Bantleon Chefvolkswirt im Interview: „Es tut sich etwas in Deutschland.“

Nach Jahren der Stagnation zeigt sich die deutsche Wirtschaft wieder etwas robuster. Industrieproduktion und Frühindikatoren deuten laut Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt der Bantleon AG, auf eine konjunkturelle Wende hin. Warum 2025 ein Übergangsjahr bleibt, welche Impulse vom 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen ausgehen und weshalb die Aussichten für 2026 deutlich freundlicher sind, erklärt er im aktuellen e-fundresearch.com-Interview. Markets | 07.10.2025 12:40 Uhr
Dr. Daniel Hartmann ist Chefvolkswirt der Bantleon AG / © e-fundresearch.com / Bantleon AG
Dr. Daniel Hartmann ist Chefvolkswirt der Bantleon AG / © e-fundresearch.com / Bantleon AG

e-fundresearch.com: Herr Hartmann, im vergangenen Jahr sprachen wir mit BANTLEON über Deutschlands Rolle als Sorgenkind unter den Industrieländern. Seitdem hat sich die Konjunktur etwas stabilisiert, zugleich gibt es mit der neuen Bundesregierung und einem stark veränderten geopolitischen Umfeld weitere Einflussfaktoren. Wie ordnen Sie die aktuelle Lage im internationalen Vergleich ein?

Dr. Daniel Hartmann: Im 2. Quartal 2025 gehörte Deutschland mit einem BIP-Wachstum von 0,2% (im Vorjahresvergleich) weiterhin zu den internationalen Schlusslichtern. Innerhalb Europas gibt es - unter den größeren Staaten - mit Österreich überhaupt nur ein Land, das noch schlechter abschneidet (BIP-Wachstum: -0,1%). Die Alpenrepublik leidet jedoch nicht zuletzt unter der Schwäche des großen Nachbarn.

Dennoch sollte man nicht zu miesepetrig sein. Die Lage ist deutlich besser als 2024. Das verarbeitende Gewerbe vollzieht nach einer zweijährigen Durststrecke eine Bodenbildung. Die Industrieproduktion liegt wieder über dem Vorjahresniveau. Gleiches gilt, ungeachtet der Volatilität am aktuellen Rand, auch für die Auftragseingänge. Schließlich expandiert der Export trotz allem Gegenwind aus den USA nach wie vor etwas stärker als im vergangenen Jahr. Ähnlich sieht es bei den Einzelhandelsumsätzen aus, wenn es hier zuletzt auch wieder Rückschläge gab.

Am deutlichsten zeigt sich der Besserungstrend aber in den konjunkturellen Frühindikatoren. Der Composite-Einkaufsmanagerindex lag im September bei 52,0 Punkten - und damit nicht nur höher als etwa in Frankreich und Italien, sondern auch deutlich über den Niveaus der Vorjahre. Gerade dieser Indikator deutet auf ein positives BIP-Wachstum im 3. Quartal hin. Ich gehe außerdem davon aus, dass aufgrund der jüngsten Aufwärtsrevision in den Industrieproduktionsdaten auch das BIP im 2. Quartal angehoben wird (von -0,3% auf -0,1%). Somit ist im Jahr 2025 immerhin ein Wachstum in Deutschland von 0,5% möglich, was gegenüber 2024 (‑0,5%) ein Schritt nach vorne darstellt. Als Fazit lässt sich festhalten: 2025 ist ein Übergangsjahr. Von Konjunktureuphorie kann noch keine Rede sein. Wir sind aber zuversichtlich, dass sich der Aufwärtstrend 2026 deutlich beschleunigt.

e-fundresearch.com: Im Vorjahr forderte BANTLEON mehr Investitionen und eine Entbürokratisierung. Mit dem neuen Sondervermögen von 500 Milliarden Euro will die Politik genau dort ansetzen. Wie beurteilen Sie dieses Instrument?

Dr. Daniel Hartmann: Ich sehe es positiv. Es besteht kein Zweifel daran, dass in Deutschland eine riesige öffentliche Investitionslücke vorhanden ist. Dazu bedarf es eigentlich gar keiner Studien, man muss nur mit offenem Blick durch Deutschland gehen. Ich lebe seit 20 Jahren in der Schweiz. Der Qualitätsunterschied zwischen Deutschland und der Eidgenossenschaft wird immer größer und hat zum Teil erschreckende Ausmaße angenommen (nicht nur bei der Bahn).

Das Instrument des Sondervermögens ist natürlich in vielerlei Hinsicht heikel: Kann das ganze Geld abgerufen werden? Verpufft der Effekt nicht in höherer Inflation? Zusätzliche flankierende Maßnahmen sind daher unerlässlich - allen voran schnellere Genehmigungsverfahren und eine Liberalisierung der Einwanderungspolitik, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Hierzu müssen alle Beteiligten über ihren Schatten springen. Der gesamten Bundesregierung sollte klar sein, dass es zur Sicherstellung des deutschen Wohlstands wieder Wirtschaftswachstum braucht. Diesem Ziel muss alles andere untergeordnet werden. Mit Blick auf die Genehmigungsverfahren bedeutet dies, dass Klima-, Tier- und Datenschutz in dem ein oder anderen Fall zurückstehen müssen. Gerade hiermit dürften sich aber viele politische Entscheidungsträger schwertun.

