Die Börse blickt hoffnungsfroh auf Indiens Wahlen

Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity Worldwide Investment, sieht in den gerade laufenden Parlamentswahlen in Indien einen wegweisenden Impulsgeber für die Entwicklung des dortigen Aktienmarkts. Fidelity International | 09.04.2014 12:56 Uhr
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"Seit einigen Jahren ist Indien praktisch von den Radarschirmen der Anleger verschwunden. Das dürfte sich in den nächsten Wochen ändern, denn die Parlamentswahl in der größten Demokratie der Welt geht in die heiße Phase. Der diesjährige Urnengang könnte einer der interessantesten seit Jahren werden. Die Inder haben die Wahl zwischen der regierenden Kongresspartei, die sich als Beschützer der Armen sieht, und der Herausforderin, der indischen Volkspartei BJP, die sich unternehmernah präsentiert.

Kritiker werfen der herrschenden Koalitionsregierung unter Manmohan Singh vor, ihr gehe die Umverteilung von Vermögen vor Wachstum. Die Politik der Regierung gilt als gescheitert. In Umfragen hat die BJP bei zahlreichen Themen die Nase vorn: Ihr trauen die Wähler eher eine wirkungsvolle Armutsbekämpfung zu. Unter Narendra Modi setzt die BJP auf die Karte wirtschaftliche Kompetenz. Damit trifft sie den Nerv der jüngeren Generation, unter anderem der vielen Hochschulabgänger in Indien, die keinen passenden Job finden, deren Stimme die Wahlen entscheiden wird.


Die Börse hat ihr Votum bereits abgegeben. So ist der wichtigste indische Aktienindex Sensex auf ein neues Allzeithoch jenseits von 22.000 Zählern geklettert. Befeuert wurde er vor allem von der Hoffnung darauf, dass im Mai eine neue unternehmer- und anlegerfreundliche Regierung das Ruder übernehmen wird. In den Aktienmarkt Indiens fließt seit sieben Monaten unaufhörlich frisches Kapital.


Interessant in vielerlei Hinsicht ist ein Vergleich mit China. Zumal beide Länder seit der Hinwendung zum Kapitalismus einen äußerst unterschiedlichen Kurs eingeschlagen haben. Neidvoll schaut Indien auf China, das den Wandel diszipliniert vorantreibt. Mit seinem dezentralisierten, demokratischen, aber letztlich ineffizienten und korrupten politischen System hat Indien nie auch nur annähernd die Fortschritte in puncto Urbanisierung und Industrialisierung erzielt wie China. Dabei können sich Indiens Erfolge durchaus sehen lassen: Hatten sich 2004 nur 11 Prozent der Abiturienten an Hochschulen eingeschrieben, sind es heute 23 Prozent. Im gleichen Zeitraum hat sich auch die Armut drastisch verringert: So besitzt beispielsweise fast die Hälfte der 250 Millionen Haushalte heute einen Fernseher.


Positive Entwicklung beim Leistungsbilanzdefizit

Eines der zentralen Probleme Indiens ist sein ausgeprägtes Leistungsbilanzdefizit. Es ist einer der Faktoren, warum Indien mit Ländern wie Brasilien, Südafrika und der Türkei in den Club der besonders gefährdeten Schwellenländer der "fragilen Fünf" aufgenommen wurde. Allerdings hat sich das Leistungsbilanzdefizit seit einiger Zeit gebessert und von rund 5 Prozent auf etwa 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts halbiert. Nicht zuletzt dieser positiven Entwicklung ist das kräftige Kursplus am indischen Aktienmarkt zu verdanken. Hier bestätigt sich eine wichtige Börsenregel: Entscheidend sind nicht nur die absoluten wirtschaftlichen Kennzahlen, sondern vor allem ihre Veränderung – die Frage, ob die Zahlen sich in die richtige Richtung entwickeln.


Aber hat die Börse wirklich Grund zu Optimismus? In vielerlei Hinsicht scheint Indien auf dem aufsteigenden Ast zu sein. So befindet sich mit dem Leistungsbilanzdefizit auch die seit Jahren hartnäckig hohe Inflation langsam auf dem Rückzug. Kürzlich ist die indische Währung wieder unter die Marke von 60 Rupien für einen US-Dollar gesunken. Damit hat sie die Hälfte des seit letztem Jahr verlorenen Bodens wieder gutgemacht. Mit einer stabileren Währung werden auch europäische Anleger vom Aufwärtstrend am indischen Aktienmarkt profitieren. Indische Aktien werden zurzeit unweit ihres 10-Jahres-KGV-Durchschnitts von 15, basierend auf den erwarteten Gewinnen, gehandelt, für die ein Wachstum von 15 Prozent prognostiziert wird. Damit sind indische Aktien nicht zu teuer, wenngleich auch nicht unbedingt billig.


In den nächsten Wochen jedenfalls dürften Meinungsumfragen die Richtung für das indische Börsenbarometer vorgeben. Vor allem Anleger aus dem Ausland haben viel Geld in Indien investiert, in der Hoffnung, dass nach den Wahlen im Mai die Art von Wirtschaftswachstum und Infrastrukturinvestitionen Einzug hält, die man in Gujurat, der Heimatprovinz Modis, bereits beobachten konnte. Mit Modi verbinden sich viele Erwartungen und gelegentlich ist es an den Anlagemärkten besser, hoffnungsvoll zu reisen als anzukommen. Dennoch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Indien auf dem besten Weg ist, aus dem Schatten seiner asiatischen Nachbarn zu treten."

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