Barings-Chefstratege: Wie schlimm wird es werden?

Dr. Christopher Smart, Chefstratege und Leiter des Barings Investment Institute, gibt eine Einschätzung, worauf wir uns noch einstellen müssen, bevor die Erholung beginnt: Barings | 06.04.2020 13:59 Uhr
Christopher Smart, Chefstratege und Leiter des Barings Investment Institute / © Barings
Christopher Smart, Chefstratege und Leiter des Barings Investment Institute / © Barings
Archiv-Beitrag: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Die Frage, um die es sich bezüglich des Coronavirus in diesen Tagen vorrangig dreht, lautet: Wie schlimm wird es werden? „Auch wenn wir alle darum kämpfen, den ersten Blick auf den Sonnenaufgang zu erhaschen, wird viel davon abhängen, wie schnell die Märkte vor dem Morgengrauen die Dunkelheit durchschreiten“, sagt Dr. Christopher Smart in seinem aktuellen Kommentar. Fünf dunklere Entwicklungen werden sich demnach erst noch einstellen müssen, bevor wir abschätzen können, wie schnell eine Erholung eintritt.

Ertragsrevisionen: 
Wenn es in der Natur kaum etwas Furchterregenderes gibt als eine Herde von Gnus, dann gibt es an den Finanzmärkten nichts Schädlicheres als eine Herde von Analysten, die ihre Gewinnschätzungen nach unten korrigieren. Während die Zahl der Analysten, die die S&P-500-Aktien herabstufen, inzwischen den Stand von 2008 übersteigt, bleibt der Umfang der Herabstufungen im zweiten Quartal mit etwa 10% relativ gering. Das könnte vor allem an der nach wie vor außergewöhnlich hohen Unsicherheit liegen. Die Unternehmen selbst liefern keine neuen Zahlen mehr, was die Aktien immer noch viel billiger erscheinen lässt, als sie tatsächlich sind.

Rating-Herabstufungen: 
Kreditanalysten haben die Schuldentragfähigkeit aller Kreditnehmer, ob groß oder klein, radikal neu bewertet. Unternehmen mit Investment-Grade-Rating haben im März in Erwartung der bevorstehenden schwierigen Zeiten neue Schulden in Höhe von 260,7 Milliarden Dollar aufgenommen, aber manche werden ihr Rating verlieren, was einige Anleger zum Verkauf zwingt. Herabstufungen können auch Vereinbarungen auslösen, die eine vorzeitige Rückzahlung der Schulden bedingen. Das könnten unruhige Zeiten werden.

Konkurse:
Einige Firmen werden lediglich Herabstufungen erleiden, während andere vor dem Bankrott oder gar der Liquidation stehen. Versierte Investoren schaffen es, die meisten davon zu vermeiden, aber es wird sicherlich auch unerwartete Pleiten geben. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Krise dieses Ausmaßes nicht auch einige große Opfer fordern wird, die bereits in den Seilen hingen. Außerdem wird es in den Schwellenländern zu einer Umstrukturierung der Staatsschulden kommen, da sich das Kapital in einem noch nie dagewesenen Tempo zurückzieht. Argentinien und der Libanon waren schon angeschlagen, bevor wir von dem Coronavirus gehört hatten, andere werden zu der Liste hinzukommen.

Öl:
Es ist schwer vorstellbar, dass es eine dauerhafte Erholung geben wird, ohne dass Russland und Saudi-Arabien zu einer verbindlichen Einigung über die Ölpreise kommen. Es scheint eine Vereinbarung in Arbeit zu sein, die das Angebot einschränken und eine Untergrenze für die globalen Preise schaffen würde, um große Teile der Industrie vor dem Zusammenbruch zu retten. Dennoch werden die Finanzmärkte den Aufschwung erst dann in vollem Umfang begrüßen können, wenn Zuversicht besteht, dass der Ölpreis wieder in eine vorhersehbare Größenordnung zurückgekehrt ist.

Die Regierungen:
Nach wochenlangem Leugnen und Zögern sind die Staats- und Regierungschefs der Welt und die Zentralbanken endlich in Aktion getreten, aber es gibt noch viel mehr zu tun. Das vom US-Kongress verabschiedete 2-Billionen-Dollar-Paket ist eher eine Nothilfe als ein Konjunkturprogramm. Dennoch wird viel davon abhängen, wie schnell das Geld an kleine Unternehmen und Haushalte verteilt werden kann. Die Fed war schnell und kreativ bei der Unterstützung der Kreditmärkte, aber die Banken werden noch mehr unter Druck geraten, wenn ihre Kreditbücher schlecht werden. Nur wenige haben schon angefangen, über den Schlag nachzudenken, der die Entwicklungsländer bald treffen wird, und deren zusätzlichen Bedarf an Hilfe und Schuldenerlass. Ein dauerhafter Aufschwung wird auch viel mehr internationale Zusammenarbeit erfordern. Wenn die G-20 kaum mehr tut, als fade Erklärungen abzugeben, werden die Investoren eine konkretere bilaterale Zusammenarbeit bei der Ausweitung des Handels, der Stabilisierung der Märkte und der Ankurbelung von Investitionen sehen müssen.

Investoren brauchen keine Antworten auf all diese Fragen, damit der Aufschwung beginnen kann, aber sie werden es schwierig finden, sich ohne ein klareres Bild wieder auf neue Investments zu konzentrieren. Eine zuverlässige Abflachung der Kurve der Coronavirus-Opfer wird einen entscheidenden Durchbruch für die öffentliche Gesundheit und die Rückkehr zur Normalität bringen, aber es wird für die Märkte so lange Dunkelheit herrschen, bis wir etwas Licht auf die wirtschaftlichen Trümmer bekommen, die repariert werden müssen.

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