieg geführte Konflikt zwischen Israel und Iran in eine direkte Konfrontation mit internationalem Eskalationspotenzial überzugehen.
Trotz dieser brisanten Entwicklung zeigen sich die Kapitalmärkte bislang erstaunlich unbeeindruckt. Ölpreise steigen nur moderat, Aktienmärkte reagieren kaum, und auch die Risikoprämien auf Staats- und Unternehmensanleihen bleiben relativ stabil. Die Frage stellt sich daher: Wird das geopolitische Risiko unterschätzt?
Experten sehen divergierende Risiken – Energiepreise im Fokus
In einer aktuellen redaktionellen Umfrage hat die e-fundresearch.com Redaktion zehn internationale Kapitalmarkt- und Geopolitik-Expert:innen um ihre Einschätzung gebeten. Zu den Befragten gehören:
Elliot Hentov, State Street Global Advisors
Oliver Schmidt, Metzler Asset Management
Dr. Felix Schmidt, Berenberg
Razan Nasser, T. Rowe Price
Eric Vanraes, Eric Sturdza Asset Management
Beat Thoma, Fisch Asset Management
Gilles Moëc, AXA Investment Managers
Samy Chaar, Lombard Odier
Yves Ceelen, DPAM
Heiko Böhmer, Shareholder Value Management
Die Bewertungen reichen von strukturell begründeter Gelassenheit bis hin zu Warnungen vor einer möglichen Unterbewertung tiefgreifender systemischer Risiken.
„Ein regionaler Flächenbrand oder eine Behinderung von Öltransporten durch die Straße von Hormus könnten sich erheblich auf die Energiemärkte auswirken“, warnt Elliot Hentov (State Street Global Advisors) in seinem Statement. Zwar sei ein derartiges Szenario noch nicht eingepreist, doch die Situation könne sich rasch ändern.
Oliver Schmidt (Metzler Asset Management) sieht aktuell keine nachhaltigen Kapitalmarktverwerfungen, verweist aber ebenfalls auf mögliche Risiken durch Engpässe in der Energieversorgung: „Bei einer Seeblockade der Straße von Hormus wäre ein weiterer Anstieg der Öl- und Gaspreise zu erwarten – mit Folgen für Konsum und Unternehmensgewinne.“
Straße von Hormus bleibt neuralgischer Punkt
Zahlreiche Expert:innen – darunter Dr. Felix Schmidt (Berenberg), Razan Nasser (T. Rowe Price) und Gilles Moëc (AXA IM) – verweisen auf die hohe strategische Bedeutung der Straße von Hormus, über die ein wesentlicher Teil der globalen Ölversorgung läuft. Eine Blockade dieser Meerenge, so die übereinstimmende Analyse, könnte den Ölpreis in den dreistelligen Bereich treiben und das globale Inflationsumfeld nachhaltig verschärfen.
Trotz dieser potenziellen Risiken sehen einige Befragte wie Beat Thoma (Fisch Asset Management) und Samy Chaar (Lombard Odier) aktuell keinen Anlass für strategische Anpassungen. Die Kapitalmärkte hätten in den vergangenen Jahren eine gewisse „Krisenresilienz“ entwickelt – teils auch wegen struktureller Verschiebungen wie der gestiegenen Energieunabhängigkeit westlicher Staaten.
Expertenmeinungen im Überblick
Wie tragfähig ist die aktuelle Marktgelassenheit? Welche geopolitischen und ökonomischen Risiken könnten in den kommenden Monaten real werden? Die vollständigen Expertenstatements finden Sie im nachfolgenden Slider.

Elliot Hentov, Leiter Macro Policy Research, State Street Global Advisors
Aktuell scheinen die Märkte weiterhin ein Szenario ohne massive Auswirkungen auf die Ölversorgung einzupreisen. Der Ölpreis ist zwar moderat gestiegen, eine anhaltende Eskalation mit Auswirkungen auf iranische Ölexporte – oder Angriffe auf Infrastruktur Dritter – würde diesen Befund rasch ändern.
In der Vergangenheit wurden höhere Ölpreise durch einen schwächeren US-Dollar leicht abgefedert und umgekehrt. Die Transformation der USA zu einem Nettoölexporteur hat die historische negative Korrelation zwischen Ölpreisen und US-Dollar umgekehrt. Im Wesentlichen führt dies dazu, dass Ölpreisschwankungen für die globalen monetären Bedingungen um einiges prozyklischer sind. Dies kann zur Verschärfung eines Ölschocks führen.

Oliver Schmidt, CIO, Metzler Asset Management
Die größten Auswirkungen auf das Marktgeschehen haben die Energiepreise. Bei einer Zerstörung der Energieinfrastruktur oder einer Seeblockade der Straße von Hormus wäre ein weiterer Anstieg der Öl- und Gaspreise zu erwarten. Dies würde energieintensive Geschäftsmodelle und die Kaufkraft der Konsumenten erheblich schwächen. Allerdings waren die Ölmärkte zuletzt von einem Überangebot geprägt und es bestehen zudem umfangreiche Reservekapazitäten, die bei Bedarf aktiviert werden könnten. Auch die Rolle der USA als nennenswerter Produzent, insbesondere von Schieferöl und -gas, sorgt für eine gewisse Entspannung – entgegen früherer Krisen.
Unserer aktuellen Einschätzung nach dürfte die akuteste Phase des Konflikts nur von begrenzter Dauer sein. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb aus nüchterner Kapitalmarktsicht die Auswirkungen begrenzt erscheinen.

