Alles beim Alten: Die Weltwirtschaft wächst, die Erwartungen werden optimistischer. Die Inflation fällt, aber die so schwierige „letzte Meile“ ist in aller Munde. Der Zinsausblick für die USA und Europa entwickelt sich daher auseinander, und die amerikanischen Renditen legen stärker zu als die europäischen. Noch hält der Markt Zinssenkungen der Fed in diesem Jahr für möglich, aber das könnte sich bald ändern. Anleihenbullen wären froh, wenn Notenbankchef Powell wenigstens Erhöhungen ausschlösse. Viel hängt von den Daten ab. Selbst eine überraschend niedrige Inflation ist möglich, wie das Beispiel Japan zeigt.
Zeit für Aktien: Die Marktentwicklung seit Jahresbeginn zeigt, dass das Umfeld für Aktien besser war als für Anleihen – und noch immer ist. Mittlerweile erwarten die Märkte für dieses Jahr nahezu keine Zinssenkungen mehr, was besonders zinssensitiven Marktsegmenten geschadet hat. Weil reales Wachstum und Inflation noch immer höher sind als erhofft, legt die Wirtschaft auch nominal kräftig zu. Deshalb steigen die Unternehmensgewinne. Sowohl in den USA als auch in Europa wuchs das nominale BIP 2023 um etwa 6,5 Prozent, und auch dieses Jahr dürfte es ordentlich steigen. Das hohe nominale Wachstum ist gut für Aktien, aber für die Notenbanken vielleicht etwas zu viel. Sie werden die Zinsen nicht so stark senken wie erwartet.
Besser für Anleihen: Solange die Fed die Zinsen nicht anhebt, machen die laufenden Renditen Anleihen aber attraktiv. In den ersten vier Monaten des Jahres sind ihre Kurse aufgrund der Neueinschätzung der Geldpolitik gefallen. Doch jetzt ist mit höheren Gesamterträgen zu rechnen, weil mittlerweile die laufende Rendite dominiert. 3 Prozent bis 4 Prozent Gesamtertrag von Investmentgrade-Anleihen bis zum Jahresende würden nicht überraschen, und bei High Yield scheinen etwa 5 Prozent denkbar. Wenn Powell eine Zinserhöhung explizit ausschlösse, wäre wohl noch mehr möglich. Natürlich braucht er dazu die passenden Daten, aber darauf warten wir noch.
Erfreuliche Überraschungen: Amerikanische Unternehmen scheinen im 1. Quartal gut verdient zu haben. Knapp die Hälfte hat ihre Zahlen schon vorgelegt, und im Schnitt sind die Gewinne um etwa 6 Prozent gestiegen – gut 10 Prozent mehr als prognostiziert. Positive Überraschungen gab es überall, und mit Ausnahme der Sektoren Energie, Grundstoffe und Gesundheit haben die Gewinne stets zugelegt. Auch Technologieunternehmen waren erfolgreich; Microsoft und Alphabet (Google) übertrafen klar die Erwartungen. Zuletzt haben Technologieaktien zwar einen Großteil ihrer Erträge seit Jahresbeginn wieder abgegeben, doch dürften die hohen Unternehmensgewinne und die absehbar hohen Investitionen in Technologie und Künstliche Intelligenz vor den US-Wahlen für eine bessere Performance sorgen.
60/40 im Plus: Letztes Jahr hat man mit Aktien mehr verdient als mit einem klassischen 60/40-Portfolio. Vielleicht nimmt der Vorsprung jetzt ab, da Anleihen endlich wieder laufenden Ertrag bieten. Unklar ist aber, ob sie unter den neuen Rahmenbedingungen einen kräftigen Aktienmarkteinbruch abfedern können. Ein klassischer Konjunkturabschwung mit weniger Wachstum und niedrigeren Unternehmensgewinnen würde wohl starke Zinssenkungen auslösen – und damit Mehrerträge von Anleihen. Zuletzt erlebten wir das während der internationalen Finanzkrise. 2022 lagen hingegen nicht nur Aktien, sondern auch Anleihen im Minus, weil die Geldpolitik gestrafft wurde. Eine Wiederholung scheint aber nicht zu erwarten, sodass Anleihen wohl für Stabilität sorgen, wenn Aktien aufgrund eines schwächeren Gewinnausblicks fallen.
