"Die herkömmliche Faustregel besagt, dass die Demokraten schlecht für Aktien sind, weil sie eine Agenda bevorzugen, die Steuern und Regulierungen beinhaltet, die die Unternehmensgewinne schmälern. Tatsächlich ist die Bilanz der beiden großen amerikanischen Parteien viel gemischter. Da zudem jüngste Umfragen und Prognosen auf einen Sieg des ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden hindeuten, ist es auffällig, dass der S&P 500 kaum eine Atempause eingelegt hat.
Natürlich wird es große Unterschiede bei den Ergebnissen für Schlüsselsektoren der Wirtschaft und bei den verschiedenen Aktien geben. Bidens Klima-Agenda würde wahrscheinlich der Industrie für fossile Brennstoffe schaden und gleichzeitig Firmen unterstützen, die alternative Energien entwickeln. Seine Ideen zur Stärkung der Gewerkschaften und zur Anhebung des Mindestlohns könnten die Rentabilität der großen industriellen Arbeitgeber beeinträchtigen. Aber die Unterschiede sind nirgendwo so scharf, wie beide Lager Sie glauben machen wollen.
So werde abgesehen von der Zähmung des Coronavirus die Politik der Fed der wichtigste Treiber der Marktstimmung bleiben. Zudem dürfte sich auch der allgemeine Kurs der Fiskalpolitik nicht wesentlich ändern. Dieser Kurs der großzügigen Zuwendungen und hohen Defizite scheint am ehesten geeignet, die noch immer stark geschädigte Wirtschaft zu stützen. Daneben werden im Fall eines demokratischen Wahlsiegs die Ausgaben sicherlich von den republikanischen Senatoren begrenzt werden, die wahrscheinlich die notwendigen 40 Sitze behalten werden, um signifikante Änderungen des 10-jährigen Budgetfensters blockieren zu können.
Last but not least gibt es weitaus mächtigere Kräfte, die die wirtschaftliche Erholung im nächsten Jahr prägen werden: Wie stark wurde COVID-19 eingedämmt? Haben wir Impfstoffe und bessere Behandlungen identifiziert? Wie nahe sind wir dem neuen "Normalzustand"? Und wie wird sich die Beschäftigungslage entwickeln? Das lässt den Schluss zu, dass sich trotz aller Unterschiede in der Persönlichkeit, den Prioritäten und der Vision der Präsidentschaftskandidaten die makroökonomische Politik Amerikas nicht sehr unterscheiden wird, weshalb die diesjährigen US-Wahlen für die Entwicklung der Aktienkurse von geringer Relevanz sein dürften."
Christopher Smart war Senior Fellow am Carnegie Endowment for International Peace und am Mossavar-Rahmani Center for Business and Government der Harvard Kennedy School; von 2013 bis 2015 war er als Sonderassistent des Präsidenten beim Nationalen Wirtschaftsrat und beim Nationalen Sicherheitsrat tätig, wo er als Hauptberater für Handel, Investitionen und eine breite Palette von globalen Wirtschaftsfragen fungierte. Christopher Smart war zudem vier Jahre als stellvertretender Assistent des Finanzministeriums tätig. In dieser Funktion leitete er die Reaktion auf die europäische Finanzkrise und konzipierte das Engagement der USA in der Finanzpolitik in Europa, Russland und Zentralasien.