In Versailles wurden Beschlüsse gefasst, die das Potenzial haben, den Kurs der europäischen Integration und der wirtschaftlichen Entwicklung auf lange Sicht zu verändern. Konkrete Schritte in Richtung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik und einer Beendigung der russischen Energieabhängigkeit wurden unternommen und sollten nicht unterschätzt werden.
Leider erscheint die langfristige Sichtweise völlig irrelevant, während die russische Artillerie Tag für Tag ukrainische Städte vernichtet. Kriege neigen dazu, sich sehr schnell zu verändern und das Treffen von Versailles könnte als dasjenige in die Geschichte eingehen, bei dem der Westen gezeigt hat, dass er den Verlauf des Krieges nicht ändern kann. Gas fliesst durch Pipelines, die nicht in Monaten oder sogar Jahren verlegt werden können. Schätzungen zufolge kauft Europa jeden Tag russisches Gas im Wert von 380 Millionen Euro. Tatsächlich nimmt Europa mit der einen Hand und gibt mit der anderen. Die Einstellung dieser Käufe wäre wahrscheinlich die wirksamste Sanktion gegen die Kriegsmaschinerie des Kremls. Aber Europa kann es nicht allein schaffen, 40% seines Gasverbrauchs müssten von heute auf morgen anderweitig gedeckt werden.
Sanktionen gegen andere Waren als Gas, wie Öl und Stahl, haben weit weniger offensichtliche Auswirkungen auf die russische Wirtschaft. Diese Waren können an willige Käufer weitergeleitet werden, wobei sich bei einem Preisnachlass auch willige Käufer finden werden. Ironischerweise treiben die Sanktionen die Preise für diese Waren auf neue Höchststände, so dass die russischen Exporteure selbst bei einem Preisnachlass ein gutes Geschäft machen können. Die heutige Nachricht, dass russische Palladiumexporteure neue Lieferwege finden, während die Preise neue Höchststände erreichen, ist ein typisches Beispiel dafür.
Russland ist kein Iran oder Nordkorea, es gehört zu den weltweit führenden Produzenten und Exporteuren von begehrten Rohstoffen wie Öl, Gas, Kohle, Kobalt, Chrom, Kupfer, Gold, Blei, Mangan, Nickel, Platin, Wolfram, Vanadium, Zink, Fisch und Weizen, um nur die wichtigsten Produkte zu nennen. Schliesslich ist es das grösste Land der Erde. Es von der Weltwirtschaft abzuschneiden ist wahrscheinlich unrealistisch und sicherlich verheerend für die globalen Wachstums- und Inflationsaussichten. Nur eine immense und gut abgestimmte Anstrengung aller westlichen Länder kann dies bewirken und den Verlauf dieses Krieges ändern.
Matteo Cominetta, Senior Economist, Barings Investment Institute