Naturschützer und Kapitalisten sind selten einer Meinung. Aber da die Welt vor einer Biodiversitätskrise steht, arbeiten die beiden Lager Hand in Hand, und das auf immer innovativere Weise.
Von der Ausgabe von Unternehmensanleihen zum Schutz der Austernriffe bis hin zum Verkauf von Finanztiteln, deren Erlöse für die Beseitigung der Plastikverschmutzung im Meer verwendet werden – die Finanzindustrie möchte sich in die Eindämmung des Naturverlusts und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt einbringen.
Auslöser für dieses Umdenken ist, dass die naturbezogenen Risiken für das Unternehmensergebnis, seien es betriebliche, regulatorische oder Reputationsrisiken, nicht mehr wegzudiskutieren sind. Gefahren für die biologische Vielfalt, wie Waldbrände, Hitzewellen und der Rückgang der Zahl der bestäubenden Bienen und der Fischbestände im Meer, belasten zunehmend die Rentabilität der Unternehmen unterschiedlichster Branchen. Untersuchungen zeigen, dass Lebensmittelunternehmen, Einzelhändler, Forstbetriebe und Bergbauunternehmen zu denjenigen gehören, die am stärksten von den Auswirkungen von Umweltschäden betroffen sind.
Doch die Hauptmotivation für die neue Investitionswelle scheint nicht nur die Risikominderung zu sein. Während das Weltwirtschaftsforum das Jahr 2025 zum Jahr der naturpositiven Finanzierung erklärt, erkennen Unternehmen und ihre Investoren zunehmend, dass Investitionen in die biologische Vielfalt auch neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen können.
Naturanleihen
Nirgendwo wird dieser Trend deutlicher als an den Märkten für festverzinsliche Wertpapiere, wo die Natur den Klimawandel als wichtigsten Grund für die Kapitalbeschaffung mit grünen und nachhaltigen Anleihen überholt hat. Nach Angaben des Institute of International Finance (IIF) hatten Anleihen, mit denen Ziele zur Vermeidung von Biodiversitätsverlusten und zum Schutz der biologischen Vielfalt verbunden sind, im vergangenen Jahr einen Anteil von knapp einem Viertel am Gesamtvolumen der ESG-zertifizierten Anleihen. Das jährliche Emissionsvolumen lag bei über 300 Mrd. US-Dollar – ein Allzeithoch und doppelt so viel wie im Jahr 2020.
Staatliche und supranationale Institutionen haben bisher die Emission von Anleihen mit Biodiversitätsbezug angeführt, aber inzwischen treten auch Unternehmen in ihre Fußstapfen. Damit reagiert der Unternehmenssektor auf die wachsende Zahl naturbezogener Vorschriften und Reporting-Standards, die alle darauf abzielen, die Unternehmen zu zwingen, den Schutz der biologischen Vielfalt in ihrer Netto-Null-Planung zu berücksichtigen.
Zwei Arten von Unternehmens-Biodiversitätsanleihen sind auf dem Vormarsch:
Zum einen Use of Proceeds (UOP) Anleihen, bei denen die Erlöse für genau festgelegte Nachhaltigkeitsprojekte vorgesehen sind. Interessanterweise hat die Emission solcher Anleihen in den letzten Jahren zugenommen, wohingegen die Nachfrage nach anderen Arten von ESG-Anleihen aufgrund von Befürchtungen über mangelnde Transparenz zurückgegangen ist.
Zu den beliebtesten UOP-Naturanleihen gehören solche, die Ziele zur Erhaltung der terrestrischen und aquatischen Artenvielfalt finanzieren – beide sind von der International Capital Markets Association als zulässige UOP-Kategorie anerkannt. Diese Anleihen machten laut Fitch im Jahr 2023 etwa 16% aller neu emittierten Biodiversitätsanleihen aus, im Jahr 2020 waren es noch 5%.
Zu den neuen Emittenten am Markt gehört das chilenische Zellstoff- und Papierunternehmen CMPC. Es hat UOP-Anleihen in den Bereichen nachhaltige Wald- und Wasserbewirtschaftung und Wiederherstellung einheimischer Wälder emittiert.
Und das finnische Forstwirtschaftsunternehmen Stora Enso hat eine Reihe grüner UOP-Anleihen emittiert, deren Erlöse unter anderem für die nachhaltige Wald- und Wasserbewirtschaftung sowie den Umweltschutz bestimmt sind.
Die zweite Art von Biodiversitätsanleihen, die sich bei Unternehmensemittenten großer Beliebtheit erfreut, ist die Nachhaltigkeitsanleihe (Sustainability-Linked Bond, SLB). SLBs zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen Mechanismus enthalten, durch den sich ihre Konditionen – wie der Zinssatz oder die Kupons – in Abhängigkeit von der Fähigkeit des Unternehmens ändern, seine spezifischen Leistungsziele innerhalb des vorab festgelegten Zeitrahmens zu erreichen.
Das brasilianische Zellstoff- und Papierunternehmen Klabin ist ein gutes Beispiel: Vor kurzem emittierte es eine SLB mit Zielen für die Nachhaltigkeitsleistung (Sustainable Performance Targets, SPTs), die mit seinen Zielen in Bezug auf Natur und biologische Vielfalt verknüpft sind, mit Endfälligkeit 2030, wobei das Jahr 2025 der Trigger für die Festsetzung des neuen Zinssatzes ist.
Zu den Zielen des Unternehmens für 2030 gehören:
- Wiederansiedlung von zwei Arten, die in einem bestimmten Lebensraum nachweislich ausgestorben sind, und Förderung der Populationsstärkung von vier weiteren bedrohten Arten. Die Kuponzahlung erhöht sich um 6,25 Basispunkte, wenn das Ziel nicht erreicht wird.
- Der Wasserverbrauch liegt bei oder unter 3,68 m3 pro produzierter Tonne – eine Verringerung um 16,7% gegenüber 2018. Der Kupon wird um 12,5 Basispunkte nach oben korrigiert, wenn das Ziel nicht erreicht wird.
„Als global diversifizierter Investor sind wir daran interessiert zu verstehen, wie die Unternehmen in unserem Portfolio von der Natur abhängen und diese beeinflussen ... Unsere Strategie zielt darauf ab, sicherzustellen, dass das Portfolio des Fonds gut aufgestellt ist, um die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen und relevante Chancen wahrzunehmen.“ - Norwegischer staatlicher Vermögensfonds
Naturrisiken in Portfolios
Bei der Emission dieser Anleihen ist die Zusammenarbeit mit Naturschützern und Umweltforschern von entscheidender Bedeutung, um wissenschaftlich fundierte Ziele zu setzen, die einen echten und messbaren Nutzen für die Natur bringen können.
Aber nicht nur an den Anleihemärkten rückt Naturkapital in den Fokus. Zunehmend werden auch Aktien zu einer Quelle von Anlagemöglichkeiten im Bereich der biologischen Vielfalt.
Untersuchungen der Impact-Investment-Consultingagentur Phenix Capital haben gezeigt, dass sich die Zahl der Fonds, die sich auf Biodiversität konzentrieren, seit 2018 auf über 1.000 mehr als verdoppelt hat und mindestens 200 Mrd. EUR an Kapital aufgenommen hat.1
Der Indexanbieter MSCI hat festgestellt, dass mehr als 80% der fast 1.700 Unternehmen in seinem All Country World Index in ihren Jahresberichten auf die biologische Vielfalt und naturbezogene Belange eingehen, was zeigt, dass das Bewusstsein in der Geschäftswelt gestiegen ist.2
Es gibt eine wachsende Zahl grosser institutioneller Investoren, die damit begonnen haben, naturbezogene Risiken zu berücksichtigen und die Chancen der biologischen Vielfalt zu nutzen.
Nehmen wir als Beispiel den niederländischen ABP. Der größte Pensionsfonds des Landes ist zu einem Ankerinvestor für eine erste Privatplatzierung von blauen Anleihen des dänischen Erneuerbare-Energien-Unternehmens Orsted geworden, mit denen Maßnahmen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt im Meer finanziert werden sollen.
Ein weiteres Beispiel ist der norwegische Vermögensfonds. Der Fonds, der mit einem verwalteten Vermögen von 1,7 Bio. US-Dollar der weltweit größte ist, hat 96% seines Portfolios einer Risikobewertung des Naturkapitals unterzogen. Außerdem hat er Unternehmen abgestoßen, die er für in hohem Maße risikobehaftet hält.
„Als global diversifizierter Investor sind wir daran interessiert zu verstehen, wie die Unternehmen in unserem Portfolio von der Natur abhängen und diese beeinflussen“, heißt es in dem Bericht des Fonds. „Unsere Strategie zielt darauf ab, sicherzustellen, dass das Portfolio des Fonds gut aufgestellt ist, um die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen und relevante Chancen wahrzunehmen.
Finanzierung der Biodiversität: Gedeihliche Zukunft
Unternehmen, Investoren und politische Entscheidungsträger setzen sich zunehmend für den Schutz der biologischen Vielfalt ein, da sie sich sowohl des mit Untätigkeit verbundenen Risikos als auch der Chancen für attraktive Renditen bewusst werden.
Diese Dynamik zeigt sich beispielsweise in Initiativen des Finanzsektors, wie dem „Finance for Biodiversity Pledge“.3
Im Rahmen dieser Initiative haben sich fast 200 Finanzinstitute mit einem Vermögen von mehr als 20 Bio. US-Dollar verpflichtet, ihre Finanzströme durch öffentliches Engagement, Zusammenarbeit und Zielsetzungen für verschiedene Anlageklassen zur Messung der positiven Wirkung mit den Zielen der biologischen Vielfalt in Einklang zu bringen.
Mit dem Ausbau der Naturfinanzierung dürfte die biologische Vielfalt in den kommenden Jahren im Bereich der nachhaltigen Finanzierung an Bedeutung gewinnen und neben dem Klimawandel zu einem der wichtigsten Themen von Unternehmen und ihren Investoren werden.
Weitere beliebte Meldungen:
1 https://phenixcapitalgroup.com/news/impact-report-biodiversity-apr-2024
2 MSCI, basierend auf den Berichtspraktiken von 1.686 Unternehmen des MSCI ACWI Index, die entsprechende Jahresberichte für das Geschäftsjahr 2022 veröffentlicht haben
3 Die Pictet-Gruppe ist ebenfalls Unterzeichnerin des „Finance for Biodiversity Pledge“. Weitere Informationen finden Sie unter https://www.pictet.com/content/dam/www/documents/brochures/responsibility/PictetGroup-ESG-Sustainability-report-2023-EN.pdf.coredownload.pdf