Trotz aller Problematik sendet der Infrastruktur-Fonds auf jeden Fall ein positives Signal nach außen - es tut sich etwas in Deutschland. Der Wirtschaftsstandort wird dadurch auch wieder attraktiver für ausländische Investoren.

e-fundresearch.com: Der Herbst 2025 wird bereits als „Herbst der Reformen“ bezeichnet. Schafft es die Regierung aus Ihrer Sicht, die geplanten Änderungen tatsächlich umzusetzen und welche Punkte fehlen Ihnen noch auf der Agenda?

Dr. Daniel Hartmann: Die Regierung sollte sich jetzt vor allem darauf konzentrieren, die Stimmung im Land zu verbessern und das Wachstum anzukurbeln - schwierige Strukturreformen sollten dagegen nach hinten verschoben werden. Damit der Fiskalimpuls wirksam zum Tragen kommt, muss das Geld aus dem Sondervermögen und die anderen geplanten Ausgabensteigerungen (Militär) möglichst schnell in die Wirtschaft fließen. Die Ausarbeitung der Ausgabenpläne (wo wird wie viel investiert) sollte daher oberste Priorität besitzen. Außerdem sollten auf allen Ebenen die Standortbedingungen verbessert werden. Wo hier angesetzt werden muss, ist hinlänglich bekannt (weniger Bürokratie, niedrigere Steuern und Energiekosten).

Unternehmen und Privathaushalte sollten den Eindruck gewinnen, dass die Wirtschaftspolitik wirklich eine 180-Grad-Wende vollzieht und ein Ruck durch das Land geht. Mit komplizierten Sozialreformen sollte sich die Regierung dagegen aktuell nicht verzetteln. Debatten über eine längere Lebensarbeitszeit oder Kürzungen im Bereich der Pflege- und Krankenversicherung würden nur den Streit innerhalb der Koalition befördern und aufseiten der Bevölkerung neue Ängste provozieren. Diese zweifellos notwendigen Sozialreformen sollten aus meiner Sicht daher auf die nächste Legislaturperiode verschoben werden, wenn das Wachstum bereits ein höheres Level erreicht hat.

e-fundresearch.com: Sie erwarteten für 2025 eine konjunkturelle Zwischenerholung. Seitdem sind erste positive Daten sichtbar. Wie lautet Ihr Ausblick für die kommenden Jahre?

Dr. Daniel Hartmann: Die Konjunktur hat 2025 Tritt gefasst. Noch ist es aber ein verhaltener Aufschwung. Dies dürfte sich aber bereits Ende 2025 ändern. Dann sollte der Fiskalturbo zünden. Viele Rüstungskonzerne haben darauf hingewiesen, dass sie im 4. Quartal 2025 mit der ersten öffentlichen Auftragsflut rechnen. Insgesamt plant die Regierung das Haushaltsdefizit des Bundes von 50 Mrd. EUR im Jahr 2024 auf über 170 Mrd. EUR im Jahr 2026 anschwellen zu lassen. Die damit verbundenen Ausgabensteigerungen von mehr als 120 Mrd. EUR erzeugen einen Fiskalimpuls von rund 3,0% des BIP - vorausgesetzt der Großteil des Geldes wird abgerufen. Es dürfte sich damit um das größte staatliche Konjunkturprogramm seit der Wiedervereinigung handeln. Hinzu kommen weitere stimulierende Maßnahmen wie der Investitionsbooster und die Senkung der Energiekosten.

Alles zusammen sollte eine namhafte öffentliche Investitionsbelebung nach sich ziehen, die dann auch auf die Privatwirtschaft überspringt. Ein Vorbote davon ist die Initiative »Made in Germany« (61 Unternehmen haben Investitionszusagen von 631 Mrd. EUR bis 2028 gegeben). Auch die verbesserten finanziellen Rahmenbedingungen - die EZB hat die Leitzinsen seit Mitte 2024 halbiert - sollten die Investitionstätigkeit beflügeln.

Die US-Strafzölle stellen zweifellos ein Gegengewicht dar. Allerdings dürfte der Exportrückgang in die USA bis Ende 2026 maximal einen negativen Wachstumsimpuls von 0,5 Prozentpunkten erzeugen, was verkraftbar ist. Darüber hinaus läuft die Wirtschaft in vielen Teilen der Welt - allen voran in Schwellenländern wie Indien, Indonesien, Vietnam etc. - auf Hochtouren. Dies stützt die Auslandsnachfrage. In Anbetracht dessen gehen wir davon aus, dass 2026 BIP-Zuwächse in Deutschland in Höhe von 0,5% pro Quartal erreichbar sind. Das Wachstum sollte sich daher 2026 an die 2,0%-Marke heranpirschen (1,6% bis 1,7%). Mit dieser Prognose liegen wir deutlich über der aktuellen Konsensusschätzung (1,1%).

Kurzbiografie Daniel Hartmann

Dr. Daniel Hartmann ist Chefvolkswirt der BANTLEON AG in Zürich. Nach einer Ausbildung bei der Deutsche Bank AG und an der Berufsakademie Stuttgart zum Diplom-Betriebswirt (BA) studierte Daniel Hartmann an der Universität Hohenheim Wirtschaftswissenschaften mit dem Schwerpunkt Volkswirtschaft. Anschließend arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hohenheim und promovierte zum Dr. oec. mit »summa cum laude«. Im Jahr 2005 begann Daniel Hartmann als Analyst Economics bei BANTLEON. Im Jahr 2008 wurde er zum Senior Analyst Economic Research ernannt, Ende 2017 zum Chefvolkswirt. Bei BANTLEON verantwortet Daniel Hartmann die Finanzmarktprognosen (Renditen und Aktienkurse) sowie die Analyse der globalen Konjunktur und Geldpolitik.

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