Das Jahr 2020 wird zum “Point of no Return” in Sachen Nachhaltigkeit – zu diesem Schluss kommen die hauseigenen Analysten von Fidelity International in ihrer jährlichen Analystenumfrage. Laut dieser Erhebung entdecken Unternehmen weltweit zunehmend, dass sie nicht nur das Richtige tun, wenn sie Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren, kurz ESG, berücksichtigten, sondern auch, dass sich ein solches Verhalten wirtschaftlich lohnt.
Rund 90 Prozent der Analysten von Fidelity berichten, dass nahezu alle von ihnen beobachteten Unternehmen ESG-Themen mehr Beachtung schenkten. 2019 gaben dies nur 70 Prozent an. Ausgehend von einem deutlich stärkeren Bewusstsein für den Klimawandel und zunehmenden Unternehmensreformen ist die Veränderung in den meisten Branchen und allen Regionen spürbar. Dazu gehören auch Bereiche, in denen das Interesse an ESG-Themen zuvor zu stagnieren oder erlahmen schien.
Jedes Jahr befragt Fidelity seine Analysten weltweit zur Lage in den von ihnen beobachteten Unternehmen. Anders als viele makroökonomische Untersuchungen misst die Umfrage von Fidelity das Sentiment direkt an der Basis. Dazu werden rund 15.000 Gespräche mit Firmenentscheidern für ein Gesamtbild ausgewertet.
Insgesamt gibt es beim Thema Governance (Unternehmensführung) Verbesserungen, die auf die stärkere Einflussnahme der Investoren weltweit zurückzuführen sind. Weniger Fortschritte haben die Unternehmen jedoch in punkto Diversität in der Vorstandsebene und im Aufsichtsrat gemacht. So berichten die meisten Analysten, dass die Vielfalt in den Führungsgremien ihrer Unternehmen im unteren bis mittleren Bereich liege. Gegenüber dem Vorjahr habe sich in dieser Hinsicht kaum etwas bewegt.
Grafik 1: ESG-Themen schaffen es auf der Unternehmensagenda nach ganz oben
Quelle: Fidelity Analystenumfrage 2020.
ESG im Aufwind in China ... und den USA
In Europa gewinnen Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen schon seit geraumer Zeit weiter an Bedeutung. Einen festen Platz auf der Tagesordnung der Unternehmen haben sie inzwischen aber auch in anderen Regionen wie Asien und dort besonders in China: 80 Prozent der Analysten in China berichten in diesem Jahr über mehr Aufmerksamkeit für ESG-Fragen in einigen bzw. allen ihren Unternehmen. Das ist ein enormer Anstieg gegenüber 63 Prozent in der Umfrage vom letzten Jahr und 33 Prozent im Jahr 2018.
Etwas mehr als 90 Prozent der Analysten, die Kanada und die USA abdecken, geben an, dass ESG-Themen bei einigen oder allen ihren Unternehmen inzwischen einen größeren Stellenwert genießen. 2019 sagten dies lediglich 57 Prozent.
Grafik 2: Aufschlüsselung nach Regionen
Quelle: Fidelity Analystenumfrage 2020.
Jenn-Hui Tan, Leiter des Bereichs Verwaltung und Nachhaltigkeit bei Fidelity International, kommentiert: „Das steigende Interesse chinesischer Firmen an Nachhaltigkeitsthemen lässt hoffen. Aus unserer Sicht ist es auf mehrere Faktoren zurückzuführen. So hat sich die Regierung das Thema bessere Unternehmensführung auf die Fahnen geschrieben. Chinesische Firmen wiederum wollen in regenerative Energien investieren, bevor die staatlichen Subventionen gekürzt werden, und Anleger fordern mehr Transparenz in den Lieferketten. Darüber hinaus denken immer mehr Unternehmen im Reich der Mitte über höhere Dividenden für ihre Aktionäre und einen intensiveren Dialog mit ihren Investoren nach, um zusätzliches Kapital anzuziehen.
In den USA hat Washington zwar die Umweltauflagen deutlich gelockert. Dennoch wächst das Interesse an ESG-Themen. Nachhaltigkeit ist wieder auf dem Vormarsch, nachdem sie 2019 in den Hintergrund zu rücken schien. Dafür hat ausgerechnet die amerikanische Lobbyorganisation Business Roundtable mit ihrer Neudefinition des Unternehmenszwecks gesorgt.“
Stimmungsbarometer weltweit immer noch im Positivbereich – aber nur hauchdünn
Die Analysten hatten für 2019 das Ende des synchronen Wachstums und das Ausbleiben einer Rezession richtig vorhergesagt. In ihrer Prognose für dieses Jahr gehen sie von einem nur leicht verbesserten Geschäftsumfeld aus. Zu einer Rezession dürfte es auch in diesem Jahr nicht kommen. Damit sei frühestens im nächsten Jahr zu rechnen. Dafür sollen niedrige Zinsen, der sich erholende Welthandel und der nach wie vor starke Konsum sorgen. Nur 36 Prozent der Analysten gaben an, dass sich ihre Unternehmen auf das Ende des Zyklus vorbereiten. 2019 waren es noch 49 Prozent. Stattdessen wird von einem insgesamt ruhigeren Jahr für die Unternehmen ausgegangen, auch wenn die geopolitischen Risiken anhalten sollten und die Folgen des Coronavirus noch unklar sind.
Fiona O'Neill, stellvertretende Leiterin des Aktien-Researchs bei Fidelity International, kommentiert: „Seit Anfang 2019 haben die Rezessionsängste deutlich nachgelassen. Das gilt vor allem für China, wo lediglich 27 Prozent unserer Analysten angeben, dass sich ihre Unternehmen auf das Ende des Zyklus vorbereiten – ein deutlicher Rückgang nach 70 Prozent im letzten Jahr. Tatsächlich deuten die Umfrageergebnisse zu den Investitionsplänen und die trotz bereits niedriger Arbeitslosigkeit überraschend gestiegenen Einstellungsabsichten in allen Branchen und Regionen darauf hin, dass viele Unternehmen eine Verlängerung des Zyklus für möglich halten.
Die derzeit große Unbekannte ist das Coronavirus: Zu Dauer oder Ausmaß der Epidemie sind kaum verlässliche Prognosen möglich. Momentan sehen wir sie noch als kurzzeitigen Störfaktor für Chinas Wirtschaft. Sollte es aber bis zum zweiten Quartal nicht gelingen, die Ausbreitung des Virus wirksam zu stoppen, könnte eine Prognosekorrektur nach unten für die Weltwirtschaft unvermeidlich sein.“
Grafik 3: Stimmung in Unternehmen schlechter als im letzten Jahr, aber immer noch positiv
Quelle: Fidelity Analystenumfrage 2020.