Dr. Felix Schmidt, Senior Economist, Berenberg

Razan Nasser, Kreditanalystin, T. Rowe Price
Angesichts der nach unten gerichteten Risiken sind die regionalen Anleihemärkte im Nahen Osten unserer Ansicht nach zu optimistisch. Eine Lösung des Konflikts ist kurzfristig unwahrscheinlich. Bei den aktuellen Kursen sind Anleger unserer Meinung nach nicht angemessen entschädigt. So sind beispielsweise israelische Kommunal- und Unternehmensanleihen mit erhöhten geopolitischen Risiken, einer möglichen Verschlechterung der öffentlichen Finanzen und einem höheren Finanzierungsbedarf konfrontiert. Insgesamt bleibt das Umfeld höchst unsicher.

Eric Vanraes, Chief Investment Officer und Head of Fixed Income, Eric Sturdza Asset Management SA
Die amerikanischen Inflationsdaten fielen im Mai 2025 leicht niedriger aus, als prognostiziert worden war, wobei diese noch nicht die Auswirkungen der US-Zölle widerspiegeln. Wir sehen jedoch weitere positive Signale am Anleihenmarkt. Die Nachfrage bei der Emission 30-jähriger US-Staatsanleihen am 12. Juni war größer als erwartet. Die zusätzliche Tranche im Wert von 22 Mrd. $ wurde mit einer Rendite von 4,844 % bepreist, die niedriger als erwartet ausfiel. Dies zeigt, dass trotz des weit verbreiteten Pessimismus immer noch eine Nachfrage nach langlaufenden Anleihen besteht.

Beat Thoma, Chief Investment Office, Fisch Asset Management
Der Brent-Rohölpreis ist zwar deutlich angestiegen, liegt aber immer noch unter dem durchschnittlichen Preis von 80 US-Dollar von letztem Jahr. Die Verteuerung dürfte daher noch nicht zu größeren Inflationsproblemen führen.
Der MSCI World Index befindet sich weiterhin nahe seinem Allzeithoch und die Credit Spreads auf Unternehmensanleihen haben sich nur marginal ausgeweitet. Es gab keine signifikante Flucht in sichere Häfen wie den US-Dollar oder US-Staatsanleihen.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sehen wir momentan keinen Anpassungsbedarf beim Risikoexposure und bleiben in einer neutralen bis leicht positiven Bandbreite positioniert.

Gilles Moëc, Chefökonom der AXA Group und Leiter der AXA Investment Managers Research-Abteilung, AXA Investment Managers

Samy Chaar, Chefökonom und CIO Schweiz, Lombard Odier
Die Marktreaktionen stützen diese Einschätzung. Die Ölmärkte sind die wichtigste Variable. Allerdings sind in den geringfügig höheren Preisen bereits eine geopolitische Risikoprämie berücksichtigt, und die Risiken auf der Angebotsseite scheinen relativ begrenzt zu sein – die OPEC+ ist in der Lage, die potenziellen Produktionsausfälle des Iran auszugleichen.
Die Aktienmärkte haben verhalten reagiert, die Renditen von Staatsanleihen sind stabil, während Gold, das als sicherer Hafen gilt, leicht nachgegeben hat. Die VIX-Futures, ein Mass für die Volatilität des US-Aktienmarktes, sind leicht zurückgegangen.
Insgesamt sehen wir nur begrenzte Auswirkungen auf die Aktienmärkte, es sei denn, es entsteht ein wesentlich größeres Risiko für die Ölproduktion, das sich längerfristig auf die Zinssätze auswirkt. Dies stellt jedoch derzeit nicht unser Basisszenario dar. Wir behalten unsere Anlagestrategie vorerst unverändert bei.

Yves Ceelen, Head of Institutional Portfolio Management, DPAM
Die Drohungen des Iran gegen Öltransporte durch die Straße von Hormus wirken weniger, da die USA und die EU weniger abhängig von Energieimporten aus den Golfstaaten sind. Sollte der Iran diesen Seeweg zu blockieren suchen, hätte dies v.a. Auswirkungen auf die Wirtschaft Chinas – einem strategischen Partner. Die Rohölproduktion des Iran beträgt etwa 3,5 Mio. Barrel/Tag, wovon 1,3 Mio. (einschl. Derivate 1,8 Mio.) über diesen Weg exportiert werden. Die finanziellen Folgen wären erheblich. Selbst wenn ein Großteil des Öls nach China exportiert wird, würde eine Störung in der Straße von Hormus die weltweite Ölversorgung beeinträchtigen. Werden die Lieferungen nach China unterbrochen, würde China nach Ersatzquellen suchen. Das würde die Preise weltweit in die Höhe treiben.

Heiko Böhmer, Kapitalmarktstratege, Sharholder Value Management
Wir sehen aber eine Art Normalisierung der Reaktionen auf die Eskalation. Noch vor zehn Jahren wäre nach einem solchen Wochenende der Börsenstart am Montag sehr wahrscheinlich sehr viel panischer ausgefallen. Die Angst eines Flächenbrandes hätte die Märkte erst einmal schockiert.
Nun sind die Kapitalmärkte nach all den vielen Krisen der vergangenen Jahre – ob Corona oder Ukraine-Krieg – an Krisenmeldungen gewöhnt. Nicht nur wir alle sind im Umfeld dieser vielen Krisen resilienter geworden – das gilt auch für die Kapitalmärkte. Und tatsächlich ist es in diesem Fall sogar noch etwas anders und es spielt die Aussicht auf einen möglichen Regimewechsel im Iran eine Rolle. Der könnte wiederum Ruhe für die gesamte Region bringen.
Verwenden Sie die Pfeiltasten ← →, um durch die Interviewgalerie zu navigieren, oder wischen Sie auf Mobilgeräten nach Belieben.
Weitere beliebte Meldungen: