Indien schreibt Geschichte.
Ende letzten Jahres hat das Land das Vereinigte Königreich als fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt abgelöst. Vor einigen Wochen landete ein indisches Raumfahrzeug auf dem Südpol des Mondes – das erste überhaupt. Und in diesem Monat war die Hauptstadt Neu-Delhi Gastgeber des G20-Gipfels der führenden Industrie- und Schwellenländer. Das ist das erste Mal, dass ein Land der südlichen Hemisphäre dieses Spitzentreffen ausgerichtet hat.
Jede dieser Errungenschaften ist für sich allein genommen schon beeindruckend. Aber in der Summe wird deutlich, wie stark der Einfluss ist, den Indien mittlerweile auf der wirtschaftlichen und geopolitischen Weltbühne hat.
Das sollten Investoren auf dem Radar haben.
Der indische Aktienmarkt erreichte diesen Monat ein Allzeithoch von 3,8 Bio. US-Dollar, und indische Aktien haben ihre Pendants aus den anderen Schwellenländern schon vor einiger Zeit überholt.
Doch das ist erst der Anfang. All das sind gute Gründe, warum indische Aktien in den globalen Aktienportfolios einen festen Platz haben sollten.
Transformation für Wachstum
Die Fundamentaldaten indischer Unternehmen sind vielversprechend.
Das Land gehört nicht nur zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt, sondern auch zu den am stärksten diversifizierten. Diese Vielfalt ist seine Stärke. Das ist einer der Gründe, warum das reale BIP-Wachstum des Landes weitaus weniger volatil ist als das der anderen Schwellenländer (siehe Abb. 1).
In seiner Vielfalt spiegeln sich der große Industriesektor, der wachsende Verbrauchermarkt und der sich verschärfende Wettbewerb wider. Das hat auch dazu beigetragen, dass indische Unternehmen höhere Gewinne erzielen als die übrigen Schwellenländer (Abb. 2).
Die Investitionen Indiens in Technologie und die Digitalisierung der Wirtschaft dürften der Eigenkapitalrendite der Unternehmen einen Schub geben.
Eines der Prestige-Projekte der Regierung ist India Stack, das auf die Verbesserung der digitalen Infrastruktur und des Online-Zugangs abzielt.
Von einem digitalen Ausweissystem über ein System für Sofortüberweisungen bis hin zu Online-Kundenüberprüfungen – dank der rasanten Digitalisierung Indiens können Verbraucher aus städtischen und ländlichen Gebieten bargeldlose Zahlungen vornehmen, Unternehmen können papierlose Transaktionen durchführen und die Bevölkerung kann online öffentliche Serviceangebote nutzen.
All das trägt dazu bei, die finanzielle Inklusion in dem Land voranzubringen, die Produktivität zu steigern und Korruption einzudämmen.
Entscheidend für Investoren ist, dass durch solche Maßnahmen Kleinunternehmen einfacher Kredite für den Geschäftsausbau erhalten.
Diese sogenannten KKMU (Kleinst-, Klein- und mittelständische Unternehmen) machen einen großen Teil der indischen Wirtschaft aus und leisten einen Beitrag von 30 Prozent zum indischen BIP und von 40 Prozent zu den Exporten des Landes. Mehr als 9 von 10 KKMU haben jedoch keinen Zugang zu formalen Krediten.
Die digitale Wirtschaft des Landes trägt bereits schätzungsweise 22 Prozent zur Gesamtproduktion bei. Der 5G-Netzausbau dürfte das Wachstum der indischen Digitalwirtschaft beschleunigen, die sich den Prognosen zufolge bis 2030 auf 1 Bio. US-Dollar versechsfachen wird.2
In Indien ist das Volumen digitaler Echtzeitzahlungen im Unternehmenssektor weltweit mit am größten; 2022 lag der Anteil bei 46 Prozent der globalen Echtzeitzahlungen.3
Wir gehen davon aus, dass Indien auch in Zukunft an der Spitze der digitalen Welt stehen wird, da Online-Plattformen immer mehr in Bereiche wie Kredite, Handel und Gesundheit vordringen.
Mehr Disziplin, mehr Wettbewerb
Auch werden indische Unternehmen aus operativer und finanzieller Sicht immer disziplinierter.
Im Zuge der Digitalisierung haben immer mehr Unternehmen, die zuvor offline und fragmentiert tätig waren, konsolidierte webbasierte Plattformen aufgebaut. Das betrifft Branchen unterschiedlichster Art – Reisen, Lebensmittel, Gesundheit, Fertigung.
Gleichzeitig entwickeln sich die indischen Unternehmen zu effizienten, international wettbewerbsfähigen Unternehmen. Das Land hat sich in dem vielbeachteten Global Competitiveness Index bereits auf den 40. Platz hochgearbeitet und belegte im Zeitraum 2019–2021 konstant den 43. Platz4. Gleichzeitig gewinnt es immer mehr globale Marktanteile im IT-Sektor (siehe Abb. 3).
