"Die erste Regel beim Investieren lautet: Wenn es zu gut aussieht, um wahr zu sein, ist es wahrscheinlich auch so. Das sollten Anleger bedenken, wenn die zweite Jahreshälfte in den Blickpunkt rückt und sie sich mit einer Welt auseinandersetzen müssen, in der die Risiken wieder stärker in den Fokus rücken.
Nachdem der S&P 500 auf dem Höhepunkt eines globalen Lockdowns die beste Quartalsperformance seit zwei Jahrzehnten erzielt hat, scheint er immer mehr in den Bann des sogenannten "Pandemic Put" zu geraten: Entweder flachen die COVID-Kurven ab und die Wirtschaftstätigkeit kehrt zurück, oder aber neue Infektionswellen werden einfach neue staatliche Unterstützung freisetzen.
Sofern ein Impfstoff auf den Markt kommt, könnten die Finanzmärkte unbeschadet davonkommen, auch wenn große Teile der Wirtschaft weiterhin schwer geschädigt sind. Je näher wir uns jedoch einem normaleren Aktivitätsniveau nähern, desto mehr werden schlechte Nachrichten wieder schlechte Nachrichten sein.
Dabei ist zu beachten, dass sich die Wirtschaftsnachrichten aus der Zeit vor dem COVID wieder einzuschleichen beginnen:
- Die mit neuen Risiken konfrontierten Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China, wobei Chinas Außenminister die Beziehungen zwischen den Ländern gerade auf einem historischen Tiefpunkt sieht.
- Die Handelsspannungen mit Europa, bei denen ein vorläufiges Abkommen zwischen den Industrieländern über eine gerechtere Besteuerung multinationaler Firmen wieder aufgelöst wurde. Das wird möglicherweise europäische Zölle auf die amerikanischen Digitalgiganten und Vergeltungsmaßnahmen aus Washington auslösen.
- Japan, das wieder durch ungünstige Demographie, enorme Staatsverschuldung und ineffektive Geldpolitik gefangen ist.
- Hinzu kommen die anhaltenden Sorgen um den Zahlungsausfall Argentiniens, die Einheit der OPEC, Israels Annexionspolitik, Russlands Sanktionen, das impulsive Handeln der Türkei und die Wahlen in Amerika.
Wir werden aufgrund der Nachrichtenlage vielleicht nicht auf eine scharfe Korrektur zusteuern, aber die Märkte werden bei der Auswahl von Gewinnern und Verlierern sehr viel stärker unterscheiden. Die Regierungen dürften die Zügel nicht anziehen, aber auch nicht weiter lockern. Die Gewinnentwicklung dieses Jahres wird keine Rolle spielen, aber die des nächsten Jahres schon. Die Anleger sollten sich daher nicht darauf verlassen, dass die Kurse immer weiter steigen. Der "Pandemic Put" wird nicht ewig halten."
Christopher Smart war Senior Fellow am Carnegie Endowment for International Peace und am Mossavar-Rahmani Center for Business and Government der Harvard Kennedy School; von 2013 bis 2015 war er als Sonderassistent des Präsidenten beim Nationalen Wirtschaftsrat und beim Nationalen Sicherheitsrat tätig, wo er als Hauptberater für Handel, Investitionen und eine breite Palette von globalen Wirtschaftsfragen fungierte. Christopher Smart war zudem vier Jahre als stellvertretender Assistent des Finanzministeriums tätig. In dieser Funktion leitete er die Reaktion auf die europäische Finanzkrise und konzipierte das Engagement der USA in der Finanzpolitik in Europa, Russland und Zentralasien.