Und die Anlegerstimmung? Einstweilen ist der Fundamentalausblick stabil. Kurzfristig könnten Aktien vor allem dann unter Druck geraten, wenn sich die Marktstimmung verschlechtert und die Risikoprämien steigen, sodass das Kurs-Gewinn-Verhältnis fällt. Viele Entwicklungen könnten das bewirken – vor allem natürlich eine Zinserhöhung in den USA, aber auch die unsichere Weltlage. Wie so oft waren die unmittelbaren Marktreaktionen auf weltpolitische Entwicklungen nicht von langer Dauer. Allerdings könnten die Kriege im Nahen Osten und der Ukraine eskalieren – und damit den Welthandel bedrohen, die Inflation anheizen und für neue Unsicherheit sorgen. Aber noch ist es nicht so weit.
Hü und hott: Manche Anleger fürchteten, dass die neue Geldpolitik der Bank of Japan japanische Investoren zur Repatriierung ihrer Auslandsanlagen veranlassen würde. Der Yen hätte aufgewertet, und Finanzinstrumente wie US-Staatsanleihen hätten an Wert verloren. Aber nichts dergleichen ist passiert. Die Geldpolitik wurde zwar etwas gestrafft, aber der Yen ist gegenüber dem US-Dollar heute so schwach wie zuletzt 1990. Im April betrug die Verbraucherpreisinflation in Tokio 1,8 Prozent z.Vj. Volkswirte hatten mit 2,5 Prozent gerechnet, und im März waren es noch 2,6 Prozent gewesen. Japans Notenbank erwartet für 2024 durchschnittlich 2,8 Prozent Inflation, vor allem wegen einer weiteren Yen-Abwertung und anhaltend hoher Energiepreise. Hausgemachte Inflation scheint es in Japan unterdessen kaum zu geben, was eine weitere Straffung der Geldpolitik in nächster Zeit unwahrscheinlich macht. Die Straffung wurde schnell beendet, und Japan ist für internationale Anleihen keine Gefahr mehr. Vielleicht zeigt dies, wie schwer sich eine seit mindestens 20 Jahren andauernde Deflation überwinden lässt – auch bei einem (überwiegend) vorübergehenden Inflationsschock.
Teurere Währungsabsicherung von US-Anlagen: Euro- und sterlingbasierten Investoren bieten US-Anleihen noch immer attraktive Renditen, auch abgesichert in Euro oder Pfund. Aber das muss nicht so bleiben. Wenn die Fed ihre Zinsen unverändert lässt, EZB und Bank of England aber senken, wird die Währungsabsicherung teurer. Schon bald könnten währungsgesicherte US-Unternehmensanleihen keinen Renditevorsprung mehr bieten.
Ruhig und sonnig: Die Märkte sind ruhig. Gemessen am VIX-Index ist die Aktienmarktvolatilität Anfang April kräftig gestiegen, um danach wieder zu fallen. Die Unternehmensgewinne sind vielversprechend. Und doch wird man weiterhin einen kurzfristigen Inflationsanstieg fürchten und sich wegen der hartnäckigen US-Dienstleistungspreisinflation Sorgen machen. All das spricht für kurz laufende Unternehmensanleihen, aber auch für Aktien von Unternehmen mit hohem Gewinnwachstum. Wenn an Kalendereffekten etwas dran ist, dürfte der Mai ein recht guter Monat für Balanced-Portfolios werden.
Von Chris Iggo, CIO Core Investments, AXA Investment Managers