Die Regulierungsbehörden haben zudem anlegerfreundliche Reformen eingeführt, um die Rechenschaftspflicht und Transparenz der Unternehmen zu verbessern und die Interessen von Minderheitsaktionären zu schützen.5
Eine unabhängige Umfrage ergab, dass 100 Unternehmen an der S&P Bombay Stock Exchange – die mehr als zwei Drittel der gesamten Marktkapitalisierung repräsentieren – ihren mittleren Corporate Governance Score im Jahr 2021 von 58 im Jahr 2019 auf 62 verbessert haben.6
Die stetige Verbesserung der Unternehmensführung dürfte das Investitionspotenzial Indiens noch größer machen. Studien zeigen, dass eine bessere Corporate Governance dazu beiträgt, Risiken zu reduzieren und die finanzielle Leistung zu verbessern.
Unternehmensfreundliche Politik
Die Bemühungen der Unternehmen zur Optimierung und Erzielung einer höheren Eigenkapitalrendite werden durch eine unternehmensfreundlichere Regierung unterstützt.
Von Infrastruktur über Fertigung bis hin zu Steuern und Banking – Premierminister Narendra Modi hat eine ganze Reihe von teilweise radikalen Strategien umgesetzt, um die Wirtschaft zu modernisieren.
Nicht alles brachte den gewünschten Effekt. Nehmen wir die Demonetisierungsinitiative von 2016. Die Regierung entwertete große Geldscheine mit einer Vorwarnzeit von gerade mal vier Stunden, was das Land ins Chaos stürzte. In den letzten Jahren hat sich das politische Klima jedoch verbessert.
Die jüngsten marktorientierten Reformen und Regulierungsmaßnahmen haben dazu beigetragen, die Transparenz und Glaubwürdigkeit der Finanz- und Währungspolitik zu verbessern und die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft gegenüber externen Schocks zu stärken. Gleichzeitig macht es die Politik ausländischen Investoren einfacher, in das Land zu investieren.
So hat die Regierung beispielsweise kürzlich Gesetze erlassen, die mehr als 50 Prozent ausländisches Eigentum an Versicherungs- und Verteidigungsunternehmen erlauben, und zudem die rückwirkende Besteuerung grenzüberschreitender Investitionen abgeschafft.
Wir gehen davon aus, dass das politische Umfeld für Unternehmen und Investoren mittelfristig günstig bleiben wird, zumal Modi politische Unruhen vor den Parlamentswahlen 2024 vermeiden möchte.
Darüber hinaus dürfte die indische Regierung einen Kurs einschlagen, der es ihr ermöglicht, einen Nutzen aus ihrer „neutralen“ Position in der geopolitischen Konfliktlage zu ziehen.
Das sollte dem Land helfen, seine Handels- und Wirtschaftsinteressen, insbesondere in strategisch wichtigen Sektoren wie Energie, Verteidigung, Technologie und Pharma, stärker durchzusetzen.
Indische Aktien verzeichneten 2023 erhebliche Zuflüsse aus dem Ausland – im bisherigen Jahresverlauf 16 Mrd. US-Dollar netto –, das entspricht mehr als der Hälfte der gesamten Nettozuflüsse in globale Aktien.7
Dennoch sind internationale Allokationen in dem Land gering.
Die Nettopositionierung ausländischer Investoren lag in den letzten zwei Jahren beständig unter der Gewichtung des MSCI Emerging Market Benchmark Index.8
Das dürfte sich aber bald ändern. Die Argumente für eine Kernallokation indischer Aktien in einem globalen Aktienportfolio sind so stark wie noch nie.
„Indische Unternehmen sind eine echte Bereicherung für internationale Investoren, die ihre Portfolios diversifizieren wollen.“
Indien im globalen Portfolio: Indische Aktien verzeichneten seit Jahresbeginn erhebliche Zuflüsse aus dem Ausland – im bisherigen Jahresverlauf 16 Mrd. US-Dollar netto –, das entspricht mehr als der Hälfte der gesamten Nettozuflüsse in globale Aktien.7
Dennoch sind die Allokationen internationaler Investoren in dem Land gering.
Ihre Nettopositionierung lag in den letzten zwei Jahren beständig unter der Gewichtung des MSCI Emerging Market Benchmark Index.8
Indische Unternehmen sind eine echte Bereicherung für internationale Investoren, die ihre Portfolios diversifizieren wollen.
Indische Aktien sollten daher eine Kernallokation in einem globalen Aktienportfolio sein und im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut werden.
Von Prashant Kothari, Senior Investment Manager, Pictet Asset Management
[1] MSCI India Index vs. MSCI Emerging Market Index, Quelle: Bloomberg; Daten beziehen sich auf den Zeitraum 31.07.2013–31.08.2023.
[2] https://www.bain.com/about/media-center/press-releases/2023/indias-internet-economy-to-reach-us$1-trillion-by-2030-google-temasek-and-bain--company-report/
[3] Indische Regierung
[4] https://www.imd.org/centers/wcc/world-competitiveness-center/rankings/world-competitiveness-ranking/2023/
[5] https://ajssr.springeropen.com/articles/10.1186/s41180-018-0020-4
[6] https://www.iiasadvisory.com/institutional-eye/corporate-governance-scores-2021-immunity-through-strong-boards
[7] JP Morgan, Daten vom 08.09.2023
[8] JJP Morgan, Daten vom 29.08.2023